"Behandelt eure Huren anständig, sonst komme ich zurück und töte euch alle, ihr Hunde." (William Munny)
Montag, 31. Mai 2010
Freitag, 28. Mai 2010
Wienerwald
Ich will meine Nicole aus Nohfelden zurück. Das war ein properes Mädel, Balsam auf unsere Kalte-Krieg-Neurosen. Sie vermittelte uns eine Utopie. Ihre Hintermänner hatten den Zeitgeist eingeschlürft, und das nachrüstungsgebeutelte Kern-Europa ließ sie auch noch demonstrativ gewinnen.
Die Neue ist ein 19jähriges Hühnchen ohne gesellschaftlich relevante Mission. Erzeugt im sozialdarwinistischen Mastbetrieb, gibt es an allen medialen Fronten als Authentizität verkleidete Allgemeinplätze von sich und behauptet auch noch, der Hype sei ja gar nicht so gemeint gewesen. Gack, gack, gack. So sinnentleert wie kopflos, ein maschinell erzeugter Snack zum Mitnehmen und lustvollen Zerlegen. So authentisch und individualistisch wie Wienerwald. Im Hintergrund stapeln derweil die Reptilien und Harpyien die Geldscheine zu handlichen Bündeln und züngeln und keckern und blecken die Zahnkronen. Ein Land in der Gewalt von Grinsern und Gutgelaunten.
Singen kann die Neue offenbar auch nicht, was mir aber egal ist, weil mich als Gitarrenästheten Gesang noch nie interessiert hat. Nicole, ja, die hatte eine Gitarre, und die war weiß und unschuldig, und sie benutzte dieselben Griffe wie die Leiterin unserer katholischen Jugendgruppe in der Jugendmesse.
Mittwoch, 26. Mai 2010
Lippe
Weil Lippe zurzeit ganz Deutschland beschäftigt, hier mal das erstaunliche „portrait of lip as a young man“. Faszinierend deshalb, weil es in meiner Studentenzeit jemanden gab, der ganz genau so aussah. Lippe, Nase, Frisur, Brille: der exakt gleiche Typ. Er saß während der Pausen allein in der Nichtraucherecke herum, eine großkotzige Aktentasche aus Krokoleder-Imitat neben sich, aß mit enervierend langsamem Tempo Schinkenbrötchen mit Gurken und krümelte sich dabei voll. Dann stand er auf, klopfte sich die Krümel weg und sprach mit zitternder, feuchter Unterlippe, an der noch Brötchenreste klebten, Kommilitoninnen an. Jahrelang ohne jeden Erfolg. Wir beobachteten das von gegenüber aus der Raucherecke und waren eines Tages völlig baff, als sich eine Blonde neben ihn setzte und ihn zu unserem Entsetzen, brrr, küsste. Sie war klapperdürr, trug taubengraues Tanten-Outfit, eine Perlenkette, eine Brosche und hatte Hasenzähne.
Dienstag, 25. Mai 2010
Erneut: Oma in Not
Diese Oma hatte es in sich. Sie war etwas harthörig und verstand nicht sofort jedes Wort, wirkte durchweg schwächlich, wie sie sich da auf ihren Stock stützte, bewegte sich leicht zitternd in Zeitlupe – aber sie hatte es dennoch ganz allein geschafft, den Mülltonnenverschlag ihres Mietshauses zu demolieren. „Sind Sie geschickt?“, fragte sie mich, als ich nichtsahnend vorbeischlenderte. Ich verstand zuerst „Sind Sie geschickt worden?“ und wollte schon sagen: Nee, ich komme freiwillig hier vorbei und habe mit der CIA nichts am Hut. Dann kapierte ich erst, dass es um Geschicklichkeit ging. Von den zwei linken Händen sagte ich vorerst mal nichts und besah mir das Problem. Ein Mülltonnen-Port aus Betonkies-Platten mit einer dreiflügeligen metallenen Tür an der Front, und Oma hatte beim Müllwegbringen den mittleren Flügel aus der Dreh-Verankerung gerissen, so dass zwei ziemlich schwere Teile - die Tür an sich sowie die Drehgelenkstange - nach vorne gefallen und auf den Boden gescheppert waren. Wie die Oma es geschafft hatte, den Dingern aus dem Weg zu springen und jetzt nicht unter ihnen zu liegen, entzog sich meiner Vorstellungskraft. Die Sache erwies sich als recht tückisch, weil Tür und Drehgelenk der mittleren Tür erst auf logisch kohärente Weise neu ineinander gesteckt und dann in toto an den beiden metallenen Noppen oben und unten im Inneren befestigt werden mussten, um wieder ordnungsgemäß geöffnet werden zu können. Und die beiden zusammenzusteckenden Teile waren jedes für sich recht schwer, was dann beim Einpassen in die herausstehenden Noppen sowohl die von der Oma angefragte Geschicklichkeit wie auch einiges an Kraft verlangte. Millimeterarbeit. Also frisch ans Werk, Oberkörper freigemacht, mit der zufällig mitgeführten Body Lotion eingerieben und dann mit der Grazilität des gelernten Schiffskesselheizers Stahl stemmen. Allerhand Keuchen während der Penetration der Noppen in die hohle Drehgelenkstange, Schweiß auf gerunzelter Stirn, peinsam eingeklemmte Finger, lautstarker Dialog mit dem Material sowie Selbstgespräche mit dem eigenen Frustrationszentrum, von der Oma abwechselnd mit „Wie bitte?“ und „Ojeoje“ kommentiert, neuer Anlauf, zwischenzeitlich die Ambition, aufzugeben und einen Hausmeisterdienst vorzuschlagen – und dann schließlich doch, mit einem Seufzen, einem unterdrückten Stöhnen und einem metallischen Klacken, der Erfolg. Sitzt-wackelt-und-hat-Luft.
Die Sonne brach durch das Astwerk, badete die Oma und meinen schweißglänzend geschundenen Körper in sanftorangefarbenes Licht und schuf Gloreolen um unsere Häupter. Über uns tirillierte ein Vogel. Die äußerst dankbare Oma wollte mich gar nicht wieder weg lassen und mich unbedingt mit irgendwas belohnen, aber ich murmelte nur lächelnd etwas von „Guthaben auf dem karmischen Konto“, warf mir das Hemd über und wankte von dannen.
Dienstag, 18. Mai 2010
Fauna
Während der Regen wärmer wird, die Sonne ab und zu durchblitzt und das Kreuchen und Fleuchen beginnt, wurde vom Balkon in diesem kleinen Stück urbanem Hinterhof bisher folgende Fauna identifiziert: ein halbes Dutzend Eichhörnchen, ein Habicht, zwei bis drei Tauben, mehrere Krähen und Elstern, einige Amseln, Stare und Meisen, drei Enten, ein Eichelhäher, zwei Hunde, zwei Katzen (unsere nicht eingerechnet), eine bis zwei Mäuse, zwei bis drei Fledermäuse, ein Schwarm Halsbandsittiche (hausen bekanntlich in großer Zahl in Köln), eine Raupe, ein halbnackter Nachbar.
Sonntag, 16. Mai 2010
Dieses und jenes
• Zum wiederholten Male den bittersten und wahrhaftigsten bundesrepublikanischen Film der Frühneunziger geschaut: Manta, Manta. Eher Doku-Drama als Spielfilm. Grandios.
• Rambo 4 geschaut, ungeschnitten, und die Gattin, die einen Raum weiter ihrer Lektüre nachging, durch laute Rufe wie „Jawoll, fuck the world!“, „Boah-ho-ho!“ oder „Hoppla, das spritzt!“ alarmiert. Habe ihr aber die von Maschinenkanonen zerlegten Burmesen nicht gezeigt, waren ohnehin nur noch rote Schlieren. Detaillierte, hochseriöse Filmkritik hier.
• Prinz Eisenherz auf Blu-ray. Quietschebunt, aber nun im Alter irgendwie doch enttäuschend. Mehr Fifties-Hollywood als Comic-Adaption. Schlimm, was sie aus dem Singenden Schwert gemacht haben: Statt eines idealtypischen Hochmittelalter-Schwerts ist es ein grotesker Leichtmetall-Prügel. Aber für den Elfjährigen war das noch irrelevant.
• Per Postident-Verfahren für volljährig befunden worden und nun im Video-Verleihsystem für FSK18 drin. Ausgenommen „Vollerotik“. Habe ich eh genug von, morgens vorm Spiegel.
• Mit dem Nachbarn je sechs Kölsch vernichten gegangen, die Wahl ausdiskutiert und festgestellt, dass es uns nicht wirklich interessiert. Dennoch nach fünf Kölsch unangenehmes Geständnis gemacht: Wenn ich den Wahlprogrammen Glauben schenken und als der „Mittelständler“ agieren würde, der ich streng genommen bin, hätte ich FDP wählen müssen. Herrje, ersäufen wir diese Erkenntnis in noch einem Kölsch!
• Redigiere gerade den neuen Preston und musste mich mit dem Unterschied zwischen Meteor und Meteorit vertraut machen. Hätte man auch schon vorher wissen können. Stelle zum wiederholten Male fest, dass ich die Übersetzerin sehr schätze.
• Nach langen Jahren erstmals wieder Nassrasur getestet, jetzt jucken die Stoppeln wie verrückt, während sie sich wieder durch das irritierende Babypopo-Gesicht hocharbeiten. Macht schneller, ich hasse es, so glatt zu sein.
• Pakete in Empfang genommen, bislang nicht geöffnet. Hat ohnehin keinen Sinn, müssen warten. Der Stapel nimmt groteske Ausmaße an.
Montag, 10. Mai 2010
Wahlnachlese
Ich finde das luftige ZDF-Wahlstudio moderner und hipper als das etwas miefig-enge in der ARD, hab’s aber nicht so mit Moderatorin Bettina. Laut und oft unkonzentriert, reißt einen ständig aus dem frühabendlichen Wegdämmern hoch. Außerdem gilt sie als CDU-nah, was an diesem Abend auf ihre Stimmung drückte und zu latenten Aggressionen führte. Dafür hat sie mit Karl-Rudolf einen angenehm formulierenden Parteienforscher an der Seite, sozusagen den Feuilletonisten unter den Parteienforschern. Man hätte den Mann den Abend allein bestreiten lassen sollen. Sehr bedenklich erschien mir, dass mit Elmar der ZDF-„Terrorismusexperte“ die Berliner Runde moderierte. Sind wir jetzt schon so weit?
Samstag, 8. Mai 2010
Requisiteure
Wenn ich die DVD im Haus hätte, würde ich jetzt mal ein Standbild aus Geheimaktion Crossbow (GB 1965) hier reinstellen. Kam gestern im Fernsehen, und ich musste zum wiederholten Mal laut auflachen, nachdem ich zuvor schon halbwegs hysterisch darauf hingewiesen hatte: "Pass auf, gleich kommt's!" Als die britischen Agenten, die 1943 den Bau von V1 und V2 sabotieren sollen, nach Deutschland einreisen, gibt es eine kurze statische Szene, in der ein Grenzübergang zu sehen ist. Im Vordergrund ein Wächterhäuschen mit Wachsoldat, dahinter eine Hakenkreuzfahne und hinter der wiederum eine Nationalflagge, und zwar das bundesdeutsche Schwarz-Rot-Gold mit Bundesadler. Den Bundesadler sieht man übrigens auch auf dem Grenzschild im Vordergrund; um ihn herum wölben sich die Worte „Deutsches Reich“. Herrje, diese britischen Requisiteure.
Donnerstag, 6. Mai 2010
Das Orakel und die Realität
Gerade mal das Orakel behelligt, um seine Meinung wegen Sonntag einzuholen. Die Partei, die mir dort empfohlen wurde, werde ich jedoch keinesfalls wählen. Neulich saßen wir in der Außengastronomie einen Tisch entfernt von einigen ihrer müffelnden lokalen Größen, die sich unbelauscht vorkamen. Das war Zufall, und das Orakel kann es ja nicht wissen, aber zur politischen Willensbildung sollte man das durchaus mal gezielt machen: politische Handlungsträger oder solche, die es werden wollen, privat belauschen. Brrr.
Dennoch lässt mich das Orakel nicht völlig ratlos zurück: Ich nehme die zweite Partei aus der Trefferauflistung.
Mittwoch, 5. Mai 2010
Wear your t-shirt with pride
Seit einiger Zeit gibt es eine ganze Edition von Hawks-T-Shirts im Handel. Man findet sie quasi überall, ein paar sogar über Amazon. Jahrzehntelang war es in Deutschland nahezu unmöglich, außerhalb von Konzerten an so ein Ding heranzukommen; die letzten wurden hierzulande in den 80ern gesichtet. Jeder x-beliebige Heavy-Metal-Bursche konnte sein Zauselhaar über das schwarze Shirt seiner noch so abstrusen Lieblingsband drapieren und bluttriefende Comic-Zombies oder heroische Schwertkämpfer spazieren führen, aber die Hardrockhippie-Schnörkel der Hawks oder ihre metallischen Kanten sah man nie in dieser Parade. Dabei heißt es so schön: „Erst war Hawkwind, dann kam der Metal.“
Zuerst Neuauflagen aller Alben, jetzt T-Shirts, gestern Abend der Mojo Mavericks Award, demnächst womöglich eine funkelnagelneue Button-Edition - wird es eventuell doch noch in der Vorherrschaft über das Universum enden?
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