Auch ein Album, das man gerne mal unterschätzt. Jetzt wieder in Erinnerung gerufen durch eine Doppel-CD-Luxus-Neuauflage bei Cherry Red Records.
Erschienen 1991, mit nur zwei neuen Studiotracks drauf. Der Rest ist Live-Material von einem Konzert in Los Angeles 1990. Die Frau brachte es mir damals aus einem Plattenladen in Bonn mit, weil es im heimischen Trier nirgendwo zu kriegen war.
Es mag ein Verlegenheitsalbum sein, aber es klingt verdammt noch mal wirklich gut. Heute noch besser als damals. Auf der US-Tour fehlte Geiger Simon House, aber auf den Studiostücken fiedelt er sich dafür einen ab. Da auch die Qualität der Live-Aufnahmen unerreicht phantastisch ist und die Publikumsatmosphäre nahezu weggemischt wurde, wirkt Palace Springs wie ein Studioalbum. Beim ersten Hören hielt ich es jedenfalls dafür. Eine neo-proggige, epische Angelegenheit mit ständigen Dynamikschwankungen, sehr elegant und fließend und formschön. Und mit wundervollen symphonischen Keyboardwänden unter gleichzeitiger Zurückdrängung des notorischen Gezirpes. Weich, tief und konzertan, poetisch geradezu und warmherzig, aber vor Gewalttätigkeiten ist man natürlich nie sicher. Im Vergleich zu diesem weichen Fließen wirken die aktuellen Hawkwind des Jahres Zwanzig-Zwölf wie eine dröhnende Bestie.
Die beiden Studiostücke „Back in the Box“ und „Treadmill“ sind die besten Songs dieser Habicht-Ära, und die Live-Auswertung von „Assault & Battery/Golden Void“ übertrifft das Original von 1975. Vor allem wegen des höheren Tempos, des modernisierten Sounds und der absolut großartigen Hyperbelflüge, die „The Golden Void“ unternimmt.
Die Neuauflage fügt zwei Bonustracks hinzu, weit fortgeschrittene Probeaufnahmen, die Spaß machen.
Aufregend anders gerät die zweite Scheibe. Sie enthält nämlich das komplette Material von California Brainstorm, eines 75-Minüters, der weite Teile eines 1990er-Gigs in Oakland abbildet. Also von derselben Tour wie die Live-Tracks von Palace Springs, aber mit einem anderen Mix. Das Album begann einst als Bootleg, wurde aber wegen seiner offenkundigen Qualitäten merkantil vertrieben und von der Band schließlich als halboffizielles Live-Album akzeptiert. Aus den Katalogen ist dieser Tonträger dennoch lange schon verschwunden. Nun taucht er als offizielles und überarbeitetes Material wieder auf.
California Brainstorm fällt auf durch einen ungewöhnlichen Mix, der nach hinten raus, wo sich auf Palace Springs die symphonischen Klangräume auftun, eher flach gerät, so dass Harvey Bainbridges Sound-Kathedralen schemenhafte Umrisse im Nebel bleiben. Auch das Gezirpe und Gezische kackt da hinten ziemlich ab, während der etwas dünne Bass im Remastering deutlich beackert wurde. Vorne im Mix jedoch geht es tumultös zu. Dave Brocks Gitarre ist sehr laut und gebärdet sich wie ein Punk-Biest mit angeworfener Motorsäge. Mitunter erinnert das an die punkige Live-Inkarnation der späten 70er (etwa: Hawklords Live 78). Prominent im Mix ist ebenfalls Richard Chadwicks Schlagzeug, und die Qualitäten des damals noch neuen Drummers springen einem in die Magengrube. Wie er diese Möbiusschleifen-Soundwelten rhythmisch unterfüttert, Rock-, Wave-, Punk-, Psycho- und Jazz-Stile vermischt, in unterschiedliche Zustände zwischen Disziplin und Enthusiasmus verfällt und das stoische Vorantrommeln des wavigen Psychedelic Rock durch zahllose Wirbel und Arabesken aufbricht, das ist nichts weniger als virtuos und atemlos. Am schönsten fügen die Dinge sich zusammen auf „Out of the Shadows“, „Night of the Hawks“ und „Back in the Box“, allesamt schartige Ambosse, die aus dem Orbit auf einen herabgeworfen werden. Vor allem „Night of the Hawks“ ist durch Brocks Mördergitarre, Chadwicks Taktverschärfung sowie unerwartete Atempausen eine der signifikantesten Live-Aufnahmen der gesamten Bandgeschichte. Rockmusik ohne Wenn und Aber.
Ein super Paket, das die zwei Seiten der Band im Jahr 1990 beleuchtet, die episch-lyrische und die bissig-biestige. Und genau deswegen eine sehr relevante Publikation.