Freitag, 26. April 2013

City of Fear

Cherry Red Records hat seine Ankündigung wahr gemacht, die vier zentralen Alben des kanadischen Space-Prog-Trios FM neu herauszugeben. Für drei dieser Platten von 1977-80 bedeutet es die erste CD-Veröffentlichung überhaupt. Besonderes Merkmal der Band: Trotz eines vollen, wuchtigen Sounds und teils massiger Rock-Power kommt keine Gitarre zum Einsatz. Stattdessen bedient auf dem Debüt Nash the Slash Mandoline und Geige. Ab dem zweiten Album übernimmt Ben Mink diese Parts. 
Am Debütalbum Black Noise habe ich mich weiter unten schon mal abgearbeitet, an dieser eigenwilligen Mixtur, die sich anhört wie eine Kreuzung der King Crimson der Mittsiebziger mit den Rush von 1982 (wohlgemerkt: anno 1977), inklusive kleiner Ausflüge auf Hawkwind-Territorium und einem erheblichen Anteil extrem wuseligen Jazzrocks. Hier sind absolute Könner am Werk. 
Das letzte relevante Album ist City of Fear von 1980, in der Besetzung Cameron Hawkins (voc, b, keyb, synth), Ben Mink (vio, mand) und Martin Deller (dr, perc). Während das Trio auf den zwischenzeitlich eingespielten Platten Direct to Disc (1978) und Surveillance (1979) experimentierte und sich suchte, geriet City of Fear zum kreativen Triumph. Nur weiß das heute kein Mensch mehr, weil der kommerzielle Erfolg ausblieb. 
FM arbeitet auf City … songorientiert und überführt den Prog-Jazz-Spacerock endgültig in Pop-Rock-Wave-Gefilde. Und das fällt komplex aus. Anspruchsvolle, verzwirbelte Kompositionen, scheinbar straight herausgespielt, aber unendlich reichhaltig und von Rush-haftem Perfektionismus. Cameron Hawkins ist als Sänger enorm gereift, der großartige Martin Deller komprimiert seinen vielgestaltigen Jazz zu treibendem, unberechenbarem Rock auf knochentrockener Snare, und Ben Mink, tja, Ben Mink ist ohnehin sein eigenes Universum. Dauernd springen einen auf diesem Album schwere Gitarrenwände und hibbelige E-Gitarren-Riffs an, überall kreischen dienstbare, pfeilschnelle Soli – allein, es gibt auf City of Fear gar keine Gitarre. All dieses Dröhnen, Jaulen, Kreischen und wuchtige Hämmern macht Mink mit Mandoline und Geige. Ich wusste bislang, ehrlich gesagt, gar nicht, dass das geht. Dass man mit Mando und Fidel eine Rocksau wie „Ride the Thunder“ durchs Dorf prügeln kann, das entzog sich bislang meiner Vorstellungskraft. 
Für City of Fear verbündete sich das Trio zusätzlich mit Synthesizer-Guru Larry Fast, weswegen auch der elektronische Output heftig und hypermodern ausfällt. Das Album bildet mit seiner Rezeptur aus elektrisch verstärktem Instrumentarium und elektronischer Klangerzeugung die Möglichkeiten und Tendenzen des Jahres 1980 perfekt ab. Und das Songmaterial gerät fluffig und erhebend, mal abgesehen von dunkel glimmenden Proto-Industrial-Dingern wie „Lost and Found“ und „Silence“, aber die kommen erst recht gut rüber.
Ein vergessenes Produkt überschäumender Modernität des Jahres 1980.

Dienstag, 16. April 2013

Dreiecksgeschichte

Die Enten bevorzugen wiederum die Abgeschiedenheit. Weg vom Teich unten und dem ganzen hektischen Geschnatter und Gepaddel und ab ins Hinterland, aufs lauschige Garagendach. Der Raucher, der nebenan auf dem Balkon haust, stört nicht weiter und mischt sich auch nicht ein. 
Dennoch ist es momentan noch kompliziert. Anastasia hat nämlich zwei Verehrer, Giovanni und Heiko. Giovanni will sie seiner Mama vorstellen, Hochzeit in Piacenza und viele Bambini machen. Heiko ist mehr so der urbane Club-Typ mit einem neckischen Farbklecks am Bürzel und tiefen Gesprächen bei Entengrützen-Fastfood nachts um halb vier. Anastasia ist sich noch unsicher. Jetzt schon Kinder, nach Oberitalien fliegen und im Familienclan aufgehen, oder doch noch ein bisschen dancen, quatschen, schnäbeln und dann mal sehen? Na ja, das muss sie selbst entscheiden, aber ich glaube, Heiko ist ein Hallodri.

Freitag, 5. April 2013

228 Stunden

„Ein Kölner verliert im Jahr 76 Stunden im Stau“, sagt uns die Schlagzeile. Gemeint ist natürlich der statistische Autofahrer. Staus am Fuß von Rolltreppen, an der Tür von Straßenbahnen oder an Bäckerei-Theken sind nicht inbegriffen. Da ich im Jahr 0 Stunden im Stau verbringe, müsste es da draußen, rein statistisch betrachtet, jemanden geben, der 152 Stunden im Jahr im Stau verbringt. Das ist immerhin eine knappe Woche. Da meine Frau ebenfalls 0 Stunden im Autostau verbringt, könnte es statistisch gesehen sogar sein, dass der arme Kerl ihre 76 Stunden auch noch aussitzt und somit auf 228 Stunden kommt. Das wären dann knapp zehn Tage. Es bleibt zu hoffen, dass er im Kofferraum genug isotonische Getränke, Müsli-Riegel, Nudelsuppentüten und einen Campingkocher mit sich führt.

Donnerstag, 4. April 2013

Nerd Watches

Diese LCD-Quarzuhren kamen in den 70ern als billige nipponesische Massenware auf und dominierten eine Zeitlang regelrecht die Handgelenke. Mikrochips, zahlreiche Funktionen, drei bis vier Knöpfe und Ereignisreichtum auf dem Display, Piepsterror zur halben und vollen Stunde. Begleiter des Taschenrechners (wir erinnern uns an die grotesken Hybridformen, die Chimären aus Uhr und Taschenrechner) und Vorläufer des PCs. Sie waren besonders beliebt bei technikaffinen Jüngelchen und strahlten den Sex Appeal von Robbi aus dem „Fliewatüüt“ aus. Damit waren sie einer der Geburtshelfer der Spezies Nerd und richteten dabei die schnöselige Schweizer Uhrenindustrie beinahe zugrunde. Was ihnen – damals – sogar einen kleinen sozialdemokratischen Charakter verlieh. 
Als ästhetisch desorientiertes, finanziell nicht allzu üppig ausgestattetes Würstchen der späten Siebziger und frühen Achtziger trug auch ich einige Jahre lang die Produktpalette von Casio & Co. auf. Wir waren jung, Teil unserer Epoche und wollten mitpiepsen. Kein Anlass für Entschuldigungen. Die Epoche war ästhetisch von Grund auf verdorben, heute weiß man das, damals eben noch nicht. Michael Knight trug so eine Uhr, um mit K.I.T.T. zu kommunizieren, und sogar James Bond ließ sich auf ihr Memos ausdrucken, verschoss Laserstrahlen und benutzte sie als Explosionszünder. Die Dinger konnten scheinbar alles – nur nicht gut aussehen. 
Die LCDs gehörten seitdem stets zur Produktpalette der Hersteller – als Billigsegment –, allerdings verschwanden sie glücklicherweise für lange Jahre von den Handgelenken der Menschen. Mit dem via Internet ausgerufenen Siegeszug der Nerds jedoch tauchten sie wieder im Straßenbild auf. Alt-Nerds hatten sie nie abgelegt; die sah man allerdings eher selten auf der Straße, denn sie saßen ja den ganzen Tag in ihren dunklen Kellern und ließen sich von PC-Monitoren beflackern. Neu-Nerds und andere Kellerkinder entdeckten sie freudig als scheußliche Objekte einer ästhetisch fragwürdigen Tradition. Dann kam der ganze WLAN-Quatsch, und die Nerds wurden in die Lage versetzt, ihre subterranen Domizile zu verlassen und mit mobilen Internet-Apparaten an Straßenecken herumzulungern. Ganz schlimm wurde es, als die Berliner Hipster mitbekamen, dass jene Typen, die von ihren Eltern früher freudig gemobbt wurden, nun hip geworden waren, sich gar trendy als „Piraten“ gerierten und sich um die urbanen Hotspots sammelten wie Motten ums Licht. Das war der neue heiße Scheiß. Die Hipster, obwohl eigentlich von Natur aus keine Nerds, sondern bloße Gefäße, kopierten einfach die Ausstattung und schnallten sich die Billig-LCDs als Modestatement an den Arm. Und das Grauen kehrte zurück in deutsche Städte.