Freitag, 27. März 2009

Wachsen an der Werthaftigkeit des Kunstwerks

Es wird gerade ein bisschen gemault und zurückgemault angesichts der Fantasy-Flut in deutschen Buchhandlungen und auf deutschen Bestsellerlisten. Hier so ein Feuilleton-Gesülze und hier und hier die Entgegnungen in Blogs von Kennern der Materie. Hier weiteres Geblubber, hier und hier die Entgegnungen.
Dieses Gemaule aus dem bildungsbürgerlichen Lager kenne ich seit 30 Jahren oder länger. Nach einem Referat über den Herrn der Ringe fragte mich mein Deutschlehrer, ob mir denn bewusst sei, dass ich durch meine Hinwendung zu solchen Büchern die Welt in Gut und Böse einteilen würde und dass solches ja nicht der Realität entspräche. Und dass man mit so etwas pädagogisch nicht Astreinem eher aus der Realität fliehen würde, als sich mit ihr zu beschäftigen und an ihr zu wachsen. (Leiser Zwischenruf vom Clown aus der letzten Bankreihe: „Zu wichsen?!“)
Ich fühlte mich missverstanden und konterte schüchtern mit der Erwähnung von Richard Monacos Grals-Trilogie, die auch Fantasy sei, aber keine Guten kenne, sondern eigentlich nur Böse oder zumindest sehr viele Böse und eventuell ein paar Redliche, und dass sie völlig anders und moderner gearbeitet sei und wie ein niedergeschriebener Traum wirke und dass sie überhaupt „schwierig“ sei. Und dass man an ihr sehr wohl wachsen würde, wenn es nämlich darum geht, die Vorgehensweisen des Künstlers und die Werthaftigkeit des Kunstwerks zu ermitteln, eines Kunstwerks, das sich an der Tradition ebenso abreibt wie an der Gegenwart und dabei etwas Neues erschafft. Na ja, ganz so eloquent werde ich es damals sicher nicht ausgedrückt haben, aber der Lehrer hob nichtsdestotrotz die Augenbrauen und fragte: „Du willst also sagen, dass es auch solche Fantasy-Bücher gibt, die modern und anspruchsvoll sind? Ich kenne mich da gar nicht aus, aber du meinst, es gibt sowas?“ Ich schluckte trocken (wir hatten damals noch Respekt vor Lehrern) und nickte unsicher. Der Lehrer nickte ebenfalls und gab mir eine Eins für das Referat.
Während eines Wandertags im selben Jahr wollte er mehr wissen über diese „anspruchsvollen Fantasy-Bücher“. Ich erzählte ihm unter anderem etwas ganz Rudimentäres über die Entwicklung Michael Moorcocks vom Teenie-Schund-Schreiber zum hochklassigen Schriftsteller. Ich berichtete ihm auch von meinem damaligen Lieblingsroman, Das Rauschen dunkler Schwingen von M. John Harrison. Irgendwie brachte ich den von mir verehrten Brian Aldiss unter, obwohl der gar keine Fantasy geschrieben hatte. Aber das wusste der Lehrer ja nicht. Ich ging sogar auf altehrwürdige Traditionen ein, William Morris und Die Quelle am Ende der Welt. Ich erzählte ihm etwas von Stephen Donaldson (die erste Zweifler-Trilogie war damals bereits auf Deutsch erschienen) und wie er die alte Tolkien-Geschichte in die Tiefe dehnt und dehnt. Und ich ging nochmals auf Monaco ein, ohne freilich zu wissen, dass dessen erster und dritter Grals-Roman jeweils für den Pulitzer-Preis, Segment Belletristik, nominiert worden waren. Das hätte ihn, den grauhaarigen Fontane-Bewunderer, gewiss schon irgendwie beeindruckt. Ich glaube nicht, dass er am nächsten Tag sofort seinen Fontane wegschmiss und in die Buchhandlung lief, um sich den ganzen Fantasy-Kram zu kaufen, aber dieser klitzekleine Austausch hatte zweifellos ein bisschen etwas korrigiert.
Etwas später, in der Oberstufe, äußerte meine Englischlehrerin etwas Abfälliges über den Herrn der Ringe, er sei ja rassistisch und nordisch und so, aber ich verzichtete darauf, sie zu korrigieren. Ich bemerkte instinktiv keine Neugier bei ihr, keinen Willen, sich auf eine andere Meinung einzulassen, sondern sah nur das politisch korrekte linke Vorurteil in ihren Äuglein glitzern.
Was ich den Lehrern nicht erzählte und auch nicht erzählen wollte, war, dass ich mich sehr wohl auch jenseits der Werthaftigkeit aller Kunstwerke hemmungslos dem Eskapismus hingegeben hatte und nicht nur nichts Schlimmes daran fand, sondern es überhaupt nicht mehr missen wollte. Ach, diese heutigen Feuilleton-Flatulenzen wehen reichlich spurlos an mir vorbei.

3 Kommentare:

  1. Bei mir war es genau andersrum: Während mein Vater eher ziellos (fast) alles liest, was nach Sci-Fi oder Fantasy aussieht, wurde ich von meinem Geschichtslehrer, der auch als Leiter der Schach-AG fungierte, auf den Weg der Fantasy gebracht, als er mich mit Fritz Leiber vertraut machte.

    Eines einte die beiden aber: Die Abscheu gegenüber Perry Rhodan.

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  2. Lustige Anekdote. Wobei ich ja wirklich nicht verstehe, was man an Fontanes Prosa finden kann. Da hat die deutsche Literaturgeschichte doch wirklich spannenderes zu bieten...

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  3. Wobei das mit Brian Aldiss so falsch ja gar nicht wahr; immerhin hat er mit "Hothouse" einen Roman geschrieben, der garantiert als Fantasy veröffentlicht worden wäre (die Erde hat ihre Rotation eingestellt und ist über Spinnennetze (!!) mit dem Mond verbunden - hallo, soll das SF sein?), wenn es das Label damals (1962) als Marktkategorie schon gegeben hätte. Und "The Malacia Tapestry" von 1977 ist ein pikaresker Schelmenroman vor dem Hintergrund einer Stadt, in der sich niemals etwas wirklich verändert (und bei dem einerseits wohl der von dir ebenfalls verehrte M. John Harrison und seine Viriconium-Sequenz Pate stand und man sich andererseits fragen kann, ob nicht vielleicht China Miéville ein bisschen - nur ein bisschen - von Malacia inspiriert wurde, als er PSS geschrieben hat ;-)) - ein in mehrfacher Hinsicht fantasytypisches Motiv.
    Ansonsten versuche ich es auch mit Gelassenheit, das gelingt mir mal mehr, mal weniger - und wenn ich aus anderen Gründen sowieso schon schlecht drauf bin, klappt es eher überhaupt nicht. *schulterzuck*

    Viele Grüße
    Gerd

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