Dienstag, 21. April 2009

Tröa

Wenn ich auf dem Dorf bin, fahre ich zwischendurch gerne mal nach Trier. (Tröa, wie der Einheimische sagt.) Meistens dann, wenn ich eine besonders pralle Geldbörse habe. Es ist bloß das ganze Kleingeld, und die Parkscheinautomaten in Tröa sind ideal, um den Geldbeutel zu verschlanken und zwei Handvoll 10-Cent-Münzen loszuwerden. Und wenn man dann schonmal da ist und zwei, drei Stunden warten muss, bis die Parkzeit abläuft, kann man eben auch eine Runde drehen. Wird ja sonst langweilig, die ganze Zeit im Auto zu sitzen.
Dann kauft man sich eben mal ein neues Sakko, das farblich zu dem Hawkwind-Anstecker passt, der einer neuen Sommertextilie harrt. Man sitzt zehn Minuten in der Sonne vorm Dom, betrachtet dieses wirklich ziemlich einmalige Bauwerk und stellt fest, dass der Zausel, der dort gerade sein Fahrrad vorbeischiebt, vor 25 Jahren exakt genauso aussah. Nur die Haut ist irgendwie noch ledriger. Schön, am lebenden Beispiel zu erfahren, dass Kiffen einen doch nicht zwangsläufig früh ins Grab bringt. Apropos Grab: Die dynamischen Rentner auf der Bank nebenan regen sich lautstark über gemeinsame Bekannte auf, die ständig im Internet herumhängen und mit Online-Bekannten über ihre Zipperlein quaken, statt bei schönem Wetter spazierenzugehen. Ich fühle mich von so viel rhetorischem Bewegungsdrang gescheucht, also weiter geht’s hintenrum durch das Gässchen mit dem bezeichnenden Namen „Sieh um dich“ zum Drei-Finger-Joe. Der ist vermutlich auch längst bei seinen Ahnen, aber die schwitzende Matrone, die seine Imbissbude bedient, macht das jetzt auch sicher schon 15 Jahre. Weiter zur Porta Nigra, einfach aus Respekt vor dem Riesending, an den Nippeshändlern, Porträtzeichnern und ihren nipponesisch-amerikanischen Opfern vorbeischlängeln und einmal anschlagen am uralten Schwarzen Tor, das für die Ewigkeit gebaut wurde. Dann noch zu den DVD-Billigschütten, wo zwei Mädchen nach einen bestimmten Film mit Josh Hartnett kramen und beim Vorbeugen ihre Arschgeweihe zur Geltung bringen. Ein seltsamer Typ teilt nach zwei Minuten Suche seiner philippinischen Frau mit: „Ist nix Gescheites da.“ Stimmt so nicht, ich fand immerhin An American Crime für 3,99.
Auf dem Rückweg vorbeigeschlenkert am ehemaligen Verlagshaus, in dem ich mein erstes eigenes Geld verdiente, heute ein Hotel, vorbei am seltsamen Waffenladen, in dem ich mein erstes Schwert kaufte, dann noch ein nicht zu verachtender Abstecher zur Ungers-Vitrine, dem gläsernen Schutzbau der Viehmarkt-Thermen, wo der ledrige Zausel von vor 25 Jahren schon wieder sein Fahrrad vorbeischiebt. Als ich dort fünf Minuten auf den Stufen sitze, erlebe ich eine Überraschung: In schnellem Business-Schritt stiefelt jene Frau vorbei, die wir spätpubertierenden Lurche an der Uni damals heimlich „Balkonfrau“ nannten. Zugegeben, nicht sehr originell für eine junge Frau mit entzückenden Rundungen und einem prachtvollen Vorbau. (Tut mir leid, wenn das jetzt sexistisch ist, aber das Zusammenwirken der Kräfte war wirklich ziemlich auffällig.) Und dann bot sie eine der verblüffendsten Verwandlungen der damaligen Epoche, denn sie trat zu Beginn an als schlurfende graue Maus mit ewig demselben unvorteilhaften Rollkragenpulli, blassem Gesicht und zurückgebundenen Haaren und wurde über Nacht – buchstäblich über Nacht – zur attraktiven Business-Domina mit teurem Outfit, knallrotem Lippenstift, wallendem Haar, fixem Schritttempo und hoch erhobener Nase. Sie war auf einmal der Star des Foyers, und niemand konnte sich diese Verwandlung erklären. Wir waren sehr eingeschüchtert. Nun, auf Business macht sie heute immer noch, der Schritt ist genauso schnell, nur die stattlichen Rundungen sind etwas abgeschmolzen.
Ich lächle in mich hinein wegen der Erinnerung, gehe noch am ollen Gymnasium vorbei, das seinen Hindenburg jetzt gegen Humboldt ausgetauscht und damit irgendeinen Originalitätspreis gewonnen hat, und nähere mich dem Parkplatz aus der Gegenrichtung, vorbei an den Lokalen mit dem schlechten Leumund und dem großen Krankenhaus. Ein weiblicher Pinguin springt vor einem Auto auf den Bürgersteig und verliert beinahe seinen Rosenkranz. Irgendwo da in der Gegend noch Wilfried Schmickler gesehen, aber er war es nicht, nur jemand, der ihm ähnlich sieht. Den echten erblicke ich dauernd in der Südstadt, aber nach Tröa würde er auch passen, rein optisch. Zuletzt dann zufällig über die Kreuzung, über die die Polizei mich damals mit Blaulicht gejagt hat.
Bei abgelaufener Parkzeit und wieder am Auto tun mir echt die Füße weh. Hätte ich nicht zuvor meine Geldbörse in den Automaten entleert, wäre die so schwer gewesen, dass ich diese Route nie und nimmer geschafft hätte.

1 Kommentar:

  1. Der Zeitpunkt Deines Besuches war glücklich gewählt. Auf dem Domfreihof ist tags darauf ein monströses Zelt gewachsen, geschätzt 20 x 30 Meter groß, der sonst so hübsche Sieh-um-Dich - Winkel dient nun Toilettencontainern als Standort. Heilig Rock lässt grüßen.

    AntwortenLöschen