Montag, 3. August 2009

Mittelalter auf der Wiese

Mittelalter-Festival. Eine Veranstaltung mit gewissem Unterhaltungs- und Grenzwertigkeitsfaktor und deswegen unbedingt empfehlenswert. Auch zum spaßigen Korinthenkacken. Für ein paar Stunden, dann nutzt es sich ab.
An der Kasse am Eingang werden 20 Euro vom Wechselgeld ungefragt in „Goldtaler“ umgetauscht, die Festival-Währung. Panik macht sich breit. Muss ich jetzt die ganzen 20 Euro respektive Goldtaler hier unters Volk werfen? Nein, nein, alles okay, man kann die nicht verwendete Parallelweltwährung beim Verlassen des Geländes an der Kasse wieder zurücktauschen. Aber es wird sich als unproblematisch erweisen, den Großteil der Goldtaler für Verpflegung loszuwerden.
Mittelalter-Festival. Ein Wirtschaftszweig, der sich selbst ernährt. Versicherungsfachangestellte und Ergotherapeuten markieren am Wochenende Ritter und Burgfräulein und rüsten sich aus bei Händlern, die spezialisiert sind auf Versicherungsfachangestellte und Ergotherapeuten, die am Wochenende Ritter und Burgfräulein markieren. Man kann sie ganz gut auseinander halten, die kostümierte bürgerliche Mitte und die Aussteiger, die von ihr leben.
Dazwischen einige Belege für die Richtigkeit der These, dass Fantasy besser zwischen Buchdeckeln verbleibt: Elfenohren aus Hartgummi. Elfenflügel aus Weichgummi. Teufelshörner aus Plastik. Notorische Legolasse. Hänflinge in Kettenhemden. Stark Kurzsichtige mit englischen Langbögen und vollem Köcher. Einssechzig große Freizeitkrieger mit zwei Meter langen Schwertern. 130 Kilo schwere Burgfräuleins. Kelten mit Allergiespray. Wikinger mit Springerstiefeln. Gothics, die, was ihre Kompatibilität mit dem Mittelalter betrifft, einem generellen Missverständnis aufsitzen. Und Wildschwein vom Spieß, das ungefähr 25 Prozent zu teuer und definitiv nicht Wildschwein, sondern Hausschwein vom Spieß ist. Egal, schmeckt trotzdem.
Beschallt wird die Szenerie von diversen Musikbühnen aus. Hauptsache, es klingt irgendwie altertümlich. So wie zum Beispiel die Holländer, die aussehen wie losgelassene Manowar-Highlander, dramatisch die Nebelmaschine anwerfen und wild herumzucken, lustigerweise aber bloß jene schottischen Volksschnulzen spielen, die man Samstagabend in jedem Pub der Inseln vorgedudelt bekommt. Dort jedoch mit schottischem Akzent, nicht mit holländischem. Roger Whittaker hat einige dieser Songs auch schon auf Platte pressen lassen.
Die Schaukämpfe werden von tschechischen Cascadeuren ausgeführt, die mit pathetischem Gestus und dramatischem Ingrimm tausendmal einstudierte Schwertkloppereien zum Besten geben. Daneben ist „Fahrend Volker“ das Publikum abhanden gekommen, das beinahe geschlossen zu den prügelnden Rittern pilgert. Dabei ist Volker der eigentliche Star des Festivals: Jongleur, Zauberer und Entertainer mit einem charmanten All-Age-Programm, das wirklich Spaß macht. Volker besitzt jene Kombination aus Professionalität und Spontaneität, die einen großen Kleinkünstler auszeichnet. Buchen Sie ihn unbedingt für Ihr nächstes Firmenjubiläum, Sie werden was zu lachen haben.
Im Heerlager, in dem all die Re-Enactment-Gruppen sich übers Wochenende niedergelassen haben und grillen oder Sprudel trinken, sitzt eine verkleidete Frau vor einem Zelt, strickt und verkündet, dass sie so wenigstens etwas Sinnvolles zu tun hätte.
Nachdem wir gegen Ende noch ein wenig den holländischen Highlandern gelauscht und tanzenden Mädels in Waffenröcken zugesehen haben, haben wir am Ausgang allen Ernstes noch vier Goldtaler übrig zum Eintauschen in Rest-der-Welt-Währung.
Um 20 Uhr fahren die Wagen aufs Gelände und räumen die Festivität wieder ein. Nächstes Wochenende trifft sich die Parallelgesellschaft auf einer anderen Wiese der Republik.