Montag, 30. April 2012

Voran!

Onward. Das mag manchem als arg optimistischer Albumtitel erscheinen für eine Band, die in ihrem 43. Jahr steckt und deren Oberhaupt bald die 71 Lenze erreicht. Nach all den Jahrzehnten des stetigen Tourens unter eklatanten Phonzahlen müssten sowohl die Band wie auch ihr Publikum eigentlich längst tot sein. Oder zumindest taub wie eine Pfahlbausiedlung. Und um den Verstand gebollert, gerifft, gezischt und stroboskopiert sowieso. Nun ja, einige relevante Personen sind ja auch tot. Das Spaceship hat sie auf diesem oder jenem Planeten begraben, ihnen einen ausgebrannten Verstärker oder eine zerschmetterte Gitarre als Grabstein dagelassen und ist weitergeflogen auf der „never ending journey to the edge of time“. Onward eben.
Kaum eine Uralt-Band hat derart oft die ledrige Haut abgestreift und ist – trotz der allzu irdischen Querelen – immer wieder als Space-Crew aufgetreten, mal ungünstig zusammengewürfelt, mal tight und straff und aufeinander eingespielt wie kaum jemand sonst. So etwas hielt jung. Aber während der Nuller-Jahre schien es dann doch langsam so, als würde das Triebwerk nur noch fauchen statt brennen und das Spaceship eher driften, als Richtung „Onward“ das Vakuum zu durchpflügen. Die neugefundene Besetzung von 2009 – wie so oft hauptsächlich eine Verlegenheitslösung – brachte jedoch den Span wieder zum Glühen. Mit Sound und Songwriting, hartem Live-Brett und konzertanen Studioexkursen. Es erscheint in der Hawkwind-Saga schon fast als Kuriosum, dass Onward von exakt derselben Crew eingespielt wurde wie der Vorgänger Blood of the Earth: Brock, Chadwick, Blake, Dibs, Hone. Und es ist wirklich ein Weilchen her, dass zwei Studioalben derart schnell aufeinander folgten. Die Crew ist stabil, die Zehner-Jahre-Ästhetik ist stabil. Kurs „Onward“. Nun ist sie endlich da, die neue Platte, eine Doppel-CD mit Bonusmaterial. Achtzehn Tracks,  82 Minuten nichts als Sound und noch mal Sound. 
Ich gebe zu, ich hätte es selbst kaum für möglich gehalten, dass die Band noch mal zu einer solchen Form aufläuft. Onward ist ein herausragend gutes Hawkwind-Album, das zu den Top Ten besagter 43 Jahre gezählt werden muss. Modern, kreativ, ruppig. Blood of the Earth war offenbar nur ein Atemholen, eine erste Sondierung, zu was die neue Besetzung fähig sein könnte. Onward kommt nun daher als optimierter Raubsaurier in schillerndem Schuppenkleid. Ein Kampfkoloss from Outer Space. 
Die Opener, die beiden miteinander vertäuten „Seasons“ und „The Hills Have Ears“, schmettern einem schon mal gleich die Zwiebel aus dem Schädel. Sie platzieren schwere Metal-Artillerie auf den Hügelkämmen und legen los. Meine Herr’n, das hollert im Tal! Schnelle Riffs, angetrieben von dem typischen melodieführenden, brachial-ziselierten Bass, Richard Chadwicks Getrommel und Dave Brocks förmlich herausspritzender Lead-Gitarre. Die psychedelischen Leads im zweiten Stück spielt Gastmusiker Huw Lloyd-Langton, und man erkennt den alten Recken sofort wieder. Dazu gibt es alarmistische, drängende Melodiebögen, die klarstellen, warum diese spezielle Musik einst als Missing Link zwischen Hippie- und Punk-Kultur galt. Dazwischen kommt es zu verblüffenden Phasen des elektronischen Waffenstillstands, so gezwirbelt und unberechenbar, dass völlig unklar ist, wann die nächsten Schläge erfolgen. Aber sie erfolgen, so viel ist sicher. Tatsächlich ist die Schlussoffensive von „The Hills Have Ears“ das Enthusiastischste, was Hawkwind seit 20 Jahren eingespielt haben. Da wirbelt das bisschen verbliebene Haupthaar des Hifi-Anlagen-Nutzers wie von selbst, und die Wampe schlackert bedenklich. Und wie lange hält der Nacken das noch aus? Die Verschnaufpause, die einem „Mind Cut“ danach offeriert, wird gerne angenommen: ein netter Brock-Output mit Seventies-Flair und Akustikgitarre, floydianisch geradezu. Gerüchten zufolge stammt der Rohbau dieses Stücks aus Dave Brocks Straßenmusikerzeit, also so 1967/68. 
Das alles ist unverschämt dichter Eklektizismus, bei dem das Kollektiv wie üblich zusammenspielt, alle zugleich auf der Szene sind und eine wunderbare Unübersichtlichkeit erzeugen, selbst in einem ausbaldowerten Song wie „The Prophecy“, bei dem Dave Brock sich seiner alten Tugenden erinnert: Mach es einfach, mach es schön. Und Richard Chadwick steuert ein paar rhythmische Unberechenbarkeiten dazu bei. „Southern Cross“ hingegen erweist sich als Kreuzung aus den Stücken „Green Machine“ und „Going to Hawaii“ und ist eines jener hawkwindtypischen Audio-Äquivalente einer National-Geographic-Fotostrecke. Vor allem Chadwicks tolle rhythmische Ausgestaltung und Blakes symphonische Kaskaden machen es zu einem Ereignis. „The Drive By“ ist eine von unaufhörlichen Soundwellen, Gitarrengejammer und Synth-Kaskaden umspülte Drum’n’ Bass-Exkursion, die im Abgang stark nach Chemical Brothers schmeckt, während das mächtige Stakkato-Ungeheuer „Computer Cowards“ sich mit zornigen Worten und eindeutiger Ablehnungspose dem Shitstorm-Phänomen widmet und der Tatsache, dass kleine Würstchen anonym ihre Bedeutungslosigkeit kompensieren möchten, sobald sie einen Computermonitor vor sich haben. 
Der alte Punkrock-Song „Death Trap“, einziges Remake unter den ansonsten frischen Stücken der ersten CD, gerät zum tuckernden, freischwingenden Industrial-Funk. Genau so sollte sich eine Neuaufnahme anhören, die sage und schreibe 34 Jahre überbrückt. Was für ein Drive, was für Lärmattacken, was für Hammerschläge! Auch die kleinen Zwischenstücke „Electric Tears“, „Howling Moon“, „Deep Vents“ sowie das Schlussstück des „Mystery Track” verdienen unbedingt Beachtung, sind sie doch lupenreine musique concrete und gestalten vielleicht noch stärker als die gestrafften Songs den audiophilen Abenteuerspielplatz aus, den Onward darstellt. 
Bis Track-Position 11 ist mit diesem Album nicht nur alles in bester Ordnung, es ist ein Spacerock-Meisterwerk, das einen mit imponierender poetischer Leichtigkeit und brutaler Sound-Hyperaktivität an die Wand dübelt, bis man sich nicht mehr wehren kann. Danach wird es etwas seltsam.  
Die drei „Bonustracks“ finden sich mittendrin im Geschehen, nicht ans Ende geklatscht, wie anderswo üblich, und bilden eine eigenartige Sequenz, die in die Syntax des Albums parenthetisch hineingequetscht wurde. Die Stücke stammen von 2007/8, und an ihnen wirkte noch der verstorbene Keyboarder Jason Stuart mit. Es scheint sich um Studio-Sessions zu handeln, die auch soundtechnisch aus dem Rahmen des Albums fallen. Die Neuaufnahme von „Right to Decide“ (1992) ist nett gemeint, aber der wie von 1973 importierte Sound dampft die gleißenden Gitarrenpop-Obertöne des Originals ein. Erkenntnisfördernd ist hingegen das Remake von „Aero Space Age (Inferno)“, das mehr denn je durch eine schwere, treibende Rhythmusgruppe auffällt, während die Gitarre etwas nach hinten geschoben wurde und eine allgegenwärtige bedrohliche, unterschwellige Stimmung erzeugt. Es ist gut, dass dieser starke Song das Album nach hinten raus noch mal anhebt. „The Flowering of the Rose“ ist ein Studio-Jam, an und für sich nett und schön virtuos, aber er wirkt, als hätte er sich auf dieses Album verirrt. Jedenfalls schaut er ein bisschen orientierungslos aus der Wäsche. Das Remake von „Green Finned Demon“ erschien bereits 2011 als Download, wobei die Einnahmen an die Umweltorganisation „Sea Shepard“ gingen. Das Stück gehört zu den schönsten der Band, aber das Remake wurde zu vollgestellt mit Sound, die zahllosen großartigen Effekte des Original von 1984 verschwinden darunter, die melancholische Note auch, und ihm fehlt das unterschwellige, aber bissige Riff, das diese Meditation über submarine Fantasy-Ästhetik damals befeuerte. Der grünflossige Dämon wird hier eher ersäuft. Glücklicherweise passiert das bei keinem anderen der Stücke. 
Von entscheidender Bedeutung sind unter den Tracks 12-18 der hypernervöse Proto-Techno-Flirrer „Trans Air Trucking“ sowie der abschließende, verborgene „Mystery Track“, eine Spoken-Word-Rezitation, die von bunkerbrechendem Stoner-Rock und HW-typischem Blanga vorangetrieben wird und in einer formidablen dreiminütigen Sound-Collage endet, die einen mit kreischenden Ohren und hochbefriedigt zurücklässt. 
Die etwas merkwürdige Balance des Albums, die im dritten Viertel ins Wanken zu geraten droht, ist der Tatsache geschuldet, dass die Band die Fans bedient und ihr Marktkonformität und kommerzielle Geschmeidigkeit herzlich egal sind. Ein kommerziell denkender Produzent hätte das dritte Viertel des Albums schlicht gestrichen – und wäre dabei immer noch auf eine beträchtliche Laufzeit gekommen. 
Was also haben wir hier vor uns? Ein Bandkollektiv, das tut, was es will. Das sein eigenes Genre ist. Das kein zweites Mal in diesem Universum existiert. Es kann brutaler bolzen als jede andere Saurier-Band, anspruchsvoll konzertan jammen und „proggig“ sein oder entspannt sein musikalisches Pfeifchen rauchen. Es driftet eskapistisch durchs All und huldigt der Poesie der Gasnebel, wird dann aber plötzlich sehr irdisch und konkret. Es kann elysischen Pop produzieren, wenn es will, schweren Metal-Punk und Industrial genauso, kann auf Rekreation und Bewusstseinsauslagerung machen, kann hell erleuchtet sein und stockdunkel, ruhig und hibbelig. Und es versteckt haufenweise Ideen und Sounds in seinem ureigenen Gasnebel; auf manche stößt man erst beim zwanzigsten Hören. 
Neuankömmlinge im Habicht-Universum werden erstmal verwirrt sein angesichts dieser ständigen Kollisionen. Onward arbeitet sich durch die Magengrube übers Rückenmark bis in den Thalamus vor und setzt sich dort fest wie ein Symbiont. Herrschaftszeiten, wenn das so weitergeht, dann erweist sich der Albumtitel doch noch als überaus zutreffend.

Drive-it Day

An so einem Drive-it Day weht einen der Odem der Vergangenheit an. Hauptsächlich sind es wundervolle Premium-Abgase. Dieses olfaktorische Erlebnis, das einem Kindheit und Jugend versüßte, gibt es heute schlicht nicht mehr. Dazu kann man überall beträchtlichen Hubraum bewundern, phänomenalen Verbrauch, Motorgrollen wie in der Steve-McQueen-Ära und waghalsiges, sexy Design. Heckflosse, Kühlergrill, Weißwandreifen und automobile Phänotypen in allen nur denkbaren Varianten. Der gigantische Dodge mit dem Leverkusener Kennzeichen musste auf dem Weg hierher bestimmt zweimal tanken. Die Umweltzone ist derweil außer Kraft gesetzt. 
Der Drive-it Day ist eigentlich eine britische Einrichtung. Stolze Besitzer von Oldtimern und anderen alten Autos fahren ihre blankgeputzten Karossen in Rudeln spazieren und fachsimpeln untereinander und mit dem Publikum, was das Zeug hält. „Das Auto als Familienmitglied“ überschreibt die Zeitung das Phänomen. Das MAKK (Museum für Angewandte Kunst Köln) hat einen solchen Fahr-es-herum-Tag erstmals in Deutschland veranstaltet, und zwar mitten in der Innenstadt ums Museum herum. Das Wetter ist schön, der ADAC-Pannendienst und der Abschleppwagen sind da. Kann es Schöneres geben? Mehr als 400 Oldtimer (bzw. deren Besitzer) hörten den Ruf des MAKK. Viele aus dem Rheinland, manche von weither. Dazu ein nicht abreißender Publikumsstrom. Ein voller Erfolg. 
Die Autos sind drumherum geparkt und dürfen in aller Ruhe begutachtet werden, oder sie schleichen im Korso um den Block. Aus dem Kühler des Lancia qualmt es bedenklich, die Porsches hingegen laufen und laufen und laufen, und die Ami-Schlitten sind entschieden zu groß für deutsche Innenstadt-Parkbuchten. Besonders auffällige Exemplare werden auf die Rampe vorm Museumseingang gewunken, wo ein Professor für Design sie ausgiebig bewundert und kommentiert. Spontan und souverän. Der Mann kennt sich eben aus. Beim Herunterfahren wehrt sich der NSU Ro 80 standhaft gegen alle Versuche, ihn wieder in Gang zu bringen. Die Stimmung bei den Zuschauern schwankt zwischen Amüsement und Mitleid. So was kann passieren, denn das ist die dunkle Seite der Automobil-Nostalgie: Man kommt zwar auf die Rampe rauf, aber nicht mehr runter. Das ging vielen damals im Italien-Urlaub auch so: Man kam zwar auf den Brenner rauf, aber nicht mehr runter.
Hier die Fotostrecke zu einer rundum gelungenen Veranstaltung.

Samstag, 28. April 2012

Mitteilungen von einiger Relevanz

Da geht man mal zwischendurch auf den Balkon, und plötzlich ist da Hochsommer. Dabei ist die letzte Zigarettenpause doch noch gar nicht lange her, und da war noch Graupel. Die Eierköpfe haben recht: Der Planet schlingert. Auf dem Balkon am meisten. 

Der Nachbar ist ausgezogen, jetzt kommt „ein Regisseur“. Gerüchten zufolge handelt es sich um einen illegitimen Enkel Fellinis, dessen Filmographie Titel aufweist wie Alarm für Mama Miracoli, Eine Faust geht nach Nordosten und Schlacht um Galaxis X-5. Mal gespannt. 

Extrascharfer Senf ist eindeutig der beste Senf.

Ich habe bisher noch kein einziges Wahlplakat der Piratenpartei gesehen. Sonst hätte ich ein Hitlerbärtchen auf das Segel gemalt.

Mittwoch, 25. April 2012

Image

Heute in der Zeitung: Ergebnis einer Studie. Attraktive Freunde auf Facebook fördern das eigene Image. 
Zu meinen Freunden auf Facebook gehören Ernst das Messer, die-Frau-die-brabbelt, der-Mann-der-Liberty-Valance-erschoss, Renate Künast, der-Typ-der-neulich-gegen-einen-Laternenmast-rannte sowie Attila der Hunne. Ist mein Image noch zu retten?

Samstag, 14. April 2012

Meister des Zen

Ich stehe irritiert im Supermarkt. Was war es noch, was ich mitbringen sollte? Von zwei Sachen hat sie gesprochen. Eine davon war Lätta. Aber das zweite? Was war das zweite? Sie hat sogar angeboten, mir einen Zettel zu schreiben, aber ich winkte natürlich ab: „Bin ich etwa tattrig?“ 
Ich lege die Hand an die Schläfe, wie um die Erinnerung hervorzukramen, aber da kommt nichts, weil da nichts ist. Ich begebe mich in den Meditationsmodus, verharre reglos im Gang, inmitten hektischer Wochenendeinkäufer, die um mich herum zu Schlieren werden, zu Nachbildern zeitbeschleunigter transdimensionaler Schattenwesen. Ich versenke mich tief in mein Ich, erkunde das innerste Selbst. Atman, Brahman. Innerstes Selbst. Omm. Meister des Zen. Stochere an der Peripherie und arbeite mich von da nach innen, lasse das Kurzzeitgedächtnis zurückspulen und drücke im Geiste auf Play. Nichts drin außer einem dicken lächelnden Mann mit prallem Bauch, herumschwirrenden kleinen Englein mit nackten Ärschen und einem japanischen Bogenschützen, der ganz langsam, gaaanz langsam die Sehne spannt und auf ein hundert Meter entferntes Ziel anlegt. Lätta und …? Was war das zweite? War es Speiseöl? Rote Bohnen? Dieser rosa Plüschlöwe? Nee. Linsensuppe vielleicht? Joghurt? Der Paprika-Käse-Brotaufstrich, den sie gerne isst? Cornflakes? Aber welche Geschmacksrichtung? Irgendwas mit Zimt? Oder Schoko? Der ferngesteuerte Mini-Helikopter vielleicht? Eine Carrera-Bahn? Eher unwahrscheinlich, aber wer weiß? Gartenmöbel? Zahnpasta? Kekse? Brillenputztücher? Die Sport-T-Shirts aus dem Angebot? Keine Ahnung. Zerknirschung macht sich breit, ich kaue an den Fingernägeln. Der Meister des Zen kauft einfach alles auf Verdacht und schiebt es zur Kasse. Auf dem Nachhauseweg, keuchend und mit Beuteln und Tüten behängt wie ein thailändischer Arbeitselefant, denke ich weiterhin ständig: Was war bloß das zweite?  
Zehn Minuten später, wieder daheim, sagt sie zu mir: „Der rosa Löwe ist wirklich niedlich. Für diese Carrera-Bahn haben wir aber kaum Platz. Der Helikopter benötigt noch Batterien. Die T-Shirts sind mir zu groß. Aber wo ist die Mayonnaise?“

Dienstag, 10. April 2012

Das Münzproblem

Eines der Probleme von klassisch sozialisierten Männern ist das Münzproblem. Männer reichen um der Bequemlichkeit und der reibungsloseren Abwicklung willen an den Kassen dieser Welt meistens Scheine. Sie erhalten dann Münzen als Wechselgeld, und im Münzfach stauen die sich auf, bis der Geldbeutel kaum noch in die Hosentasche passt. 
Aber Männer werden aus ihrer prallen Not gerettet von etwas älteren Netto-Kassiererinnen, die gerade einsam an der Kasse sitzen. Wenn der Mann beim Rechnungsbetrag von 27,72 € zwei Zwanziger-Scheine reicht, die Kassiererin aber mitbekommt, dass im Münzfach ein beachtlicher Klimperknoten herrscht, fordert sie den Mann einfach auf, das Münzfach hier und jetzt zu entleeren. Gesagt, getan, auch wenn der Mann sich gerade vorkommt wie ein dementer Rentner. Dann wird gezählt. Nein, die 50-, 20- und 10-Cent-Stücke reichen nicht, um die 7,72 € vollzumachen, aber immerhin die 5,72. Dann gibt es einen Zehner- und einen Fünfer-Schein zurück. Außerdem wird der Rest des Münzmaterials eingezogen und durch größere Münzwerte ersetzt, „damit der Geldbeutel länger hält“. Der Mann hat unter den flinken Abzählfingern der Kassiererin längst jede Übersicht darüber verloren, was da gerade mit seinen Münzen geschieht, aber es wird schon stimmen. 
Die Frage, die ihn viel eher beherrscht, ist folgende: Findet er die Kassiererin jetzt so nett, weil sie so mütterlich rüberkommt, oder doch eher, weil sie ihn an seine zukünftige Altenpflegerin erinnert?

Montag, 9. April 2012

Logopädie

Muss ich zum Logopäden, oder hat die Welt was an den Ohren? Ich verlange am Kiosk „Zwei Päckchen von den gelben Gauloises, bitte.“ Der Typ äußert etwas, das sich anhört wie: „Zwei Packs?“ Ich sage: „Yo.“ Und dann reicht er mir zwei Flaschen Beck’s. 
Sind tatsächlich Zweifel an der eigenen Artikulationsfähigkeit angebracht, oder hatte der Typ einfach nur Ostereier in den Gehörgängen?

Dienstag, 3. April 2012

Druckknöpfe

Bitte keine Hemden mit Druckknöpfen mehr schenken. Sie sind eine kulturhistorische Verirrung. 
Der oberste Knopf eines Hemdes hat selbstverständlich offen zu bleiben – und verhakt sich bei jeder Kopfbewegung mit den Barthaaren, so dass es ziept und reißt und der Mann den ganzen Tag lang schreien muss vor unsäglicher Pein und Qual. 
Gerüchten zufolge wurden diese Knöpfe 1623 in Padua von einem Herrenschneider der Inquisition erfunden. Der damalige Großinquisitor für den Großraum Padua, bärtig und modisch up to date, rannte den ganzen Tag schreiend und fluchend durch seinen Inquisitorenpalast und rief, selbstverständlich auf Italienisch: „Hier stimmt was nicht! Hier stimmt was nicht!“ Er ließ den Herrenschneider hinrichten, aber dessen Gesellen fertigten weiter Hemden mit Druckknöpfen, weil sie ja gar nicht wussten, was los war. Also ließ der Inquisitor die auch hinrichten. Und ihre Familien. Und das Vieh. Er ließ auch das gesamte Herrenschneider-Viertel einebnen und überall ästhetisch hochwertige Spätrenaissance-Springbrunnen errichten. Das alles gefiel den Honoratioren Paduas gar nicht, weil erstens die Wasserrechnung drastisch stieg und weil sie zweitens nix mehr anzuziehen hatten. Also ließen sie den Großinquisitor hinrichten. Und seine Mätressen. Und die Bastarde. 
Erst ein cleverer Dominikanermönch aus Herzogenrath namens Bertram von Herzogenrath, der seinerzeit als Gast in Padua weilte, kam dahinter, dass diese Kleidungsstücke sich sehr gut eigneten, bärtigen Delinquenten – und das waren damals so gut wie alle – Geständnisse abzupressen. „Nein! Gnade! Ich gestehe! Nicht das Hemd mit den Teufelsknöpfen!“ Bertram wurde später zum Kardinal ernannt, nach einem Monat aber gevierteilt, weil sich herausstellte, dass er eine Frau war. Wie gesagt, nur Gerüchte.

Montag, 2. April 2012

MMXII

Da Jaz Coleman immer schon den Weltuntergang prophezeit hat und es dieses Jahr endlich so weit ist, ist das neue Killing-Joke-Album natürlich von gesteigertem Interesse. Interpretieren wir den Maya-Kalender auch bloß richtig? Was rät uns Ihro Gruseligkeit, der Post-Punk-Schamane? Ist er böse drauf, hat er noch Wut, die raus muss, oder äußert er sich angesichts des kommenden Endes doch eher versöhnlich? 
Nun ja, MMXII ist im Grunde ein normales KJ-Album. Es verfügt natürlich über den liebgewonnenen Mix aus brutalster Gewalt und elysischem Schweben. Es ist bösartig, und es ist versöhnlich. Quantenphysik-Mystizismus, die Utopie einer globalen spirituellen Reinigung, der nächste Sonnensturm kommt bestimmt, in dessen Strahlung wir baden werden. Schmeißt die Scheiß-Apple-Gerätschaften weg, werft euch das Ziegenfell über und tanzt wie die Irren, die ihr seid. Und erleuchtet die Friedhöfe, denn die Toten sind uns heute näher denn je. Ehrt die Vergangenheit und nehmt euch nicht so wichtig. Magnetpolverschiebung als Metapher für Paradigmenwechsel. Dazwischen immer mal wieder glasklarer Polit-Rock über die „Fema Camps“ oder käufliche Politik. Und der wunderschöne, kunstinspirierte Rückzug ins private Elysium auf „In Cythera“, dem schönsten Popsong seit „European Super-State“. 
Der Sound ist bretthart und dick, industrielle Symphonie. Paul Fergusons Schlagzeug hört sich an, wie wenn Baumstämme rhythmisch auf Beton fallen. Martin „Youth“ Glovers Basslinien und seine Synth- und Sequencer-Passagen treiben die Lemminghorde gnadenlos voran, und wenn Geordie Walkers Riffs Gebäude wären, dann zweifellos romanische Kirchen. Vor allem Colemans Gesang führt dieses überlebensgroße, fast wagnerianische Gedröhne und Geschiebe zurück auf menschliches Maß und verleiht ihm Seele. Er lässt seine Refrains in eine Ewigkeit hinter dem Horizont schweifen. Alles Streben ist noch dem Irdischen verhaftet, aber der Schamane schwebt schon über den Riffs und Beats und den Dingen der Welt und erblickt die Utopie der Unio mystica. Sehr schön, sehr laut, sehr ekstatisch. Darf geliebt werden.

Vor Ostern noch erledigen


  • DVD-Sammlung: Jesusfilme sichten, „Ben Hur“ rauslegen. Popcorn, Vuvuzelas, Körperöl.
  • Schoko-Hasen kaufen, Nest verstecken (hinter den Pfandflaschen!).
  • Hasenohren und -schwänzchen für Gattin kaufen.
  • Amazon-Bestellung „Himmelfahrtsmaschine“ (Sakralbedarf) nicht vergessen.
  • Pfarrgemeinderat von meinem avantgardistischen Passionsspiel-Drehbuch überzeugen.
  • Körperfarbe für Rolle „Blauer Elefant“ in Passionsspiel kaufen.
  • Kirche fegen.
  • Duschen.