Montag, 2. April 2012

MMXII

Da Jaz Coleman immer schon den Weltuntergang prophezeit hat und es dieses Jahr endlich so weit ist, ist das neue Killing-Joke-Album natürlich von gesteigertem Interesse. Interpretieren wir den Maya-Kalender auch bloß richtig? Was rät uns Ihro Gruseligkeit, der Post-Punk-Schamane? Ist er böse drauf, hat er noch Wut, die raus muss, oder äußert er sich angesichts des kommenden Endes doch eher versöhnlich? 
Nun ja, MMXII ist im Grunde ein normales KJ-Album. Es verfügt natürlich über den liebgewonnenen Mix aus brutalster Gewalt und elysischem Schweben. Es ist bösartig, und es ist versöhnlich. Quantenphysik-Mystizismus, die Utopie einer globalen spirituellen Reinigung, der nächste Sonnensturm kommt bestimmt, in dessen Strahlung wir baden werden. Schmeißt die Scheiß-Apple-Gerätschaften weg, werft euch das Ziegenfell über und tanzt wie die Irren, die ihr seid. Und erleuchtet die Friedhöfe, denn die Toten sind uns heute näher denn je. Ehrt die Vergangenheit und nehmt euch nicht so wichtig. Magnetpolverschiebung als Metapher für Paradigmenwechsel. Dazwischen immer mal wieder glasklarer Polit-Rock über die „Fema Camps“ oder käufliche Politik. Und der wunderschöne, kunstinspirierte Rückzug ins private Elysium auf „In Cythera“, dem schönsten Popsong seit „European Super-State“. 
Der Sound ist bretthart und dick, industrielle Symphonie. Paul Fergusons Schlagzeug hört sich an, wie wenn Baumstämme rhythmisch auf Beton fallen. Martin „Youth“ Glovers Basslinien und seine Synth- und Sequencer-Passagen treiben die Lemminghorde gnadenlos voran, und wenn Geordie Walkers Riffs Gebäude wären, dann zweifellos romanische Kirchen. Vor allem Colemans Gesang führt dieses überlebensgroße, fast wagnerianische Gedröhne und Geschiebe zurück auf menschliches Maß und verleiht ihm Seele. Er lässt seine Refrains in eine Ewigkeit hinter dem Horizont schweifen. Alles Streben ist noch dem Irdischen verhaftet, aber der Schamane schwebt schon über den Riffs und Beats und den Dingen der Welt und erblickt die Utopie der Unio mystica. Sehr schön, sehr laut, sehr ekstatisch. Darf geliebt werden.