Samstag, 14. April 2012

Meister des Zen

Ich stehe irritiert im Supermarkt. Was war es noch, was ich mitbringen sollte? Von zwei Sachen hat sie gesprochen. Eine davon war Lätta. Aber das zweite? Was war das zweite? Sie hat sogar angeboten, mir einen Zettel zu schreiben, aber ich winkte natürlich ab: „Bin ich etwa tattrig?“ 
Ich lege die Hand an die Schläfe, wie um die Erinnerung hervorzukramen, aber da kommt nichts, weil da nichts ist. Ich begebe mich in den Meditationsmodus, verharre reglos im Gang, inmitten hektischer Wochenendeinkäufer, die um mich herum zu Schlieren werden, zu Nachbildern zeitbeschleunigter transdimensionaler Schattenwesen. Ich versenke mich tief in mein Ich, erkunde das innerste Selbst. Atman, Brahman. Innerstes Selbst. Omm. Meister des Zen. Stochere an der Peripherie und arbeite mich von da nach innen, lasse das Kurzzeitgedächtnis zurückspulen und drücke im Geiste auf Play. Nichts drin außer einem dicken lächelnden Mann mit prallem Bauch, herumschwirrenden kleinen Englein mit nackten Ärschen und einem japanischen Bogenschützen, der ganz langsam, gaaanz langsam die Sehne spannt und auf ein hundert Meter entferntes Ziel anlegt. Lätta und …? Was war das zweite? War es Speiseöl? Rote Bohnen? Dieser rosa Plüschlöwe? Nee. Linsensuppe vielleicht? Joghurt? Der Paprika-Käse-Brotaufstrich, den sie gerne isst? Cornflakes? Aber welche Geschmacksrichtung? Irgendwas mit Zimt? Oder Schoko? Der ferngesteuerte Mini-Helikopter vielleicht? Eine Carrera-Bahn? Eher unwahrscheinlich, aber wer weiß? Gartenmöbel? Zahnpasta? Kekse? Brillenputztücher? Die Sport-T-Shirts aus dem Angebot? Keine Ahnung. Zerknirschung macht sich breit, ich kaue an den Fingernägeln. Der Meister des Zen kauft einfach alles auf Verdacht und schiebt es zur Kasse. Auf dem Nachhauseweg, keuchend und mit Beuteln und Tüten behängt wie ein thailändischer Arbeitselefant, denke ich weiterhin ständig: Was war bloß das zweite?  
Zehn Minuten später, wieder daheim, sagt sie zu mir: „Der rosa Löwe ist wirklich niedlich. Für diese Carrera-Bahn haben wir aber kaum Platz. Der Helikopter benötigt noch Batterien. Die T-Shirts sind mir zu groß. Aber wo ist die Mayonnaise?“