Dienstag, 28. August 2012

Aliens

Eines der ewigen Lieblingsalben. Es bildet zusammen mit dem Vorgänger Book of Invasions und dem Nachfolger The Man Who Built America die Irland-Amerika-Trilogie der Horslips. Auf allen drei Covern findet sich eine mysteriöse Schale oder Scheibe, vermutlich spätantikes oder mittelalterliches keltisches Handwerk, welche die Platten visuell als zusammengehörig kennzeichnet. Auf dem Aliens-Cover wird sie auf die Gesichter der Bandmitglieder projiziert. 
Das erste Album ist thematisch angesiedelt in der mythischen Vergangenheit der Grünen Insel und findet für den Celtic Rock die endgültige Form. Niemals zuvor und niemals danach wurden feenzarte und pfeilschnelle Keltenklänge so überzeugend in Rockmusik überführt wie auf Book of Invasions von 1976. Für mich persönlich steckt das Album noch etwas zu sehr im verkünstelten Progressive Rock fest, und es ist mir ungeachtet der Brillanz einzelner Songs eine Spur zu ambitioniert. Aliens von 1977 erzählt die Geschichte weiter und berichtet streiflichtartig von den irischen Amerika-Auswanderungswellen ab dem 19. Jahrhundert. The Man Who Built America macht genau da weiter und schildert die Schicksale derjenigen, die in den USA heimisch wurden – inklusive natürlich des obligatorischen irischen Heimwehs. Dieses Album sollte auch dazu dienen, der Band den amerikanischen Markt zu erschließen, weswegen die Produktion zu glatt und zu mächtig zugleich ausfiel. Auch hier gilt: tolle Songs, aber insgesamt zu viel Mainstream und durchaus auch in Süßlichkeit umkippende Melancholie. 
Aliens dokumentiert ein Zwischenstadium zwischen verschnörkelt und mainstreamig. Die Platte erinnert sich sehr wohl an das mythische, nebelverhangene Irland und an die Notlagen, die zur Emigration ganzer Landstriche führten, weist aber auch schon die geschäftige Urbanität NYCs auf. Nachdem das Nebelhorn des New Yorker Hafens uns begrüßt hat, geht Aliens sofort in den Rock-Modus und scheppert uns grundsolide Riffs um die Ohren, sowie knochentrockene, hämmernde Drums, einen pluckernden Bass, wimmernde Keyboards und eine vielgestaltige E-Gitarre. Die Songs sind recht kurz, und in den wenigsten Fällen kommt es zu den typischen Übergängen einer „progressiven“ Rock-Suite mit mehreren Sätzen, einem Coda und all solchem Zeug – wie es noch auf Book of Invasions der Fall war. Die vielzähligen Klangfarben der traditionellen keltischen Instrumente werden nur noch zur Untermalung von Songs genutzt, die ansonsten von klassischen Rock-Strukturen und einer doppelten E-Gitarre geprägt sind. Nichtsdestotrotz finden ständig folkloristische Motive und Figuren Verwendung, die meist im Hintergrund operieren und den Rocksongs eine Tiefendimension geben. Auffällig ist ebenso die allgegenwärtige, an Jethro Tull angelehnte Querflöte, wohingegen Geige, Tin Whistle, Harmonika, Mandoline auf Soundtupfer reduziert werden. Das hat einigen eingefleischten Folk-Fans nicht gefallen, aber genau dieses Aufbrechen des Althergebrachten und ein bisschen Vernebelten zugunsten eines knackigen, modernen Hardrock-Sounds macht Aliens aus. So kommt es nämlich, dass die herzzerreißende Traurigkeit, die dem wahren Iren innewohnt, kollidiert mit rumpelndem, vor Melodiefreude überschäumendem Powerrock. Das alles kulminiert bereits auf Track vier im besten Celtic-Rock-Song, der mir je unterkam: „Sure The Boy Was Green“
Aber das ganze Album läuft rund und hat keinen, überhaupt keinen Ausfall. Selbst das etwas pathetische Instrumentalstück „Exiles“ bringt gestandene Kerle zum Heulen. „Come Summer“, im Grunde seines Wesens eigentlich eine Ballade, pluckert überraschend rockig daher, während beim todtraurigen „Ghosts“ wieder die Tränen fließen. „Stowaway“ hört sich an wie ein Chris-de-Burgh-Song, bevor Chris de Burgh dran war – ungezähmt nämlich. Und dann sind da natürlich ein halbes Dutzend nach vorne getrommelter, riffiger Rocker wie „Second Avenue“ oder „A Lifetime To Pay“, das gegen Ende kaum mehr aufhören will und es dann bedauerlicherweise doch tut. 
Wunderbare 38 Minuten und einer der seltenen Fälle, in denen der Mittelteil einer Trilogie der beste ist.

Montag, 20. August 2012

Oliver


Wir nennen ihn so wegen „Oliver Twist“. Er ist vermutlich unter ähnlichen Bedingungen aufgewachsen. Andernfalls wäre er wertgeschätzt worden und nicht bei uns neben dem Haus im Dreck gelandet, auf der Seite liegend, die Flosse traurig gen Himmel gereckt. Ich sah ihn da ein paar Tage liegen, ohne ihn mir zunächst genauer anzuschauen. Könnte ja sein, dass jemand ihn vermisst und suchen kommt. War aber nicht der Fall. Also nahm ich ihn mal in Augenschein und stellte fest, dass er eine ausgesprochene Schönheit ist. Ein bisschen dreckig vom tagelangen Herumliegen, ja, aber gut gewachsen, ziemlich jung, völlig heil, sehr flauschig und rührend hilfsbedürftig. Vermutlich hat ein randalierendes Quengelkind ihn vor dem Haus aus seinem Designer-Buggy geworfen, und die Frau Mama (oder der Herr Papa) hat es nicht für wert befunden, ihn zurückzuholen. Wahrscheinlich hat sie (oder er) im Internet gleich einen neuen bestellt, als das Kind zu Hause des Verlusts gewahr wurde und herumkrähte. Dann haben ihn ein paar betrunkene Jugendliche auf dem nächtlichen Rückweg aus dem Park erblickt, mit ihm auf dem Bürgersteig Fußball gespielt, ihn neben die Hauseinfahrt gekickt und das Interesse verloren. Oliver ist ein Opfer von falscher Erziehung, Desinteresse, Überflussgesellschaft, E-Commerce und Jugendgewalt. 
Jetzt sitzt er hier fröhlich auf dem Parkett, ordentlich gebürstet, und kriegt demnächst noch eine Dusche. Die Katze scheint Angst vor ihm zu haben, aber das legt sich.

Mittwoch, 15. August 2012

The Only Ones

Zum gestrigen 24. Todestag von Robert Calvert. Die Unplugged-Demo-Version und die Studioversion.




Alles Menschenwerk

Ich sehe in Prometheus drei bis dreieinhalb positive Dinge: schöne Landschaft, gigantischer Raumschiffabsturz am Schluss, einiges an „Macht die Räume eng“-Paranoia, die Herleitung des Alien-Wesens als mutierte Biowaffe der besonderen Art, sozusagen als nicht vorgesehenes ‚unerhörtes Ereignis’, sowie die Darbietungen von amoklaufenden Zeitraffer-Mutationen. 
Dazwischen haben wir extrem flaches, völlig austauschbares, gesichtsloses Personal, dessen kriminell dämliche Hirnrissigkeit schon in Universal-Monsterfilmen der 30er Jahre verantwortungslos gewesen wäre. Das zentrale Forscherpaar befleißigt sich einer lächerlich selbstgefälligen Argumentation, die auch noch durch die Fakten verifiziert wird. Kopfschütteln, denn die ganze Mission erscheint höchst fragwürdig. Aufgelöst wird dieses Kuddelmuddel an hanebüchenen Motivationen auf eine überflüssige Art und Weise, die aus den Fünfzigern stammen könnte und mit einem grausam schlecht auf alt getrimmten Guy Pearce zu tun hat, bei dem man sich dauernd fragt, warum er nicht durch einen echten alten Darsteller ersetzt wurde. Von denen gibt’s vermutlich auch in Hollywood noch einige. 
Dazu kommt das immanente Mysterienspiel, das um die Vorgaben der Alien-Filme herumscharwenzelt, dabei aber kaum etwas logisch vermitteln kann. Man ist auf Wikipedia-Einträge und Fanboy-Plattformen angewiesen, auf denen Leute über das Gesehene diskutieren und sich nicht wirklich einig werden. Und am Ende schafft Prometheus es auch nicht, einen korrekten Anschluss an den ersten Alien-Film hinzukriegen: Der „Konstrukteur“ stirbt ganz offenkundig nicht da, wo die Mannschaft der „Nostromo“ ihn später vorfinden wird. 
Als eklatant empfinde ich den ‚ästhetischen Verrat’ des Films: Die enorme Fremdartigkeit, die völlige Nichtmenschlichkeit des havarierten Raumschiffs aus Alien, diese ebenso robuste wie suggestive Geburtskanalsymbolik im Giger’schen Biomechanoiden-Design und Neo-Gothic-Spukschloss-Ästhetik, die zu unser aller „filmischer Sozialisation“ (M. Pavlovic) beigetragen hat, wird enttarnt als humanoid. Als unsere Wissenschaftlerdarsteller die fremdartigen Wesen untersuchen, erweist sich alles Fremdartige als „Helm“ oder „Anzug“ – und darunter stecken Menschen mit unserer DNA. Um den wirren Prä-Astronautik-Plot rechtfertigen zu können, muss das Fremde relativiert werden. Ihm wird das Mysterium genommen. Prometheus vernichtet mit einem Federstrich jede Ehrfurcht, die man als Humanoider in diesem unbekannten, gefährlichen Universum jemals hatte. Alles ist Menschenwerk, sogar die Ungeheuer darin. Was danach noch an dahergestammelten Enthüllungen kommen mag, interessiert mich nicht mehr.

Sonntag, 12. August 2012

Damals in den Ardennen

Der SWR-Mitschnittdienst hat inzwischen die weiter unten ausführlich beschriebene TV-Doku von vor 25 Jahren geliefert. Sie ist einerseits milder, andererseits schlimmer, als ich sie in Erinnerung hatte. Milder wegen des sozialpädagogisch gepolten Filmemachers, der auf hübsche Allgemeinplätze des Späten Kalten Krieges abzielt, dabei auf Ausgewogenheit setzen möchte und die unfreiwillig tendenziöse Richtung abschwächt. Schlimmer deswegen, weil mich der Zivildienstleistende heute mehr reizt als damals. Der stammelt sich da eine Selbstgerechtigkeit zurecht, die mit „borniert“ nur sehr unzureichend charakterisiert ist. Allein seine Präsenz ist der Grund, warum ich den Beitrag in der Erinnerung unter „tendenziös“ abspeicherte: blöd wie ein Kübel, keinen zusammenhängenden Satz herausbringend, aber sich selbst als besseren Menschen betrachtend. Aber okay, er war damals noch keine zwanzig Jahre alt, und Zwanzigjährige reden viel dummes Zeug. Vermutlich arbeitet er heute als kaufmännischer Angestellter bei einem Zulieferer für Rheinmetall. 
Da ich überhaupt kein Fotomaterial aus diesen Jahren besitze, habe ich einige Action-Standbilder der Bundeswehr-Passagen exzerpiert und hier in eine Fotostrecke gezwungen. Sie bilden schonungslos die damalige Lebenswirklichkeit ab. Menschen mit schwächlicher Konstitution und pazifistischer Gesinnung sollten sich das nicht anschauen. Die Qualität ist nicht sehr berauschend, aber es handelt sich nun mal um einen digitalisierten ollen Film. 
Das letzte Foto zeigt den gerade mal 20jährigen, krausbärtigen Reitersmann in seiner berühmten Profilszenen-Rolle, die ihm den Bambi und den Grimme-Preis einbrachte. Aber daran erinnert sich auch kein Schwein mehr.

Mittwoch, 8. August 2012

Mission Mars gescheitert

Hmm, Weltraum-Thementag auf ZDFinfo. 
Nicht wenig irritierend ist die Doku über die Geschichte des Space Shuttle, die mit dem Ende der MIR abschließt und einen supertollen Ausblick auf die glorreiche Zukunft des Shuttles und der ISS bietet. Wiederholungen sind manchmal kontraproduktiv. 
Danach dann eine Doku über die Bewerber fürs ESA-Marsprogramm: „Mission Mars – Männer im Härtetest“. Bewerben dürfen sich Naturwissenschaftler, Ingenieure und Ärzte. Dass ich nicht lache! Was ist bitteschön mit den wirklich harten Knochen, den Härtesten der Harten? All den Germanisten, Altphilologen, Ägyptologen, Numismatikern, Kunsthistorikern, Judaisten, Papyrologen, Theologen, Ethnologen, Publizisten, Stadtmagazin-Herausgebern, Berufsschullehrern, Rock-Gitarristen, Lektoren, Zeitungsvolontären, Sportredakteuren, Türstehern? Ich sehe schon, diese Mars-Mission wird grässlich scheitern. Die Gespräche an Bord werden sich nur um elektrischen Widerstand, Supraleiter, Isotopen, Wasseraufbereitung in Afghanistan und die Gesundheitsreform unter Philipp Rösler und Daniel Bahr drehen. Alle werden vor Langeweile sterben, und das ausgeklügelte, viele Milliarden teure Landesystem wird nur totes Fleisch auf dem Roten Planeten abladen. Aber, tja, sie wollten es ja so.

Donnerstag, 2. August 2012

Starkes Geschlecht

Olympia. Gut zum Wegnicken, vor allem bei Dressurreiten und so. Man wird allerdings ziemlich unsanft geweckt von diesem „Gold!“-Geschrei. Ganz nett ist es aber, all die halbvergessenen Sportarten wiederzusehen, an die der Schulsport einen damals – gänzlich erfolglos – heranführen sollte. Reck, Barren, Pferd, Basketball, Hockey und und und. Allerdings läuft das alles so enttäuschend ultraschnell und übermenschlich präzise ab, dass es nichts zu tun hat mit dem tapsigen Herumhüpfen damals. Immerhin erinnerte mich das Anschauen eines Volleyball-Matchs an einen Höhepunkt meines kläglichen Daseins, an jene Minuten nämlich, als ich eine Mädchenmannschaft im Alleingang besiegte. 
Die Sportstunde ging zu Ende, wir hatten Volleyball gespielt. Die Mädchen waren nach uns dran. Der Lehrer hielt eine der Jungenmannschaften, unsere, zurück, um uns ein Spiel gegen die Mädchen aufzunötigen. Zufällig stand ich gerade an der Aufschlagposition. Meine Mannschaftskameraden waren fortan zu Nasepopeln oder Taschenbillard verdammt, denn ich regelte das allein. Ich schlug auf, kam jedes Mal übers Netz, schlug auch nicht zu weit – und die Hühner drüben kriegten keinen einzigen Ball auf die Reihe. Nicht einen. Entweder ließen sie ihn tatenlos aufduppen (Punkt Jungs), verrenkten sich gar greulich ineinander, taumelten herum auf ihren dünnen Beinchen und verloren den Ball (Punkt Jungs) oder wedelten ihn hauchzart, übersensibel und viel zu tief ins Netz (Punkt Jungs). Sieg für das starke Geschlecht. Anerkennendes Schulterklopfen von den Sport-Cracks für mich, dann Feierabend. 
Ich war im Sport eine dieser Mitläuferkrücken, aber gegen Schwächere war ich echt gut.

Mittwoch, 1. August 2012

Holunder und Studenten

Heute morgen, 7.20 Uhr, quatscht die Supermarktkassiererin mich voll. Hatte keine Chance, mich zu wehren. Noch kein Kaffee intus. Die Frau war gedanklich noch im Lager, aus dem sie gerade an die Kasse gehetzt kam, und berichtete schnaufend davon, dass nicht alle ihre Posten angekommen seien und die Holundertee-Marge sogar nur zu zehn Prozent. Und die Sonderverkaufs-Marge erst gar nicht. Stünde aber im Prospekt. Ob ich den schon gesehen hätte? Stünde alles im Prospekt, sei aber nicht da, verdammt! So’n Chaos war noch nie. Kannste ausflippen, kannste da. Was sie da machen solle, fragte sie mich. Ich wüsste das ja auch nicht, murmelte ich koffeinfrei und leerköpfig. Ist Urlaub, sagte ich, sind Aushilfen am Werk, jeder Tag eine andere. Studenten wahrscheinlich. Ja, genau, Studenten!, ruft sie. Ganzen Tag am Pennen, und wenn die einmal arbeiten müssen!, schnauft sie. Gibt mir das Wechselgeld, springt auf, rennt wieder ins Lager und brüllt auf dem Weg nach hinten: „Scheiß Holunder! Scheiß Studenten!“ 
Ich hatte dann ein leicht schlechtes Gewissen, weil ich ihr das Klischee mit den Studenten eingegeben hatte, aber wie gesagt: zu wenig Kaffee im Kopp. Außerdem beruhen Klischees ja oft auf Wahrheiten.