Mittwoch, 31. Dezember 2008

Ruhig und beschaulich

Das Jahr war offenbar geprägt von viel Filmgucken, der Verbreitung der mystischen Weltsicht, kleinen südstädtischen Erkundungen, ein paar Stündchen auf Autobahn und Landstraße, sentimentalen Rückschauen, halbgaren Zeitkommentaren und der Etablierung eines Weblog-Stammpublikums von circa einem halben Dutzend Unentwegter aus allen Kontinenten. Und von der Wiederaufnahme der alten Tradition des Kölschstangenvernichtens, diesmal mit dem filmverrückten Nachbarn. Sowie von intensivem Spacerock-Gelausche und –gespringe mit Kopfhörer. Vielleicht höre ich in 2009 ja mal was anderes, aber ich bezweifle es.
Nebenher wurde viel gearbeitet, auch wenn es nicht unbedingt so aussieht bei 30+ Blogeinträgen pro Monat. Tatsächlich war es objektiv das zweitbeste Jahr dieser kleinen, freischwebenden Funktionärslaufbahn hinter den Kulissen. Entdeckt wurde eigentlich nicht viel, es wurden eher etablierte Trends abgeritten und Fortsetzungen bearbeitet. Ich war, so wie es aussieht, angetan von den Büchern Nick DiCharios und von Stuart Nevilles Debüt-Thriller, fand Conrad Williams erwähnenswert, den neuen dicken Klops von Robert Charles Wilson, einiges von Walter Jon Williams. Ich bin ebenso gespannt, was die beiden hanseatischen Jungs einem dieses Jahr noch so alles an die Backe kleben. Sie haben einige Ideen am Köcheln und finden Zuspruch auf den höheren Etagen. Recht so.
Derweil warte ich immer noch darauf, dass jemand in Deutschland die Romane von Graham Joyce verlegt. Ich habe es mir mal zur Aufgabe gemacht, ihn zu propagieren, aber meine Macht ist sehr beschränkt, fürchte ich. Nicht mal ein ausgewiesener Frauenverlag wollte den ausgewiesenen Frauenroman The Limits of Enchantment, weil irgendeine frühere Gutachterin ihn für „zu anspruchsvoll“ hielt. Tss, tss. Stattdessen Vampirschlampen noch und nöcher. Denke sich jeder seinen Teil dabei.
Bei einer Redaktion steht statt meines Namens ein Pseudonym im Impressum, erstmals. Der Name hört sich an wie ein notgeiler Ex-Wrestler, der sich zum Porno-Casting vorstellt. Sowohl Autorin wie auch Übersetzerin traten mit erfundenen Namen an, also auch der Redakteur.
Privatlektüre gab es dieses Jahr praktisch keine, der professionelle Überhang ins nächste Jahr ist immer noch einen Meter hoch, vom Boden gemessen.

Dienstag, 30. Dezember 2008

Dentistin

Heute Nacht befand ich mich im Gewahrsam einer äußerst attraktiven blonden Zahnärztin mit verschmiertem Lippenstift, die unter ihrem weißen Kittel absolut nichts trug und auch ansonsten in einer völlig leeren Praxis praktizierte. Keine Apparate, kein Folterstuhl, keine Patienten, keine Sprechstundenhilfen. Sie berichtete, sie hätte ihr ganzes Equipment und Personal an einen jungen Kollegen in Deutz verkauft, nachdem sie ein Seminar des oberitalienischen Motivationstrainers und Esoterik-Gurus Prof. h.c. Nonscalpelli besucht habe. Seitdem praktiziere sie nur noch ohne Instrumente. Der Professor hätte einen eigenartigen Akzent, und sie sei sich nicht sicher, ob sie während des Seminars in Padua alles richtig verstanden habe, aber der Erfolg gäbe ihr schließlich Recht. Sie breitete lächelnd die Arme in einer Geste aus, die die gesamte Praxis einschloss, aber niemand außer mir war da. Ich war gespannt auf die Behandlung, aber es kam nicht mehr dazu, weil ich vorher aufwachte.
Ich vermute, der Traum geht zurück auf das Anschauen der Dark Knight-DVD und die Szene, in der der Joker als blonde Krankenschwester auftritt, sowie auf einen geplanten Wechsel der Krankenkasse nächstes Jahr.

Sonntag, 21. Dezember 2008

Angriff von hinten

Auf dem Land reicht der Blick bekanntermaßen weiter als in der Stadt.
Ich habe noch nie so lange einem Hund dabei zugesehen, wie er mich aufs Korn nahm und in einem Mordstempo auf mich losspurtete. Es waren mehr als zweihundertfünfzig Meter. Ich hätte mich während dieser Zeit ins Gebüsch schlagen, einen Ast abbrechen, ihn mit dem Taschenmesser anspitzen und einige hübsche keltische Kringelornamente reinschnitzen können, um mich dem heranhechtenden Monstrum damit in den Weg zu werfen. Stattdessen stand ich einfach da und schaute dem sich nahenden Unheil zu. Ich hatte zuvor einen gellenden Pfiff gehört, irgendwo von weit hinten, mich in der menschenleeren Landschaft herumgedreht und weiterhin keinen Menschen gesehen. Nur diesen hellbraunen Fleck, der sich schnell auf mich zu bewegte und sich so langsam als junger Retriever-Mischling mit angelegten Ohren und herausschlackernder Zunge erwies. Sein Vektor war ganz eindeutig: Kollisionskurs. Nun sah ich auch ganz weit hinten zwei vage menschliche Gestalten um die Kehre biegen – Herrchen und Frauchen vermutlich. Wieder erschallte ein Pfiff. Interessierte die Hundekreatur jedoch nicht. Sie bretterte über die Äcker, das Erdreich spritzte hoch, die Zunge hing bis zum Boden. Die Kreatur wurde größer und größer, ich konnte ihre Zähne sehen, ihre zusammengekniffenen Augen, ihr erwartungsfrohes Hecheln hören, ich bildete mir ein, ihren Atem bereits riechen zu können.
Ich verkrampfte mich in Abwehrhaltung, für Deckung war es jetzt zu spät. Wirft man sich bei solchen Gelegenheiten hin, mit dem Kopf im Nacken und bloßer Kehle? Hockt man sich hin wie in einem Gewitter und erstarrt? Bleibt man stehen und brüllt herrisch irgendwas? Mir brach der Schweiß aus, die Knie begannen zu zittern, ich hob die Arme vor den Oberkörper, wie man es in Filmen über Polizeihundetraining sieht, bedankte mich bei meinem Schöpfer für den bis jetzt recht angenehmen Tag, und dann …
Das Wesen war heran, schneller als eine Windböe, bremste aus vollem Lauf vor mir ab und schlitterte ein Stück weiter, offenbar überrascht von den physikalischen Gegebenheiten auf Planet Erde. Ich senkte unbewusst einen Arm, und der Hund warf sich hechelnd herum, fixierte gierig die beschwichtigende Hand und leckte genau einmal schnaubend über meine Finger. Dann rannte er dreimal schwanzwedelnd um mich herum und bretterte mit hoher Beschleunigungsrate und angelegten Ohren in die Richtung zurück, aus der er gekommen war, zu Herrchen und Frauchen, die in weiter Entfernung mit der Hundeleine winkten.
Also, so weit und so kräftezehrend ist noch nie jemand gerannt, um mich zu begrüßen. Dabei kannten wir uns nicht mal.

Samstag, 20. Dezember 2008

Wenn Blödheit auf Blödheit trifft

Ich steige also ein ins Auto, nur um mal zu überprüfen, ob die Batterie noch da ist. Wochenlanger Auto-Nichtgebrauch, niedrige Temperatur und so weiter. Alles in Ordnung, Zündung funktioniert, alles leuchtet. Mehr muss ich nicht wissen.
Ich will schon wieder aussteigen, als mir auffällt, dass im Ablagefach zwischen den Sitzen die alten Parkzettel, das Fensterwischschwämmchen und die uralte Mini-Packung hitzegehärteter Gummibärchen durcheinander geworfen wurden. Mein Blick wandert langsam zum Handschuhfach, und das kognitive Zentrum im Kopf bemerkt, dass das Fach offensteht. Dann gleiten die Äuglein zur Mittelkonsole und registrieren dort ein Loch, das vorher irgendwie nicht da war. Befand sich dort nicht mal dieses blöde Autoradio? Ja, ich glaube, da war es mal. Ist es jetzt allerdings nicht mehr, nur ein Loch. Hmm, wie das?
Ein intensiverer Blick offenbart keine Schäden. Im Handschuhfach fehlt nichts, die Anwohner-Parkerlaubnis ist noch da, die Halterung des mobilen Navi auch, die Gummibärchen ebenso. Ein Marsch ums Auto zeigt ebenfalls keine Schäden. Nirgendwo Einbruchspuren, nicht der kleinste Kratzer, kein Hinweis. Keine beschädigten Schlösser, keine aufgestemmten Holmen, keine durchstochenen Dichtungen, erst recht keine zerschlagenen Scheiben. Lediglich die Beifahrertür ist unverriegelt. Es dämmert mir: Ich alternde, hirnlose Kreatur habe sie beim letzten Mal nicht abgesperrt, möglicherweise aufgrund eines Missverständnisses. Die Lebensgefährtin hat sie nach dem Aussteigen mittels des Arretierungsknöpfchens verriegelt, ich dachte jedoch, sie hätte das nicht getan, ging ums Auto herum und schloss sie per Schlüssel ab – wobei ich sie in Wirklichkeit wieder aufschloss. So stand der Wagen wochenlang da. Kann ein einzelner Mensch so blöde sein? Yes he can.
Der südstädtische Junkie ist also möglicherweise schon vor zwei Wochen im Schatten der Pauluskirche die parkenden Autoreihen abgewandert und hat an den Türgriffen probiert. Bis er einen Wagen fand, der offen war. Meinen.
Nun ja, dieses spezielle Autoradio hat heute einen Zeitwert von etwa fünf Euro. Wenn`s hochkommt. Dafür gibt’s beim Hehler keinen Goldenen Schuss. Nicht mal in den dunklen Ecken des Flohmarkts, wo die Ukrainer abhängen. Ich habe das Radio seit 2003, als ich es mit dem Gebrauchtwagen drumherum kaufte, genau zweimal benutzt. Einmal zum Verkehrsfunkhören in einem argen Stau, ein anderes Mal schloss ich einen tragbaren CD-Player von Aldi mittels einer Spezialcassette an, die den Output des Players übers Cassettenfach an die Lautsprecher gibt. Die Qualität war scheiße, ich tat es danach nie wieder. Wenn ich es doch mal kurz einschaltete und Sender fand, bekam ich es stets mit diesen grauenerregenden Radio-DJs zu tun, diesen Gute-Laune-Arschgeigen, dem Schrecklichsten also, was dieser Höllenplanet zu bieten hat. Ich schaltete umgehend ab und lauschte lieber den Motorgeräuschen. Die Dachantenne ist dauerhaft eingefahren, weil sie während der Fahrt über meinem Kopf im Wind immer schlackert und quietscht.
Damit wäre bereits festgestellt: Das Radio hatte keine CD-Funktion und auch keinen entsprechenden Schacht. Von MP3 und solchem neumodischen Kram ganz zu schweigen. Das Radio war scheiße. Ich weiß nicht mal, welche Marke es überhaupt war. Bei Polizei und Versicherung müsste ich sagen: "Ich glaube, es war schwarz, könnte aber auch hellgrau gewesen sein, vielleicht war es auch neongrün. Ach ja, es machte Geräusche, wenn man es einschaltete. Ich glaube, man nennt sowas Populärmusik. Hilft Ihnen das weiter?""
Der Dieb hat also das nutzloseste, toteste Objekt unter der Sonne gestohlen, musste es womöglich durch die halbe Stadt schleppen und bekam von seinem Hehler 50 Cent in die Hand gedrückt. "Wir in Ukraine hören MP3 in Auto, Kumpel! Hier, du dir kaufen Lolli, Blödsack!"

Ehrenbürger RIP

Im April hatte ich noch hingewiesen auf die neuerlangte Ehrenbürgerwürde von Herrn Pallien. Gestern trug man ihn zu Grabe. Viel Zulauf, denn der Mann hat in seiner bescheidenen, freundlichen Manier jahrzehntelang offizielle Positionen bekleidet. Da ich in der Gegend war, erwies ich ihm ebenfalls die letzte Ehre.
Er fiel letzten Sonntag auf dem Fußballplatz beim Zuschauen und mitten im Kommentar über eine Rote Karte einfach um. Mein Vater und mein Onkel standen direkt daneben. Seine Enkel spielten auf dem Platz. Ich meine, wenn der Kosmos sich schon so schockhaft verhält, dann ist ein sekundenschnelles Ableben unter seinesgleichen fast schon wieder eine Gnade.

Dienstag, 16. Dezember 2008

Übersetzung / Oversitting

Einfach weil’s so schön ist:

In der Statistik fand ich einen nordirischen Blog-Zugriff auf den Text zu dem Neville-Roman (s.u.), der über Google-UK reinkam und Googles Übersetzungsfunktion nutzte. Das hier ist es, was der arme Kerl zu lesen bekam:

Last book for this year if it's after me. Coincidentally a really good. Stuart Neville, The Twelve ..
An ex-IRA killers and Knasti of the twelve ghosts of his victims can be prosecuted and they just get rid of, if he Tatbeteiligten each other last murder killing. But this unexpected settlement caused quite beautiful eddies in neugefundenen still unstable equilibrium of the Northern Irish peace process, and soon the hunt is on our penitents opened.
It's hard to believe that this is a debut to be. Realistic thriller with plenty of knowledgeable mediated background meets on "Crime and Punishment", on Old Testament revenge thoughts and late showers history, stirred with contemporary literature and complete disillusionment. Neither the IRA nor the British is also just a good hair left, and even the toughest chunk wimmernd begging for their lives if they are just a gun muzzle to the forehead holds. A human destruction machine, which is not only a series of corpses ausspuckt, but also twisted, traumatized characters. One wishes the heroes, an unscrupulous murderer, all the best on his way to salvation.
To all amateur authors: betimes times this novel study to find out how to get an agent or lecturer from the first set of pulls on his side and friends for life wins.
Northern Ireland author, U.S. title The Ghosts of Belfast. Appears in the summer of 2009 in the English speaking world. James Ellroy has also nassgemacht before happiness.

Mein Favorit ist der letzte Satz.
Ich schätze, wenn intelligente Maschinen demnächst die Weltherrschaft übernehmen und nach dem zu erwartenden Krieg die Kapitulationsbedingungen mit uns aushandeln, dann wird das ein ziemlich krauses Vertragswerk. Sofern sie es selbst übersetzen wollen und das nicht den Profis überlassen.

Montag, 15. Dezember 2008

"Zähneputzen nicht vergessen!"

Gerade wenn man an einem Tag 500 Seiten runterreißt und dann noch ein hochkonzentriertes Gutachten verzapft, verlangt man des Abends nach etwas, bei dem man nicht denken muss. Also schaltet man Die Patin auf RTL ein, den ersten Teil. Ein Fehler, denn das Anschauen dieses Krimis schleudert einen doch wieder zurück in den anstrengenden Tag und zu dem formidablen Thriller, den man da gelesen hat, und zwingt zum direkten Vergleich zweier Universen ohne jede Verbindung zueinander.
Hier haben wir ein Universum der realistischen, tragischen und doch pointiert überhöhten Verschlingungen, die den Helden ebenso zu strangulieren drohen wie den Leser. Etwas, in dessen besten Momenten einem der Atem stockt. Etwas mit Gewalt und Kraft und Zärtlichkeit und glasklarer Meinung.
Dort haben wir ein Universum, das von Veronica Ferres bewohnt wird.
Die gutsituierte Hausfrau und Mutter gerät in einen Spagat: Kinderbetreuung und zugleich Verbrecher alle machen. Häusliche Pflichten werden gestört von der mondänen Gangsterwelt. Mit Aufnahmen aus Südfrankreich, Paris und Moskau. Potzblitz. Yachten, Nobelzwirne, dicke Limousinen, Gangstervisagen, femmes fatales und Männer mit Waffen. Und das reichlich ironiefrei. „Zähneputzen nicht vergessen!“, heißt es derweil im Frankfurter Nobelviertel, oder: „Ich hol dich nachher von der Schule ab“. Als der BKA-Typ Frau Ferres anfangs als „pausenbrotschmierendes Heimchen“ bezeichnet, knallt sie ihm eine. Recht so, deutsche Mutter, lass dir von diesen Zynikern nix bieten!
Zwischendrin kommt es zur schlechtesten Action-Szene seit dem Niedergang der italienischen Film-Massenproduktion in den 80ern. Offenbar war gerade der Cutter krank. Und dann wären da noch seltsame Drehbuchsätze wie dieser: BKA-Assistent kommt morgens ins Büro, sieht seinen Chef, wie er sich rasiert, und fragt: „Boah, Alter, wann hattest du eigentlich das letzte Mal Sex?“ Ähm, irgendwie verstehe ich den Zusammenhang nicht. Rasieren Kommissare sich in TV-Krimis nicht ständig im Büro? Was ist also daran so besonders, und was hat es mit Sex zu tun? Ist auch egal, ist bloß ein Film. Ein schlechter zudem.

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Zen-Garten

Die Geschenkidee eines Mini-Zen-Gartens für den Schreibtisch wurde übrigens verworfen, da es in unserem Haushalt jemanden gibt, der meditative Sitzungen auf streuähnlicher Unterlage bevorzugt und danach alle Beweise vergräbt. Danach sähe der Garten dann nicht mehr ganz so meditativ aus, und meditativ riechen würde er auch nicht unbedingt.

Freitag, 5. Dezember 2008

Vampirschlampen-Stechen

Seit drei Tagen wieder dieses blöde Stechen in der Schläfe, das sich vom Nacken her hocharbeitet und über Nacht nicht verschwindet. Es ist das sogenannte Vampirschlampen-Stechen: hochkonzentriert vor dem Laptop hocken und Vampirroman-Übersetzung optimieren. Tagelang, stundenlang, zwei Durchgänge, alles in derselben Position. Vielleicht ist es auch die Qualität des Romans, die Schmerzen verursacht.
Die gute Nachricht ist, dass der Bann nach dem einmaligen Einwurf zweier Kopfschmerztabletten milderer Dosierung bricht. Aber da ich der Pharmaindustrie bestenfalls Pfennigbeträge gönne, spiele ich gerne den Tapferen. Heute Morgen jedoch kapitulierte ich und stiefelte zur Apotheke: „Eine Packung gegen Vampirschlampen-Stechen bitte.“

Dienstag, 2. Dezember 2008

Schneekönigin

Ich finde, Sandra Borgmann hat derzeit das irritierendste Gesicht im deutschen Fernsehen. Kalt und glatt, wie eine in einem Gletscher eingeschlossene Porzellanpuppe, aber in den oberen Schichten doch so durchsichtig, dass man unablässig die Unterströmungen wahrnehmen kann. Wie eine junge Faye Dunaway, die vorzeitig in die Psycho-Mühle des Lebens geraten ist. Ich weiß selbst nicht so genau, ob ich das jetzt als Kompliment meine oder mich einfach nur bibbernd vor ihr ängstige. Tatsache ist, dass beim Zappen der Finger sofort über der Fernbedienung verharrt, wenn plötzlich dieses Gesicht im Senderflirren auftaucht. Ich bin dann einen Moment lang wie eingefroren und muss zwanghaft hinschauen, ehe ich die Decke etwas höher ziehe.
Gestern Abend spielte sie in dieser Anwaltsserie, die RTL nach einer Folge abgesetzt und dann die ARD gekauft hat, eine Mutter, die den Mörder ihrer Tochter erschießt. Ich musste unbedingt den DVD-Abend ein paar Minuten nach hinten verschieben und bis zum Ende gucken, um zu sehen, wie dieses Gesicht das Urteil aufnimmt. Das vom Drehbuch vorgesehene Urteil an sich war mir völlig egal, ich wollte nur die Regung sehen, die Frau Borgmann ihrer Figur verleiht.
Erstmals fiel sie mir auf in dem sehr unbehaglichen TV-Film Unter dem Eis (passender Titel), wo sie - quel surprise! – die Mutter eines ermordeten Mädchens spielte und den ganzen Film an der Grenze zum Zusammenbruch verbrachte und schließlich auch jenseits dieser Grenze. Sie hat auch wohl schon eine ganze Menge heiterer Figuren verkörpert und steht überhaupt ganz gut im Futter. Die Einschätzung als Psycho-Spezialistin ist vermutlich ungerecht und einseitig, aber ich schätze, man muss nicht alle diese Nebenrollen kennen. Ein einziger herausragender Bibber-Auftritt reicht, und sie hat einen mit einem schneeköniglichen Anti-Zapping-Bann belegt. Schlotter.

Montag, 1. Dezember 2008

Staatsmacht

O je, für nächste Woche hat sich die Staatsmacht bei uns angekündigt, in Gestalt des Mikrozensus. Es gilt heikle Fragen nach Geschlecht, Alter, Geburtsort und Anzahl der Zehen zu beantworten. Laut schriftlicher Belehrung sind wir zu Auskünften verpflichtet. Tatsächlich hängt das Schicksal des Staates von diesen Auskünften ab: Müssen mehr Frauen oder Männer importiert werden? Wo müssen mehr Seniorenheime gebaut werden und wo kann man sie abreißen? Wo müssen Kondomautomaten aufgestellt und wo welche abgebaut werden? Können Schuhe demnächst etwas materialsparender hergestellt werden, weil die Evolution den kleinen Zeh zunehmend verschwinden lässt?
Die Belehrung klärt uns auch darüber auf, dass in allen Räumen Kameras installiert werden und Bundestrojaner auf jeden PC. Zum Dank für unsere Zeit und unsere Durchschnittlichkeit erhalten wir orthopädische Schuheinlagen und gratis Schäuble-Buttons.