Sonntag, 21. Dezember 2008

Angriff von hinten

Auf dem Land reicht der Blick bekanntermaßen weiter als in der Stadt.
Ich habe noch nie so lange einem Hund dabei zugesehen, wie er mich aufs Korn nahm und in einem Mordstempo auf mich losspurtete. Es waren mehr als zweihundertfünfzig Meter. Ich hätte mich während dieser Zeit ins Gebüsch schlagen, einen Ast abbrechen, ihn mit dem Taschenmesser anspitzen und einige hübsche keltische Kringelornamente reinschnitzen können, um mich dem heranhechtenden Monstrum damit in den Weg zu werfen. Stattdessen stand ich einfach da und schaute dem sich nahenden Unheil zu. Ich hatte zuvor einen gellenden Pfiff gehört, irgendwo von weit hinten, mich in der menschenleeren Landschaft herumgedreht und weiterhin keinen Menschen gesehen. Nur diesen hellbraunen Fleck, der sich schnell auf mich zu bewegte und sich so langsam als junger Retriever-Mischling mit angelegten Ohren und herausschlackernder Zunge erwies. Sein Vektor war ganz eindeutig: Kollisionskurs. Nun sah ich auch ganz weit hinten zwei vage menschliche Gestalten um die Kehre biegen – Herrchen und Frauchen vermutlich. Wieder erschallte ein Pfiff. Interessierte die Hundekreatur jedoch nicht. Sie bretterte über die Äcker, das Erdreich spritzte hoch, die Zunge hing bis zum Boden. Die Kreatur wurde größer und größer, ich konnte ihre Zähne sehen, ihre zusammengekniffenen Augen, ihr erwartungsfrohes Hecheln hören, ich bildete mir ein, ihren Atem bereits riechen zu können.
Ich verkrampfte mich in Abwehrhaltung, für Deckung war es jetzt zu spät. Wirft man sich bei solchen Gelegenheiten hin, mit dem Kopf im Nacken und bloßer Kehle? Hockt man sich hin wie in einem Gewitter und erstarrt? Bleibt man stehen und brüllt herrisch irgendwas? Mir brach der Schweiß aus, die Knie begannen zu zittern, ich hob die Arme vor den Oberkörper, wie man es in Filmen über Polizeihundetraining sieht, bedankte mich bei meinem Schöpfer für den bis jetzt recht angenehmen Tag, und dann …
Das Wesen war heran, schneller als eine Windböe, bremste aus vollem Lauf vor mir ab und schlitterte ein Stück weiter, offenbar überrascht von den physikalischen Gegebenheiten auf Planet Erde. Ich senkte unbewusst einen Arm, und der Hund warf sich hechelnd herum, fixierte gierig die beschwichtigende Hand und leckte genau einmal schnaubend über meine Finger. Dann rannte er dreimal schwanzwedelnd um mich herum und bretterte mit hoher Beschleunigungsrate und angelegten Ohren in die Richtung zurück, aus der er gekommen war, zu Herrchen und Frauchen, die in weiter Entfernung mit der Hundeleine winkten.
Also, so weit und so kräftezehrend ist noch nie jemand gerannt, um mich zu begrüßen. Dabei kannten wir uns nicht mal.

1 Kommentar:

  1. Falls es mal nicht so läuft - die rekonstruktive Chirurgie verbringt heutzutage wirklich Wunder.

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