Donnerstag, 30. Juli 2009

Rauf aufs Monster

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich in all den Jahren, in denen ich in Köln gemeldet bin, das Monster noch nie bestiegen habe. Drunter war ich mal und habe es am Bauch gekitzelt, aber auf ihm drauf noch nie.
Besonders toll sind die neuen unterirdischen Zugänge, für die man Tunnel durch das Fundament gebohrt hat, so dass man im Halbdunkel durch die vielfarbigen Gesteinslagen marschiert.
Dann kommen sie: 533 Stufen. Kein Aufzug steht vorsichtshalber am Aufgang. Das sollten unsere beleibteren Mitbürger durchaus berücksichtigen, denn es kann dauern, bis die Ambulanz die Wendeltreppe bewältigt hat und bis zum kollabierten Touristen vorgedrungen ist. Schweinegrippetechnisch haben wir es beim Geländer des Treppenhauses übrigens mit einer echten Gefahrenquelle zu tun. Man kann die kleinen, aus Spanien mitgebrachten Viren förmlich sehen, wie sie da herumwuseln und flehentlich ihre niedlichen kleinen Händchen ausstrecken: "Nimm mich mit, por favor, nimm mich mit!"
Angenehm hingegen: In den offenen Bereichen oben auf dem Südturm weht eine steife Brise, die einem den Schweiß sofort wieder trocknet und ein paar an der Kleidung festhängende Viren wegpustet.
Auf halber bis zwei Drittel Höhe darf man den Dicken Pitter und seine kleineren Genossen bestaunen. Wenn man zufällig um zwölf Uhr mittags genau dort anlangt, kann man die Touristen überrascht quieken hören, lauter als die von pneumatischen Hämmerchen hervorgerufenen Glockenschläge. Würde man sich zufällig an diesem Ort befinden, wenn der Dicke Pitter loslegt, könnte man danach mit seinem Zwerchfell die Mauern tapezieren. Da ist nix mehr mit Quieken.
Es ist reizvoll, sich vorzustellen, wie es mal war, als die umlaufende Galerie oben noch nicht von einem käfigartigen Geländer eingefasst war und man sich als Domarbeiter ganz weit rauslehnen und vielleicht sogar auf den Steinschnörkeln herumkraxeln konnte. Aber heute sind einfach zu viele leichtsinnige Holländer, hemmungslose Japaner, suizidale Russen und schweinegrippig torkelnde Spanier dort oben, als dass man auf den Geländerkäfig verzichten könnte. Oder so jemand wie der merkwürdige Opa, der mit den Händen vor seinem Gesicht eine Art Satellitenschüssel formt, Handflächen nach außen, und damit die Stadtlandschaft und den Horizont abfährt, als würden ihm von dort irgendwelche Botschaften zugestellt. Wahrscheinlich ist der Empfang weiter hinten auf der Galerie nicht so gut und der Opa würde gerne weiter nach vorne klettern, um Gott dem Herrn, den Aliens oder wem auch immer rauschfrei lauschen zu können. Da sei bitte ein Geländer vor.
Treppe runter geht’s echt schnell, sofern nicht eine beleibtere Großfamilie gerade hochgeschnauft kommt und die Wendeltreppe ausfüllt. Als wir wieder draußen waren, wurden wir erstaunlicherweise von jenem Trupp beleibterer Mitbürger überholt, die uns auf Stufe dreißig eben noch entgegenkamen. Sie müssen spätestens auf Stufe fünfunddreißig umgekehrt sein. Das soll kein Vorwurf sein, denn bei dieser eklatanten Leibesfülle hätte ich das auch getan.

Freitag, 24. Juli 2009

Zusammengenäht

Die Gitarren rieseln vom Firmament herab, während die lazy herausgenölten, sehnsuchtsvollen Gesangsmelodien genau dorthin streben, wo die Gitarren herkommen. Irgendwo auf halbem Weg, vielleicht so drei bis fünf Meter über dem eigenen Kopf, treffen sie sich, spielen ein bisschen an sich herum und kopulieren heiter im öffentlichen Raum, ohne sich zu schämen. Mit dem Kopfhörer auf der Rübe hebt man den Blick dorthin und lacht mit.
Meat Puppets, Sewn Together. Es geht mit einem volleren, moderneren Sound zurück in die 80er. Erste Anspielstation für das Rockschwein in uns allen sollte „Rotten Shame“ sein, der Song mit der nicht verifizierbaren Anzahl von Gitarrenschichten, die organisiert umeinander wuseln. Die Credits sagen, dass Curt Kirkwood neben der Gitarre auch die Mandoline spielt, auf „Rotten Shame“ scheinen auch Banjo und Sitar mit von der Partie zu sein. Sowie ein Synthesizer. Dem obligatorischen Gitarrenmorden darf man auf „Blanket Of Weed“ beiwohnen, während das vertrackt hardrockende „S.K.A.“ mich völlig verzückt hat. Und wer bei einer Ballade wie „Go To Your Head“ nicht gleichzeitig heult und lacht, der kann mir gestohlen bleiben. Der hat kein Herz.
Ah, da werden alte, trockene Fürze wieder feucht. Cris Kirkwood ist absolut zuzustimmen, wenn er sagt: „Music can age, like a fine wine, or in our case, like a fine cheese. The older it gets, the more it stinks. We’re good and stinky.”

Dimple

Gestern Abend habe ich die TV-Doku über die Les Humphries Singers gesehen und danach geträumt, ich würde mit einem Lächelkrampf, ungewaschenen Haaren, einer Fransenjacke, einem Poster von Jürgen Drews und einer halbvollen Pulle Dimple in einem Obdachlosenwohnheim in Neuwied hausen und den Kakerlaken „Mexico“ beibringen.
Ich glaube, ich habe die als Kind schon gehasst, diese Sangesgruppe mit ihrem Friede-Freude-Eierkuchen-Gezappel. Und zwar nicht deshalb, weil die älteren Leute mich vor den langhaarigen Zauseln und ihren losen Sitten gewarnt hätten. Nein, die älteren Leute schmissen bei ihren Seventies-Partys diesen Quark ja regelmäßig selbst auf den Plattenteller und gaben sich den knallhart kalkulierten Hippie-Phantasien hin.
Sehr amüsant in diesem Zusammenhang war Jürgen Drews’ Interview-Äußerung, die Singers seien Anti-Establishment gewesen und erst dann zum Establishment geworden, als ihr Bandchef die Kohle schrankkofferweise nach Liechtenstein karrte.

Dienstag, 21. Juli 2009

Mondlandung ist laaangweilig

Bin gestern bei den ganzen Themenabenden weggeschnarcht. Weckt mich frühestens, wenn sie zum Mars fliegen. Am besten aber erst dann, wenn sie über einen FTL-Antrieb verfügen und sich draußen bei Antares oder Wega in einen interstellaren Krieg verwickeln lassen.

Mittwoch, 15. Juli 2009

Trauerfall

Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte, aber ich habe die Heilige Stereoanlage getötet.
Eigentlich wollte ich nur eine Platte hören, was höchst selten vorkommt, denn der Plattenspieler gibt immer ein tiefes Brummen von sich. Um diesem Geräusch zum wiederholten Male auf die Spur zu kommen und es eventuell zu beheben, stöpselte ich ein bisschen hinten herum und verursachte dabei offenbar einen mächtigen Kurzschluss – ploff! -, der in den Verstärker fuhr und den zwanzig Jahre alten Hifi-Turm umbrachte. Er ist jetzt in einer besseren Welt. (Genau genommen befindet er sich momentan im Keller.)
Ich stand zwei Tage unter Schock, nicht unter einem elektrischen, sondern einem emotionalen, aber nun habe ich es geschafft, eine neue Anlage zu ordern.

Montag, 13. Juli 2009

Es existiert!

Es ist eine Legende, ein seit Generationen kursierendes Gerücht in Fachkreisen, begleitet von einem ehrfurchtsvollen Flüstern: das schlechteste Buch der Welt.
Man vermutet, dass es irgendwo dort draußen existiert, irgendwo zwischen all den Papierbergen und all den vielen bunten Buchdeckeln. Sein Papier stammt von einem verfluchten Baum, unter dem die Druiden im ersten Jahrhundert vor Christus Menschenopfer darbrachten – so heißt es in den Legenden über das schlechteste Buch der Welt. Das geschlagene Holz lag Jahrzehnte am Waldrand neben einem verfluchten Dorf, Unmengen schwarzer Katzen sprangen über den Stamm, die Dorfhexe verführte alle Männer des Orts auf eben diesem Holz zum Ehebruch, und man munkelte, des nachts wären Stöhnen und Schmerzensschreie aus dem gefällten Baumstamm zu vernehmen und seine Rinde hätte die Konsistenz von Schweine- oder vielleicht auch Menschenhaut. Und dann, so sagt man, wurde das Holz zu Papier verarbeitet, um darauf das allerschlechteste Buch der Welt drucken zu können. Die Tinte, so heißt es, sei aus den Exkrementen des Dunklen Gottes Bro’th gewonnen worden und die Tintenhersteller seien während der Herstellung wahnsinnig geworden.
Jeder wollte es finden. Seit jeher. Generationen von Gutachtern rissen die Pakete auf, die sie von ihren Verlagsauftraggebern erhielten, und durchwühlten sie, ob das schlechteste Buch der Welt vielleicht enthalten sei. Sie wussten, sie würden es sofort erkennen, wenn sie es erstmal in Händen hielten. Sie waren wie Kinder, die die Packung Kellogg’s Smacks aufreißen, sich durch die gezuckerten Krümel wühlen, um das darin enthaltene Gadget zu finden und mit einem Freudenschrei ans Tageslicht zu befördern.
Voller Stolz darf ich verkünden, dass ich soeben das schlechteste Buch der Welt entdeckt habe. Es war in einem Paket mit anderen Büchern, aber ich wusste sofort, dass hier etwas Besonderes meiner harrt. Das wirklich allerschlechteste Buch der Welt. Das Gerücht ist wahr! Es existiert!
Es ist so unglaublich schlecht, so irrwitzig blöde und unfassbar dämlich, so eklatant untalentiert, so monumental inkompetent, so komplett gescheitert, stilistisch so absolut dement und inhaltlich so irre scheiße, kurzum: so abgrundtief böse, dass man sofort begeistert herumspringen möchte. Eine papiergewordene Talsohle. Ein Kreislaufkollaps zwischen Buchdeckeln. Ein Bandsalat in Buchstaben. Ein spirituelles Minuszeichen.
Es versteht sich von selbst, dass ich hier weder Autor noch Titel nennen kann, denn das ist streng geheim und nur für interne Zwecke bestimmt. Ich werde die Preziose in einem abschließbaren Aktenkoffer und mit Sicherheitskette ums Handgelenk persönlich nach München ins Lektorat zurückbringen und zugegen sein, wenn sie in ein okkultes unterirdisches Geheimlabor verfrachtet wird, um sie genauestens zu untersuchen. Nach intensiven Forschungen und zu gegebener Zeit wird dann zur Pressekonferenz geladen: Das schlechteste Buch der Welt ist gefunden!

Frage: Herr Reitersmann, wie haben Sie das schlechteste Buch der Welt identifiziert?
Antwort: Nun, Herr Schnork-Büttenweiler, das Cover war verhältnismäßig unverdächtig, aber die Tinte roch faulig und das Papier war fahl und grobporig in seiner Konsistenz. Außerdem wuchsen Haare daraus. Dazu katastrophale Syntax und mehr als wunderliche Inhalte.
F: Das war doch bestimmt abenteuerlich. Hatte diese Entdeckung Folgen für Ihre unmittelbare Umgebung?
A: Die Katze hatte Darmblubbern und pinkelte auf die Küchentheke. Ich selbst musste zwei Tage lang ununterbrochen lachen, außerdem ging mir ständig ein abgewandeltes Zitat von Orson Welles durch den Kopf: Heutzutage möchte jeder Bücher schreiben, sogar mein saublöder Cousin Willi.
F: Wissen Sie denn etwas über den Autor?
A: Das sollte Ihnen vielleicht besser der Verlag beantworten. Nach meinen Informationen ist er ein amerikanischer Pastor.

Sonntag, 12. Juli 2009

Harfenspiel

Dieses Haus war mal erfüllt von himmlischen Harfenklängen. Sie kamen selbstverständlich irgendwo von oben herniedergerieselt, und es ließ sich entrückt zu ihnen arbeiten oder wegnicken. Manchmal musste man allerdings auch während eines Crescendos den Fernseher lauter drehen, weil es etwas zu penetrant harfte. Ich wusste nie so recht, ob ich gerade in einer sakralen Vision von Englein gesegnet wurde, ob es die nachhallende Klage einer anno 1887 im Haus ermordeten Kommerzienratsgattin mit Harfenaffinität war oder doch echtes Harfenspiel um Mitternacht. Ich wollte schon Galileo Mystery verständigen.
Seit einiger Zeit ist es still geworden. Keine Harfe mehr. Auf dem Treppchen vor der Haustür stapelt sich nicht zustellbare Post, für die sich niemand zuständig fühlt. Darunter das Schreiben eines Harfenherstellers an eine Ex-Mieterin von ganz oben im Haus. Die Harfe war also echt. Wieder ein Mysterium aufgedeckt. Wie profan.

Samstag, 11. Juli 2009

Der Fluch des Ratzinger

Tagelang hatten wir dieses enervierende Klirren in den Lautsprechern des Fernsehers. Vor allem im tieftonigen Bereich schepperte es auffällig, und das schon bei geringer Lautstärke. Ein neues, so nicht gekanntes, unschönes Phänomen. Die Lebensgefährtin fragte vorsorglich, ob das Gerät denn noch Garantie hätte. Der selbsternannte Fachmann – ich – meinte: „Das kommt vom Ausgangssignal. Irgendwie beeinflussen die Schwüle und die Gewitter irgendeine Übertragung, und es kommen verzerrte Bässe hier an. Du wirst sehen, bei DVDs findet das nicht statt, denn die haben ja nix mit deren Signal zu tun.“
Es war eine ausgezeichnete Idee, zur Verifizierung dieser These ausgerechnet Control einzulegen, den Film über Joy Division. In den Konzertszenen sind die Bässe so derart laut, dass das Scheppern nun klang, als würden die Lautsprecher passenderweise zu „Love will tear us apart“ bersten wollen. Links wie rechts gleichermaßen. Der selbsternannte Fachmann meinte: „Jetzt bin ich verwirrt.“
Ich entkabelte alle Geräte, verkabelte sie neu und in anderer Konfiguration, korrigierte alles Mögliche in den Audio-Einstellungen des Geräts, googelte fernseher lautsprecher klirren und tat ein paar Dinge, die in irgendwelchen dubiosen Foren empfohlen wurden. Ergebnis: Es schepperte weiter wie bekloppt. Eigentlich sogar noch bekloppter.
„Was ist das hier eigentlich für ein Dingsbums?“, fragte ich zwischendurch und fummelte aus dem DVD-Recorder-Fach diesen Ansteckbutton heraus, der sich mysteriöserweise dort befand. Ich erkannte ihn sofort wieder. „Wir sind Papst!“, herausgegeben von der Bildzeitung zum Weltjugendtag in Köln. Darauf ein väterlich lächelnder, salbungsvoll winkender Joseph Ratzinger in seiner Rolle als Benedikt XVI. Damals als Souvenir in die Hand gedrückt bekommen und nach diversen Umräumaktionen irgendwie beim Gerümpel abgelegt, das sich auf einem TV-Rack ansammeln kann. Während irgendeines Staubwischens neulich purzelte Ratzinger herab ins Recorder-Fach und wurde vergessen. Er ist komplett aus Metall, und die Anstecknadel sitzt nicht mehr fest, sondern schlackert wie wild in ihrer Halterung. Der schlackernde Ratzinger war so unter den Recorder gerutscht, dass er ständigen Kontakt zum metallenen Gehäuse des Geräts hatte und von dort auf verschlungenen Kabelpfaden direkt in die Lautsprecher geriet, wo er bei tieftonigen Vibrationen sein Missfallen über unseren Filmgeschmack zum Ausdruck brachte. Indem er einen vom Vatikan legitimierten, sogenannten Schepperfluch (exsecratio tintinnaculus) losließ.
Da soll noch mal einer sagen, die Kirche hätte keinen Einfluss mehr auf unser modernes Leben. Ratzinger liegt jetzt ganz hinten in einer Schreibtischschublade, wo er so viele Flüche ausstoßen kann, wie er will, und wir schauen unsere Filme wieder klirrfrei.

Donnerstag, 9. Juli 2009

Irritation

Eigentlich hatte man genug Zeit, sich daran zu gewöhnen, aber es irritiert mich trotzdem noch: Menschen mit Handy-Freisprecheinrichtungen. Man weiß nie, ob die Leute, die einem da brabbelnd und lächelnd entgegenkommen, gerade mit jemandem aus Fleisch und Blut fernsprechen oder ob sie sich im Dialog mit der übersinnlichen Entität in ihrem Kopf befinden und soeben dazu aufgefordert werden, das Bowie-Messer aus der Innentasche zu ziehen und den nächsten Passanten, also mich, zu verhackstücken.
Ich traf auf dem kurzen Weg zum Plus (zwei Fußminuten) gleich drei dieser seltsamen Geschöpfe, und jedesmal habe ich mich vorsorglich geduckt.

Freitag, 3. Juli 2009

The Chronicle of the Black Sword

Die Moorcock-Vertonung von 1985 ist neu raus. Sie war endlos lang nur sehr teuer gebraucht zu haben – oder irgendwo als heimlicher MP3 für das Diebesgesindel.
Ich fand seit geraumer Zeit, dass dieses Album doch sehr gealtert ist und mitunter unangenehm käsigen Mittachtziger-Metal anbietet. Eigentlich war ich schon damals leicht enttäuscht, denn als Epos reichte es nicht an die epochale Hawks/Moorcock-Kooperation Warrior on the Edge of Time von 1975 heran, was vielleicht auch an der Abwesenheit des exzentrischen Rezitators Moorcock selbst lag. Er hatte zu Black Sword lediglich einen einsamen Songtext beigesteuert, allerdings einen schönen Bardentext. Ich mochte außerdem das stumpfe Schlagzeug von Danny Thompson nicht. Da hätte man den Job genauso gut von einer Techno-Stampfmaschine erledigen lassen können. An Techno dachte 1985 noch keiner so richtig, andererseits war es damals üblich, alles möglichst steril klingen zu lassen. Thompsons Spiel muss also als Tribut an die Epoche gelten. Mir gefiel auch nicht die allzu simpel gestrickte Jerry-Cornelius-Hymne „Needle Gun“, mit der die Band unverschämt Quo-like klang und sich keinen Gefallen tat.
Die ein Jahr später erschienene Live-Auswertung Live Chronicles entschädigte jedoch für so manches. Noch barocker und härter/düsterer im Sound, weiterer epischer Bogen, nicht so ökonomisch, und Moorcock war als Märchenonkel mit auf der Bühne. Obwohl die Erstausgabe der Doppel-LP aufgrund eines Copyright-Konflikts seiner Rezitationen beraubt worden war. Auf dem VHS-Video zur Show war er jedoch zu sehen und zu hören. Heute ist er auch in Neuauflagen des Live-Albums wieder integriert. Cherry Red Records hat dafür gesorgt.
Nun wurde also auch das Black Sword-Studioalbum nachgereicht, mit draufgepackten Bonustracks und neu abgemischt. Es bekommt mehr Volumen, mehr Bass, mehr schwermetallische Rhythmusgitarre, die Effekte und Sonics gehen tiefer ins Hirn, Alan Daveys Bass ist ungeheuer lebendig, die Echolot-Geräusche in „Sea King“ hallen mindestens drei Sekunden länger nach als früher. Die Bonustracks sind von 1984, beinhalten die komplette EP Earth Ritual und zeigen einen Unterschied. Die Gitarren sind da noch verzerrter, fast punkig, während sie sich auf den härteren Black Sword-Sachen eindeutig an Metal orientieren. Obwohl die Band damals plötzlich durch Heavy-Metal-Gazetten geisterte (und ehrfurchtsvoll besprochen wurde) und noch heute einige das Album als „Metal-Schlacht“ empfinden, ist es eher verspielter, hochtechnisierter Hardrock mit Ambient-Ruhezonen, balladeskem Geschwebe, Schichten um Schichten an Effekten sowie einem leitmotivischen, an- und abschwellenden Brummen, das eventuell den Chaosfürsten Arioch symbolisieren soll. Es ist das Geräusch, mit dem die Platte beginnt und das danach immer wiederkehrt, wie eine metallische Riesengrille auf Brautschau, um am Ende in einer exzellenten Prä-Techno-Percussion-Soundscape-Schlangengrube mit dem Geschehen zu verschmelzen und sich zu winden wie ein verwundeter Drache. Ausgerechnet auf dem Bonustrack „Arioch“, einer ziemlich verschollenen, instrumentalen Single-B-Seite von damals, fehlt das Brummen indes.
Beim erneuten Hören überrascht, wie viel Material auf einer soliden Blues-Hardrock-Basis steht. Die erträglichen Passagen von "Needle Gun" könnten ein Southern-Rock-Gitarren-Jam sein, und am Ende von "Sleep of a Thousand Tears" würde es nicht verwundern, wenn Huw Lloyd-Langton plötzlich die Slide-Gitarre rausholt. "Zarozinia" verursacht hingegen einfach nur durch seine Schlichtheit Gänsehaut. Dave Brock versucht sich einige Male als Shouter, glücklicherweise hat er aber keine Hodenprobleme. Überhaupt ist das Album im Vergleich zu anderen Moorcock-Adaptionen von Grunz-Metallern oder eiergequetschten Jodlern eine ziemliche Wohltat.
Es bleibt allerdings ein Rätsel, weshalb das banale „Needle Gun“ es auf das Album schaffte, obwohl es thematisch gar nicht im Kosmos des Schwarzen Schwerts angesiedelt ist, aber die von Gitarrist Lloyd-Langton gefertigten, melancholischen Melodic-Rock-Stücke „Moonglum“ und „Dreaming City“ dem späteren Live-Album vorbehalten blieben, wo sie bis heute ihren einzigen Auftritt haben. Diese Songs hätten schon das Studioalbum enorm aufgewertet.
Das alles ist gewiss nicht das größte Songwriting der Welt, blinkt etwas zu sehr im neongrellen Achtziger-Schick, bietet aber nach wie vor ein brodelndes Soundgewitter aus dem Multiversum, in dem Chaos und Ordnung sich bekriegen. Schönes Artwork von John Coulthart. Ich bin froh, das Ding auch als großformatige LP zu besitzen. Am besten ist das Werk im Zusammenhang mit Live Chronicles zu goutieren, denn das Nachfolgealbum erweitert den Kosmos in jeder Hinsicht. Außerdem tanzte darauf der Weltenbauer dann auch selbst mit.
Unter den Bonustracks befindet sich mit „Green Finned Demon“ (von der 84er-EP) eines der hypnotischsten Stücke der kompletten Hawks-Geschichte. Es gab die Songs dieser EP in digitalisierter Form zwar auch schon auf dem Sampler Mighty Hawkwind Classics, aber als Bonustracks von Black Sword befinden sie sich stärker in ihrem natürlichen Fantasy-Umfeld.

Donnerstag, 2. Juli 2009

Der Schlepper

Auf dem Hinweg: Manuskriptpakete - Stephen Baxter, Chris Wooding sowie ein paar Knalltüten.
Erzwungener Aufenthalt im schlecht klimatisierten Postcenter: 30 Minuten. Beruhigend: Die Prominenz muss auch schwitzen. In der Schlange stand Sonia Mikich, ölte und schaute dauernd auf die Uhr.
Auf dem Rückweg: Cola-Kasten, 1,5 Kilo Kartoffels, 500 gr Gulasch.

Mittwoch, 1. Juli 2009

Lichtbringers Raserei

Jaz Coleman ist ein echter Zampano geworden: Bürger von vier Staaten, Großgrundbesitzer, Inselhäuptling und Gründer von Öko-Dörfern, Orchesterchef, Arrangeur, Hauskomponist sowohl der Neuseeländer, der Tschechen wie zwischenzeitlich auch der EU („composer in residence“). Chevalier des Arts der Franzosen ist er auch. Mit Nigel Kennedy, Sarah Brightman und Vanessa Mae hat er kooperiert, Bob Geldof und Bono Vox verachtet er.
Weltbürger, Basisdemokrat, Bürgerschreck, Verschwörungstheoretiker, Großkotz, Okkultist, Ästhet und auf der Bühne derselben Sippschaft angehörend wie Ozzy Osbourne, Arthur Brown, der Joker und Luzifer und dabei nicht ganz unkomisch. Langsam wird er zu einem Fall für Kulturzeit.
Zu seinem jüngeren Output mit Killing Joke kehre ich immer wieder gerne zurück. Ganz große Sache. Coleman als Großer Illuminator, einige mögen sagen Großer Verschwurbler. Im wilden Derwisch-Tanz die mystische Ich-Auflösung anstreben oder doch vorher noch den ekligen Ideologen und Verwaltern des Menschheitsdramas an die Gurgel gehen? Altsumerische Anrufungen mit Riffs. Meditation in Metall. Sufismus mit Basslinien aus der Hölle.
Vor dem Anhören am besten nackisch machen, sich mit Lehm oder Lebensmittelfarbe einschmieren oder mit einem Ziegenfell behängen, okkulte Zeichen an die Wände malen und mitbrüllen.