Freitag, 30. April 2010

Ereignis von kosmischer Tragweite

Blood of the Earth heißt das neue Studio-Album von Hawkwind, das erste seit 2005. Es erscheint am 21. Juni auf dem neuen Label Eastworld Recordings. Es wird drei unterschiedliche Editionen geben: eine normale CD, eine Doppel-Luxus-Ausgabe mit einer zusätzlichen Live-CD sowie eine Doppel-Vinyl.
Pressetext: The original pioneers of Space Rock return with their eagerly awaited stunning new album - Blood Of The Earth, their first in 5 years. Produced by the band at state-of-the-art recording facility Earth Studios, Blood Of The Earth takes the listener on a journey through crushing visceral space rock, doom driven poetry, whimsical mantras and imagination opera. An example of humans and machines pulsing in harmony out into the void ...
Mein Puls rast.

Freitag, 23. April 2010

Blaustrahl II

Trara, die erste offizielle Kauf-BluRay wurde geordert, der Ende des Monats erscheinende Prinz Eisenherz von 1954. Ein Film, der weite Teile der Kindheit dominierte und strukturierte.

Blaustrahl

Das BluRay-Zeitalter hat Einzug gehalten. Manche ältere Menschen brauchen eben etwas länger und stemmen sich erst dann aus der Seitenlage hoch, wenn ihr oller DVD/VHS-Hybrid ihnen durch Wackler sowohl in Scart- wie Component-Anschlüssen den Filmgenuss zunehmend verleidet, weil a) der Ton dauernd springt wie verrückt und b) das Bild mächtig rotstichig wird.
Lustigerweise wurde nun der bestellte Player vor dem bestellten HDMI-Kabel geliefert. Aufgrund früherer Verschaltungsexperimente besaß ich jedoch noch einen Wust aus Component- und Audio-Kabeln, so dass ich zumindest schon mal die Funktionstüchtigkeit testen konnte. Bueno! Und genau so simpel, wie meine Seitenlage-Generation das haben möchte. Der nächste Schritt besteht jetzt darin, die Leihliste beim Online-Verleih komplett von DVD auf BluRay umzustellen, damit man auch was davon hat. Bitte heute nicht stören.

Mittwoch, 21. April 2010

Die Erfindung von Intertextualität und früher Moderne

Fortunat von Schlechterdingen, Sproß aus südwestdeutschem Adelsgeschlechte und Reserveoffizier, im honorigen Nebenberufe Literaturgutachter und -betrachter und Freund der Schönen Künste in Wort, Bild und Tat, suchte im August des Jahres 1891 in seinem Arbeitszimmer nach einem Manuskript, das sein Auftraggeber ihm vor einiger Zeit schon hatte zusenden lassen. Er wusste ganz genau, daß es sehr zuunterst in dem hohen Stapel aus eil’gen Papieren und Manuskripten lag. Während seiner Bemühungen und Verrenkungen geschah es, daß ihm das Beinkleid verrutschte und er das Gleichgewicht verlor. Ein kurzes „Zur Hülfe!“ war zu vernehmen, dann stürzte er der Erde entgegen, schmiss dabei den ganzen Papierturm neben seinem Biedermeier-Sekretär um, schlug ungünstig mit dem Kopf ans Holz des ansonsten nützlichen Möbels, strampelte und trat in beinahe hysterischer Manier mit den Beinen, und die Manuskripte plumpsten polternd hernieder, knallten ihm gewichtig auf den Kopf oder flatterten hoch zur Decke, flogen schwarmhaft sausend durcheinander und vermischten und vermengten sich um und über seinem Leibe, der ob des Schlags an die Schläfe und all des Staubs schlagartig der Ohnmacht anheimgefallen war, als läge er ganz friedlich während der Kirschblüte unter einem besagten Baume und hielte einen erholsamen, elysischen Schlummer.
Mehr als eine Stunde lag erwähnter Literarturbetrachter derweil hingestreckt und wie entseelt in diesem Szenarium, währenddessen sich der Staub in der Nachmittagssonne, die in schrägen, hellen Balken durch das Fenster fiel, langsam legte. Es begab sich nun, dass Fortunat von Schlechterdingens Mätresse, Adele Freifrau zu Taubenblau-Bocksbein, das Zimmer betrat und nach ihrem „Fortunat?“ verlangte. (Dazu muß man wissen, dass die Freifrau den Schlüssel zu von Schlechterdingens Stadthaus besaß.) Sie wurde des Szenariums schlagartig gewahr, flüsterte ein schnelles „Ojemine!“, lockerte geschwind ihr Mieder, beugte sich herab zu ihrem Liebsten und grub ihn mit allerhand Engagement aus, fortwährend den neuerlich aufgewirbelten Staub mit Händen und gelöstem Halstuch wegwedelnd. Sie war nicht wenig ängstlich und im selben Augenblicke jedoch gleichermaßen - auf eine gewisse, seltsame Art und Weise, die sich einer genaueren Beschreibung entzog - befriedigt, hatte sie ihren Liebsten doch stets gewarnt, ihm fiele eines Tages „all das staubige Papier“ aufs Haupt und es würde ihn begraben und er würde darinnen ersticken wie ein Bergarbeiter im Kohlenflöze. Aber Freifrau von Taubenblau-Bocksbein wurde dieser kleine Triumph schnell schal, und sie tat natürlich ihr möglichstes, den kurzzeitig Entschlafenen zu erretten und ihm seine miserable Lage zu erleichtern. Sie wußte selbstverständlich: Im Mittel bestand so ein Manuskript deutscher Dichtkunst in ihren Tagen aus 200-300 handbeschriebenen Blättern, die aufeinander gestapelt circa drei bis vier Centimeter ergaben. Die Freifrau raffte nun all die gefallenen, verstreuten Seiten und verkeilten Teile zusammen, stapelte sie mithülfe eines Lineals aus dem Sekretär ihres Galans zu folglich jeweils drei bis vier Centimeter hohen Stapeln und dieselben danach wieder zum ordentlichen Papierturme neben dem Biedermeier-Sekretär. Nachdem sie ihrem Liebsten eine Prise ihres Riechsalzes verabreicht hatte (nicht zu viel, Fortunat war ja asthmatisch!) und derselbe papierstaubhustend, niesend und etwas röchelnd aus der Bewusstlosigkeit erwacht war und sich hochgestemmt hatte, schoben sie eine schnelle Nummer auf dem Sekretär (hierbei sollte man beachten, daß Fortunat von Schlechterdingens Beinkleid noch offen war und das Mieder der Freifrau gelockert), bevor sie sich für den frühen Abend zu einem Spaziergang an der Promenade und einer Speise im neueröffneten Fischrestaurant Forelle Müllerin verabredeten.
Als die Freifrau ihn wieder verlassen hatte, griff Fortunat von Schlechterdingen, noch etwas verduselt im Hirne, schlußendlich zu dem anfänglich gesuchten Manuskripte und las es im Strahlen der Nachmittagssonne, die als helle, schräge Balken durch sein Fenster fiel. Danach meldete er schriftlich an seinen Verleger: „Eine seltsame Satyre. Passagenweise recht gut, kann da hie und da keine Zweifel anmelden. Dann jedoch paßt wieder gar nichts zusamm'. Handschrift ist mal lesbar, dann wieder gar nicht. Täusche ich mich, Herr Wolff, oder waren unsere verehrten Schriftsteller und Geistesgrößen früher nicht so verwürrt? Aber modern, Herr Wolff, modern! Das ist es gewisslich!“

Dienstag, 20. April 2010

Außengastronomie

Die Außengastronomie-Saison fing gut an unterm Heizpilz. Spargel mit Sauce Hollandaise, Räucherlachs und Frühkartoffeln. Gerüchten zufolge kommen Leute bis aus Düsseldorf oder Wuppertal auf den Knien angerutscht, um diese entzückend einfache und sehr reichliche Kombination im Filos zu goutieren. Während ich den stattlichen Spargel zerschnitt und verspeiste, unterhielten sich am Nebentisch einige flotte ältere Herren über die fünf Methoden der Kastration im arabischen Mittelalter. Schmeckte trotzdem.

Oma Tilly

Heute würde Oma Tilly 100 Jahre alt. Sie war nicht nur meine Großmutter väterlicherseits, sondern auch meine Patentante, was dazu führte, dass sie sich während Kindheit und Jugend gleich doppelt rührend um mich kümmerte. Ihr Haus lag nur einen Steinwurf von unserem entfernt. Dauernd steckte sie mir Fünf-Mark-Stücke zu, was damals einem Vermögen gleichkam. Oma Tilly war ein Fixstern, und das bei weitem nicht nur in pekuniärer Hinsicht. Sie war schlicht, aber offen, ein bisschen ängstlich, aber stets freundlich zu jedem, gerne auch zu Drückern oder Zeugen Jehovas. Außerdem kochte sie die besten Kniedeln diesseits des Rio Pecos. Das Geheimnis der Zubereitung nahm sie 1984 mit in die bessere Welt hinter dieser. Opa Pitter überlebte sie um vierzehn Jahre. Sie war der Inbegriff der Oma vom Land. Korpulent, rotwangig, mit dicker Brille, herzensgut, katholisch, auch schon mal ein bisschen störrisch. Wenn der letzte im Haushalt verbliebene Sohnemann nach der Arbeit nach Hause kam und die Bildzeitung mitbrachte, übermalte sie den Nacktmodellen auf Seite eins erst die Hupen mit Kugelschreiber, dann las sie das Blatt. Oft sehe ich sie noch um ihr Haus schlurfen oder nachmittags in der Sonne sitzen. Herrje, wie die Zeit vergeht und sich zu Bildern aus einem romantisch-faulen Sommernachmittagstraum verklärt, als sei man in eine Eichendorff-Novelle gebeamt worden.
An kalten Wintertagen und sonstwie bei schlechter Witterung hingegen konnte man mit Oma Tilly irrsinnig gut Fernsehen schauen, denn sie interessierte sich für Geschichten, reale wie fiktive. Sie interessierte sich überhaupt sehr für die Welt jenseits des Horizonts. Ich setze mich demnächst mal wieder ein bisschen zu ihr hinters Haus und erzähle ihr, was es so Neues gibt.

Montag, 19. April 2010

Magnetisches Zentrum

Ich hatte ganz vergessen, wie unverschämt dicht und expressiv dieser Golem doch ist. Welche Fülle von Details, welche mäandernde Anekdotenhaftigkeit, was für einleuchtende Metaphern. Meyrink hat diese Interdependenzen weder vorher noch nachher jemals wieder so hinbekommen, zumindest nicht über eine solche Distanz. Phantastik, Okkultismus, Psychoanalyse, Groteske, Expressionismus, ineinander gedreht, verträumt, berauscht, bedrohlich und gruselig. Die Entsicherung von Raum und Zeit in höchster Vollendung. Schweben zwischen den Erklärungsangeboten, radikal individualistisch. In den folgenden Romanen kommt das alles grobschlächtiger daher, obwohl der ähnlich strukturierte Walpurgisnacht phasenweise noch mal auf dieses Niveau gelangt, dabei aber härter, manischer, grotesker und hasserfüllter ausfällt.
Die kongeniale Golem-Lesung von Wolf Euba kommt mit dunklem Timbre, einem leicht süddeutsch rollenden „r“, mit großer Konzentration und noch größerer Hingabe an den Text. Als Leser von Meyrinks Gesamtwerk erkennt man im Roman ständig die magnetischen Zentren seiner Interessen, die alles an Symbol, an Charakter und an Erzählung um sich herum ballen. Man merkt, wie sehr der Text Mittel zum Zweck ist und dass alles Menschenwerk und damit auch alles Erzählen nur Symbol ist und Abbild höherer und innerer Einflüsse. Kabbalistische Symbolräume, aufgeladen mit geheimen Bedeutungen. Die Codesprache des Innersten Ichs.
Mit dem Wissen im Hinterkopf, wie oft Meyrink mit diesem ‚didaktischen mystischen Erzählen’ scheiterte, glimmt der Golem nur umso mysteriöser. Das ist nahe dran an Perfektion. Es haut einem die mühsam erlernte Ratio aus dem Gebälk.

Freitag, 16. April 2010

Harndrang

Heute Nacht habe ich in diesem mir unbekannten öffentlichen Gebäude recht dringend die Toiletten gesucht, und man schickte mich in diesen Raum. Dort befanden sich statt Klokabinen und Pissoirs jedoch ein Dutzend Passbildautomaten und zwei Dutzend piepsender, ratternder Faxgeräte, die meterweise Werbung für "Granufink" ausstießen. Die Passbildautomaten waren offenbar alle besetzt, die Vorhänge zugezogen, und aus einigen erklangen plätschernde Geräusche. Es mag sich um auslaufende Betriebsflüssigkeiten gehandelt haben oder um strullende Besucher, ich weiß es nicht.
Ob ich mich dann über eins der Faxgeräte erleichtert habe, weiß ich auch nicht mehr, würde es aber hier in der Öffentlichkeit ohnehin nicht zugeben.

Sonntag, 11. April 2010

S'müffelt

Die Typen, die neulich im Waschkeller die Abwasserpumpe repariert haben, waren offensichtlich doch nur wieder Amateure, unabhängig davon, was die Aufschrift an ihrem Van so alles versprach. Ich würde mich im Moment nicht trauen, im Treppenhaus eine Kippe anzuzünden, denn es könnte sein, dass das ganze Gebäude gen Proxima Centauri abhebt.
„Kölner Freiberufler entwickelt interstellaren Raumflug mittels Methangasantrieb. Erfinder verschollen.“

Sonntag, 4. April 2010

Geheimer Wettbewerb

Neben all den hübschen Schreibwettbewerben, Nominierungsrunden und Preisvergaben im Genre-Literaturbetrieb, die der Selbstvergewisserung dienen, existiert in hermetischen, nur Eingeweihten zugänglichen Zirkeln heimlich, still und leise seit der Frühen Neuzeit der Wettbewerb „Dümmster Autor des bekannten Universums“. Einmal im Jahr, an Karfreitag, treffen sich die Abstimmungsberechtigten in einem geheimen Kellergewölbe der alten Abtei in Prüm (Eifel), zünden Kerzen an, hüllen sich in Kapuzengewänder und diskutieren mit verstellten Stimmen die Nominierten aus. Der Sieger wird unter Vorspiegelung falscher Tatsachen – zumindest unter Vorspiegelung nicht ganz korrekter Tatsachen – fürs nächste Jahr eingeladen ins Gewölbe zur Preisvergabe, nackt und schlecht frisiert auf eine geheime, nicht näher zu beschreibende Apparatur gefesselt und während des streng geheimen Vorgangs drei Stunden lang laut ausgelacht. Danach erhält er seine Urkunde und darf, mit Irritation und Schrecken im gehetzten Blick, wieder gehen.
Der diesjährige Preisträger hat für helle Freude unter den Abstimmungsberechtigten gesorgt, denn so eindeutig fiel das Votum seit dem Jahr 1642 nicht mehr aus. Das war wirklich ein Höhepunkt der Dummheit, der selbst den alten Hasen die Tränen der Rührung in die Augen trieb.

Samstag, 3. April 2010

Eingeölte Kerle

In den ollen Römer- und Christenschinken haben wir es ja traditionell mit halbnackten, verschwitzten oder eingeölten Kerlen zu tun, mit Muskelspielen unter sexy Tuniken, phallischen Bauten und Waffen und versteckten Gesten/Symbolen. Und in Zeiten restriktiver Moral hat sich Hollywood, das halb schwul war, eben gern auf diese Weise ausgedrückt.
Dennoch, gestern, beim etwa einhundertzweiunddreißigsten Durchlauf von Ben Hur habe ich mich wieder mal gefragt, warum mir Stephen Boyd in der Messala-Rolle so offensichtlich schwul vorkommt. Bei Laurence Oliviers Crassus in Spartacus ist das sehr mutig und sehr beabsichtigt (und war deswegen jahrzehntelang nicht in kompletter Länge zu sehen), aber in Ben Hur laviert Boyd ebenso seltsam wie beeindruckend drum herum. War der Darsteller, immerhin ein Schönling ersten Ranges, vielleicht selber schwul und gab der Rolle in bester Hollywood-Tarn-Tradition ein bisschen von sich selbst mit, oder hatte er eine Regieanweisung zur Homoerotik bekommen? Schwingt hier jenseits der üblichen Sandalenfilm-Symbolik etwas nicht explizit Gemachtes zwischen den Bildern, oder ist das nur ein Eindruck?
Die Sache ist nicht ganz neu und gilt seit etwa 2004 als geklärt. Eine kleine Recherche zu dem 1977 verstorbenen Boyd bringt zutage, dass er mitnichten homosexuell war und Messala demzufolge nicht ein bisschen als sich selbst oder meinetwegen eine römische Parodie seiner selbst spielte. Er handelte auf Anweisung. Schriftsteller und Film-Berater Gore Vidal, selbst homosexuell, berichtete 2004 von der Idee, der Ben Hur/Messala-Beziehung eine (nach heutigen Maßstäben einleuchtende) schwule Grundlage zu verleihen, so dass Messalas skandalöse Rache weniger auf politischen Ambitionen fußte, sondern vielmehr auf der Kränkung einer amourösen Zurückweisung. Sowohl Stephen Boyd als auch Regisseur Wyler fanden das toll, Charlton Heston konnte sich mit der Idee nicht anfreunden, sprang noch 2005, nach Vidals Offenbarungen, im Dreieck und stritt alles ab. Tatsächlich ist es heute allgemein anerkannt, vor allem aber: Es ist im Film tatsächlich zu sehen. Da es im damaligen moralischen Klima nicht möglich gewesen wäre, so etwas konkret auszudrücken und explizit zu machen - erst recht nicht in einem Film mit christlicher Thematik - und auch Produzent Zimbalist dagegen war, ließ man den Plan zwar fallen, nichtsdestotrotz aber hielten Vidal und Wyler Boyd dazu an, die Rolle genau so zu spielen, ohne allerdings Heston einzuweihen und ihn darauf einzustimmen. Boyds Leistung in Ben Hur ist ohnehin schon gewaltig, aber wenn man das weiß, wird sie umso bestechender. Die Sterbeszene als Sexualakt, großartig.

Freitag, 2. April 2010

Die zweite Trilogie


Es gibt diese überlieferte Geschichte von einem Wipers-Konzert in Deutschland. Der Gig hatte noch nicht begonnen, das Publikum war aber größtenteils schon anwesend. Als ein langer blonder Schlacks mit Gitarre die Bühne betrat, jubelten die ersten, aber der Kerl stöpselte lediglich sein Instrument ins System, stellte es neben einen Lautsprecher und drehte das Volumen voll auf. Dann setzte er sich mit dem Rücken zum Publikum im Schneidersitz auf die Planken und lauschte in sich versunken mehr als fünf Minuten den Rückkoppelungen. Die, die sich nicht auskannten, dachten, er sei ein etwas ausgeklinkter Roadie, aber als das Konzert schließlich begann, erwies sich der Typ von vorhin als der Chef selbst, und dies war sein Soundcheck gewesen.
Die Platten, die etwa zu dieser Zeit entstanden, bilden die zweite Wipers-Trilogie. Sozusagen Der Herr der Ringe des Gitarrenrocks. Der Punkrock-Sound der ersten Trilogie, der an sich schon mächtig dicht war, wird noch weiter verdichtet, andererseits aber auch aufgebrochen. Er erhält klare Blues- und Rock’n’Roll-Phrasierungen, mit denen dann höchst merkwürdig umgegangen wird. Ich stieß seinerzeit auf dem Höhepunkt der eigenen Pop-Punk-Phase auf diese zweite Trilogie und dachte beim Reinhören verwirrt: „Herrje, ist das jetzt Blues, oder was? Seit wann hör ich denn Blues?“ Ich lauschte genauer, versenkte mich fatalerweise darin und fand nicht wieder heraus aus diesen faszinierenden Schwingungen. Pop-Punk war mir danach egal, weil weltanschaulich zu simpel gestrickt, zu collegebürschchenmäßig. Wir wollten ja auch irgendwann mal erwachsen werden, und wir sind, wie wir ja alle wissen, nicht nur hier, um Spaß zu haben. Die zweite Trilogie ist durchdrungen von einer elektrifizierten Wehmut angesichts all der Unabänderlichkeiten der Welt, von einer geisterhaften Anmut, eingebettet in eine swingende, hallende Syntax des Zorns.
„Just A Dream Away“, Eröffnungstrack dieser Phase, ist prototypisch. Ich identifiziere darin drei Gitarren. Die stoische Rhythmusgitarre, mit der der Midtempo-Song beginnt und die zusammen mit der disziplinierten, nahezu ordnungsfanatischen Rhythmusgruppe den Track unbeeindruckt zu Ende spielt. Dann die klirrende, tremolierende, typisch wipereske Leadgitarre. Und dazwischen tummelt sich noch eine weitere, ein schweres, knurrendes, tumultöses Ding von der Farbe und den Abmessungen einer aufziehenden Gewitterwolke. Sie dient als Verbindungsstück, spielt mal mit der Rhythmusgitarre mit und umschlingt im nächsten Moment die Leadgitarre, erdrückt die Tremolos und Motive, bevor sie noch richtig ausformuliert wurden. Dann verkehren sich oben und unten: Sie kommt nicht als Gewitter in die Szenerie hereingezogen, sondern stattdessen über den Boden gekrochen, über den Urgrund herangeschlichen, pflückt all die hübschen hellen Töne mit einem Sprung in die Höhe aus der Luft und verschlingt sie.

Land of The Lost, die erste Platte der zweiten Trilogie, bringt einem Wunderwerke zu Gehör, der Nachfolger Follow Blind formuliert die Sound-Strategie weiter aus, und die Kommunikation der Instrumente verfolgt einen bis tief ins Unterbewusstsein. The Circle endet 1988 schließlich mit einer versöhnlichen Gelassenheit, bei der man ahnt: Das ist es, das Erwachsensein.

Die Welt wartet derweil auf das Wipers Box Set Vol. 2, in dem diese Alben digital remastered vorgelegt werden, vielleicht sogar mit ein paar Bonusstücken. Man wird ja noch hoffen dürfen.
Weil heute Karfreitag ist, wurde nebenan im Soundtrack das gesittete “Be There” installiert, bei dem schon gestandene Kerle geheult haben wie die Wasserspeier.