Freitag, 20. Januar 2012

"Ich bin kein Tag für eine Nacht oder: Ein Abend in Holz"

Jochen Malmsheimer, die Zweite. Weil die Gattin den so bekömmlich findet. Ich übrigens auch. Ein anderes, älteres Programm diesmal. Macht aber nichts, weil Malmsheimer die Tagespolitik traditionell umgeht und sich den wirklich wichtigen Dingen widmet, die bekanntlich zeitlos sind. Als da wären Dachdeckervereinstreffen in Kaarst, Kneipengespräche, Flugzeugtoiletten, Fernseh- und Radio(!)-Köche, Bochum. Und in einem seiner allerschönsten Texte verdeutlicht er uns, warum bei verbaler Kommunikation nicht wir Herr im eigenen Körper sind, sondern vielmehr das reichlich überforderte „Leitende Adrenalin“, das eine schier unüberschaubare Anzahl an biochemischen Abteilungen koordiniert. Die Abteilung SAM (Sitte/Anstand/Moral) spricht übrigens mit bayerischem Akzent. Man kennt diese komödiantischen Körperinneneinsichten spätestens seit Woody Allens Was Sie schon immer über Sex wissen wollten …, aber Malmsheimers Text ist 1) nur Text, 2) extrem prächtig gearbeitet und 3) rabiat vorgetragen. 
Malmsheimer präsentiert verblüffende Satzsemantik-Kanonaden, bietet eine Menge zitierfähiges Material und seziert schnellsprecherisch und dynamisch, was das Zeug, also die Sprache, hält. Dazu kommt, dass der breitgewachsene Bochumer unter jenen Bühnenentitäten, die allgemein zur Eruption neigen, zweifellos die beeindruckendste ist. Seine Misanthropie ist zu gleichen Teilen bedrohlich und zutiefst gerechtfertigt. Wenn es ihm aus dem breiten Brustkorb satzsemantisch und cholerisch herausbricht, neigen sich die Zuschauerränge und demzufolge auch die Zuschauer gleich mehrere Zentimeter nach hinten wie unter dem Einfluss einer taktischen Nuklearwaffe. Des Zuschauers Haupthaar, sofern vorhanden und auf entsprechende Länge gebracht, weht einen Moment lang in der Druckwelle. Rentner kippen auch schon mal, uff, nach hinten um. Von Verbrennungen und Verstrahlungen unter der Bevölkerung ist indes nichts bekannt. 
Ein wenig machen sich jedoch auch Abnutzungserscheinungen bemerkbar, was womöglich an der Schnittmenge zwischen diesem Programm und dem vom letzten Termin liegt: Es kommt zu Wiederholungen. Außerdem schien mir der letzte Termin verblüffender, enthusiastischer. Diesmal werden einige gedehnte Albernheiten losgelassen und ist mir persönlich zu oft von Flatulenz die Rede. Davon redet doch irgendwie jeder.