Vor dem Hören von Robert Calverts Captain Lockheed & The Starfighters von 1974 könnte es natürlich hilfreich sein, sich die deutsche Starfighter-Affäre noch mal vor Augen zu führen, einige Fakten zu recherchieren und zu versuchen, sich in das Klima der damaligen Zeit einzufühlen.
Das Album war Calverts erste Solo-Platte. Er stemmte sie als Session-Großprojekt, zu dem er allerhand Musiker, Sänger und Sprecher einlud. Es ist erwartungsgemäß die gesamte damalige Hawkwind-Crew mit an Bord, inklusive Brock, Turner und Kilmister. Simon Kings wummerndes Schlagzeug ist unverkennbar. Mit von der Partie sind ebenso Snowy White (Pink Floyd, Thin Lizzy), Paul Rudolph und Twink (Pink Fairies) sowie Brian Eno (Roxy Music). Unter den Sprechern und Sängern finden sich ausgewiesene Exzentriker wie Vivian Stanshall (Bonzo Dog Band, Monty-Python-Umfeld), Arthur Brown und Jim Capaldi.
Das Cover zeigt drei Starfighter-Miniaturen über einem Kamin im Formationsflug; auf der Rückseite sind die Flugzeuge von der Wand gefallen und liegen in Scherben vor dem Kamin. In das originale Klappcover sind alle Texte des Albums als Libretto eingeheftet. Ein Einführungstext erklärt dem Rezipienten die Hintergründe.
Calvert war begeistert von der Militärfliegerei und spielte sogar mit dem Gedanken, in die Royal Air Force einzutreten. Seine eher schwächliche Konstitution verhinderte das allerdings. Die Affäre um den Starfighter weckte sein Interesse sowohl als Fliegerei-Enthusiast wie auch als Satiriker, wobei damals durch die Presse so langsam einige Vorgänge aus dem gemeinsamen Darkroom von Militär und Wirtschaft ruchbar wurden, die auf Bestechung und skrupellose Profitmaximierung hinwiesen.
Die Sache beginnt mit den Geräuschen von Propellerflugzeugen und einem zornigen Franz-Josef Strauß während einer Luftwaffenvisitation: „Even the Red Baron himself would laugh at such antiquated aeroplanes. This is not an airforce, this is an air circus!" Kurz darauf tauchen die amerikanischen Waffenhändler auf, die Calvert als obercoole Opportunisten karikiert, die den Kunden, namentlich Strauß, weich klopfen, indem sie an seine Großmannssucht appellieren. Eben dieser von revanchistischen Gefühlen getragene Drang zum „Wir sind wieder wer“ macht die Deutschen zu leichten Opfern der amerikanischen Vermarktungsstrategien. Strauß wird charakterisiert als polternder, schreiender, überbordend romantischer Alleinerbe Görings, der die deutsche Luftwaffe wieder zum Prestigeobjekt machen will. „Out of the ashes of defeat, a shining silver bird arising ... We will soar up the skies with our gleaming needles. The world we’ll be!” Nicht nur werden jegliche Bedenken hinsichtlich der Tauglichkeit der F-104 vom Tisch gewischt („We will make some modifications“), es werden den Deutschen auch sage und schreibe 700 Exemplare eines noch ungetesten Jets angedreht. Aber als der Amerikaner Strauß in Aussicht stellt, die so modifizierte F-104 in F-104G („G for Germany“) umzubenennen, ist es um den Minister und seine zackigen Berater („Ja, Herr Minister!“) ohnehin geschehen: „G for Germany. Also, G for Gott strafe England!“
Die weiteren Spielszenen des Albums beschreiben den täglichen Umgang der Luftwaffe mit dem in Dienst gestellten Jet. Etwa den bizarren Enthusiasmus der Testpiloten. Oder die völlige Unfähigkeit der Bodenmannschaft, ein loses Triebwerk zu befestigen. Ein absoluter Klassiker ist der „Last Minute Cockpit Check“, bei dem der Tower mit dem auf der Startbahn stehenden Piloten nicht etwa die Bordinstrumente durchgeht, sondern ihm eine ziemlich lange Liste mit Beruhigungsmitteln vorliest („Valium, ten milligrams – Check. Haloperidol, five milligrams - Which ones? - The little white ones - Little white ones, okay. Check … A glass of water – Check“). Die Stimme des Piloten wird während der Einnahme der Medikamente immer trüber und langsamer, vor dem Start folgt noch ein Vaterunser.
Der Höhepunkt unter den Spielszenen ist jedoch zweifellos das „Vorstellungsgespräch“, in dem ein Kadett namens Von Trippenhof hinsichtlich seiner Tauglichkeit als Starfighter-Pilot getestet wird. Der offenbar völlig gestörte Bursche sprudelt derart über vor germanischer Todessehnsucht, wagnerianischem Untergangspathos und suizidalem Überschwang, dass der Hörer sich vor Lachen in die Hose macht. Als der Kadett dann auch noch mit der absurden Geschichte aufwartet, wie seine Mutter den vom Vater erfundenen „Gasseo glider“ einhändig über den Atlantik fliegen wollte und tragisch scheiterte, ist seine Tauglichkeit erwiesen. In einer weiteren Spielszene hören wir einen Barbershop-Chor von Ministern und Staatssekretären, die ihren Rücktritt ankündigen, ehe vor Biergarten-Geräuschkulisse ein damals in Deutschland weit verbreiteter Starfighter-Witz erzählt wird: „Willst du einen Starfighter haben? Dann kauf dir einen Acker und warte.“
Die dazwischen platzierten Songs überhöhen den satirischen Gehalt zu poetischen Rauschzuständen. Sie sind oft losgelöst von der konkreten Starfighter-Affäre und beschäftigen sich mit der Luftfahrt generell: der Widernatürlichkeit des Fliegens, dem grandiosen Überwinden der Anziehungskraft, dem Rausch der Technik, dem Heroismus und der buchstäblich bodenlosen Arroganz der Fliegerkaste, dem glorreichen Scheitern, der Faszination des Irrationalen, dem Prinzip „Pech“. Auch ihnen wohnt ein Element heroischer Todessehnsucht inne, eine gehörige Portion spezifisch teutonischen Vernichtungs- und Selbstvernichtungstriebs und immer wieder die romantische Tragödie des Scheiterns an der hehren Ambition. Durch haltlose Überzeichnungen und lyrische Späße wird die Tragödie allerdings zur Groteske umfunktioniert. In „Hero With A Wing“ gerinnt das unter mystischen Celtic-Folk-Klängen zu einer komischen Todestraum-Elegie. Der Höhepunkt der ganzen Platte ist wahrscheinlich der avantgardistisch gestaltete, zweiteilige „Song of the Gremlin“, in dem die Verantwortung für Abstürze und Todesfälle jenem Kobold zugeschrieben wird, der in der Technik wohnt und alles, was Menschenhand konstruiert hat, von innen heraus wieder dekonstruiert. Arthur Brown übernimmt die Rolle des Gremlin und stellt ihn vor zischenden Drums, flirrendem Piano und Vocoder-Effekten dar als drollig kreischende, böse Entität, die Technik genauso innig hasst wie Menschen.
Die Songs „Aerospaceage Inferno“, „Ejection“, „The Widow Maker” und „The Right Stuff” sind stoische, treibende Hardrocker im Hawkwind-Stil, transparenter und entschlackter als die Bandstücke der damaligen Zeit, dennoch aufgerüstet mit einschlägigen Soundeffekten wie Triebwerks- und Crash-Geräuschen sowie Funkgesprächfetzen. „The Right Stuff“ ist dabei eine poetische Paraphrase und Parodie des gleichnamigen Testpiloten- und Spaceage-Romans von Tom Wolfe (später verfilmt und bekannt unter dem deutschen Titel Der Stoff, aus dem die Helden sind), in dem der ich-erzählende Pilot sich unumwunden als sexuell höchst attraktiven Vertreter eines neuen Übermenschentums begreift. Am Ende steht das Requiem „Catch A Falling Starfighter“, ein wiederum folkloristisch ausgestalteter, zynischer Poem zur Begräbnistrommel, der auf surreale, aber einsichtige Weise die weiteren Verwendungszwecke eines vom Himmel gefallenen Starfighters aufzählt und dazu rät, vorher das Cockpit mit den verbrannten Überresten des Piloten über dem Abfluss auszuleeren. So viel zu den Ambitionen des gravitationsverachtenden Übermenschen.
Für den bösen „Widow Song“ hatte Calvert Nico (Velvet Underground) als Sängerin vorgesehen, aber die Kooperation kam nicht zustande. Der Song wurde gar nicht erst eingespielt, findet sich aber im Libretto. Publiziert wurde er erst 1985 auf dem Hawkwind-Sampler Friends and Relations Vol. 3 als zeitgemäß asketisches Synthie-Stück, gesungen von Calverts Frau Jill Riches.
Im Vergleich zu sonstiger britischer Deutschenverarsche zeichnet sich Captain Lockheed & The Starfighters durch ein gewisses Quentchen Stichhaltigkeit aus, sowie durch den lobenswerten Versuch, nicht bloß deutsche Zackigkeit und Tölpelhaftigkeit zu parodieren, sondern auch und vor allem die 'deutsche Seele'. Darüber hinaus ist das Album hervorragend recherchiert und im Hintergrund, wo sich die Effekte abspielen, phänomenal belebt.