Freitag, 8. Juni 2012

RIP

Wie es in den späten 60ern dazu kam, dass der freundliche Pastor Forse ausgerechnet in unserem kleinen Dörfchen landete, weiß ich auch nicht. Er war auch gar nicht der offizielle Pfarrer, sondern fungierte meistens sonntags als Aushilfe, während der Pfarrstelleninhaber die anderen Dörfer der Großgemeinde versorgte. Letzterer, der offizielle Pfarrer, war insgesamt eher unbeliebt, vor allem bei uns Kindern. Streng, mürrisch, humorlos, traditionell, sich seiner Autorität und herausgehobenen Stellung innerhalb der dörflichen Sozialstruktur sehr bewusst. Die älteren Leute sprachen von ihm selbstverständlich als von „dem Herrn“ (im Sinne von: der Chef / der Macker / der große Käse). Alte Schule, ziemlich viel leidenschaftsloses Geleier und strenge Blicke. Aber ich will den Mann nicht zu sehr abqualifizieren. Auch er hatte seine lichten Momente. 
Pastor Forse war jedoch ein prinzipiell anderer Typ. Er war Next Generation. Er kam aus der Stadt. Er war Religionslehrer an einem Gymnasium, Leiter eines Konvikts und katholischer Studentenpfarrer der noch neuen Universität. Später war er Gemeindepfarrer des Stadtteils, der die Universität beherbergte. Pastor Forse war selbst noch recht frisch, hatte viel mit jungen, engagierten Leuten zu tun, er hatte Gelegenheit gehabt, das Zweite Vatikanum zu rezipieren, war aber mitnichten ein introvertierter Theologe und Gelehrter, sondern ein Mann des Volkes. Pfarrer Forse war ausgesprochen nett, verständnisvoll und warmherzig, und wir Dorfknaben waren immer ganz begeistert, wenn wir bei ihm die Messe dienen durften statt bei dem anderen. Durch Pfarrer Forses Kontakte kamen ab und zu auch andere liberale Priester aus der großen Stadt zu uns, sanftmütige Männer, die Messdiener nicht nur als liturgische Manövriermasse begriffen und ihr eigenes Amt als „Dienst“ auffassten, nicht als Ausübung gottgegebener Autorität. 
Das war wichtig damals, man sollte es nicht unterschätzen. Es brachte einen frischen pädagogischen Wind von draußen rein, ließ einen Vertrauen fassen und ersetzte den Zwang durch Freiwilligkeit. Zumindest eine Zeitlang. Ich selbst entfernte mich dann doch irgendwann von der ganzen Materie – sie passte nicht mehr richtig zu dem, was im Leben so ablief –, denke aber mit großer Sympathie an Pastor Forse zurück. Der blieb eine Konstante und hat auch nach seiner Pensionierung noch regelmäßig im Dorf die Messe gelesen. 
Nun ist Pastor Forse, Mitte siebzig, krank geworden und gestorben. Möge er, wo auch immer, so freundlich empfangen werden, wie er uns einst begegnet ist.

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