Montag, 31. Dezember 2012

Of the Sun and Moon

Ziemlich rückverliebt in dieses Album von 1986. Eigentlich hatte ich dem reinrassigen Heavy Metal abgeschworen, aber vielleicht hat die Rückkehr dahin mit dem Alter zu tun. Vielleicht braucht man wieder mehr Pathos und Verschwurbelung, mehr Überzeitlichkeit, mehr großes kosmisches Theater statt die Teilnahme an der Selbstbeschau jüngerer Pop- und Rock-Generationen, die einen schlicht nicht interessieren.
Die Platte kaufte ich damals in Koblenz, während eines kurzen Bundeswehr-Urlaubs. Ich entsinne mich an großes Kritikerlob in den Schwermetall-Gazetten, allerdings gab es wohl kaum Abverkäufe. Es tummelten sich 1986/87 einfach zu viele Bands im frühen ProgMetal und wurden von Queensryche und Fates Warning übertönt. Es blieb bei diesem einzigen Album der kanadischen Band Sacred Blade: Of the Sun and Moon. Heute ist es einigermaßen obskur, wird aber von Standhaften als eines der besten Metal-Alben der 80er kultisch verehrt, besonders in Deutschland. Und diese Leute haben, soweit ich das beurteilen kann, absolut recht.
Ich mochte natürlich den durchs kosmische Dunkel galoppierenden Power Metal auf Sabbath-Pfaden, aber auch den spacigen Zugang, die epische Breite, die harmonische und melodische Qualität, die unerwarteten Breaks und jazzigen Stilwechsel, den typisch kanadischen Prog-Anteil, die hawkwindesken Päuschen, das Gefrickel und das Eigenbrödlertum. Schwerer und gedankenvoller als andere Metal-Bands, kosmische SF-Kunstmythologie statt Weltuntergangsphrasen, Horror-Trivialitäten und Gothic-Kitsch. Literarisch, melancholisch, mysteriös und dazu da, ihm auf den Grund zu gehen. Der Schlussteil, das achtminütige Instrumental „Moon“, gehörte ohnehin stets zum Schönsten, was der Metal der 80er angerichtet hat.
Fast zwanzig Jahre später öffnete Blade-Chef Jeff Ulmer mit seinem neuen Projekt Othyrworld die Archive und spielte neben neuen Stücken auch altes Material ein, so dass das Album Beyond Into the Night of Day zu einem erweiterten Remake geriet. Es wurde abseits der Industrie und neben den herkömmlichen Vertriebswegen losgelassen. Perfektionist und Universalist Ulmer wollte unabhängig bleiben und hatte keine Lust, sein Talent kommerziell zu verwerten. Das macht den Kauz glatt sympathisch.

Jahresrückblick

Das Jahr begann unerfreulicherweise mit einem Januar und mit den Abbuchungen diverser Versicherungs- und Steuerbeträge. Da war der Monat auch schon wieder rum. Der Februar war ein bisschen kürzer und blieb durchweg ereignislos. Der März fiel zum großen Teil der Frühjahrsmüdigkeit zum Opfer. Im April erschien ein neues Hawkwind-Album. Der Mai kam, winkte durchs Fenster und ging wieder, der Juni machte auch diesmal großen Spaß. Im Juli schnitt ich mich böse beim Aufreißen einer DVD-Verpackung, und mir musste die linke Hand amputiert und gegen einen Walfischknochen ausgetauscht werden. Der August war irgendwie ziemlich warm, wenn ich mich recht entsinne. Das traf sich gut, denn unsere Heizung war gerade kaputt. Im September erschien ein Ford-Werbespot mit Hawkwind-Musikuntermalung. Im Oktober hatte ich schon wieder Geburtstag, und jemand setzte mir einen albernen Papphut auf. Im November erschien ein weiteres Hawkwind-Album, und im Dezember endete die Welt entgegen aller Erwartungen nicht, obwohl ich drei Tage zuvor begonnen hatte, richtig lauten Retro-Weltuntergangs-Metal aus den 80ern zu hören (Metal Church, Savatage, Manilla Road). Damals war die Welt aber auch nicht untergegangen, was nur logisch ist, denn sonst hätte es ja dieses Jahr gar nicht gegeben. 
Konservative Kreise behaupten, das neue Jahr beginne diesmal wieder mit einem Januar, was bedeuten würde, dass erneut diese unerfreulichen Abbuchungen anstehen.

Montag, 24. Dezember 2012

Samstag, 22. Dezember 2012

Spenden

Advent. Die hohe Zeit des Spendenwesens. Bisher wurden an der Wohnungstür vorstellig: Obdachlose ohne Obdach e.V., Iranische Exilanten e.V., Initiative Ohne Rauch Geht’s Auch, Initiative Ohne Rauch Geht’s Kaum, Anonyme Apokalyptiker (ohne Ausweisschild um den Hals, da anonym), Seemann ohne Schiff, Atheistenverband Brainwash e.V., Kommando Spezialkräfte, Stuttgarter Parkschützer in Köln e.V., Veteranenverband der Tamilischen Tiger, Bund gegen das Abschmelzen der Gletscher, Raucher retten Robben, Robben retten Wale, Zeugen Siddhartas, Piloten mit Flugangst e.V., Kirche der Heiligen Platzpatrone von Padua, Chinesische Exilanten e.V., Interessengemeinschaft zur Beschleunigung der Kontinentaldrift, Bund gegen Lepra auf Bali sowie Bund für Lepra auf Bali. 
Die beste Methode, die Sache kurz zu machen und nicht doch noch ins Grübeln zu geraten: Einfach sagen, man sei schon Mitglied. Dann freuen sie sich und gehen eine Tür weiter.

Freitag, 21. Dezember 2012

Abwarten und Phoenix schauen

Na ja, ich warte dann einfach mal ab und lasse Phoenix laufen. Asteroid? Oder Flutwelle? Oder doch Erdbeben? Eine Magmakammer? Eifelvulkane? Die Virus-Epidemie? Ein Schwarzes Loch? Eine Invasionsstreitmacht vom Echsenplaneten Hrrr? Gar ein nordkoreanischer Atomsprengkopf? Ist apokalyptisches Galoppel auf der Straße zu hören? Gibt es Kartoffelfäule? Oder den Koalitionsbruch in Berlin? Oder doch einen Wasserrohrbruch? Oder bricht mir der Schlüssel in der Haustür ab? Ist der Kaffee alle? Fällt der Typ aus dem 1. OG mit einem Stapel Teller die Treppe runter? Oder steigt aus dem sumpfigen Keller ein alter Gott hervor und keckert irre? 
Alles ziemlich unkonkret, ist ja aber noch früh.

Donnerstag, 20. Dezember 2012

Linsensuppe mit Würstchen

Ich habe das Angebot des leicht paranoiden Eifeler Bundeswehrkameraden abgelehnt, ab morgen den Weltuntergang in seinem selbstgebauten Bunker auszusitzen. Die Räumlichkeiten habe ich besichtigt, und es war gar nicht so übel: Digital-TV, Stromgeneratoren, ein Riesentank mit Diesel, autonome Wasserversorgung aus Tiefbrunnen, Erdwärme, ansprechende Sanitäranlagen. (Sein Kumpel arbeitet bei „Fliesen Hochschneider“ in Daun, und er kriegt Prozente.) Eine drei Meter dicke Bodenplatte aus Blei gegen aufsteigendes Magma. Eine liebevoll ausgestattete Hauskapelle mit Kreuzgratgewölbe. Eine gutbestückte Bibliothek, hauptsächlich Bücher, die er sich von mir ausgeliehen und nie zurückgegeben hat. Sollbruchstellen bei Erderschütterungen, Geigerzähler, Sicherheitsschleusen, Infrarot-Bewegungsmelder, Katzenstreu, ein eigener OP. (Seine Cousine arbeitet bei einer Krankenkasse und hat Kontakte.) Eine voll ausgestattete Schnitzwerkstatt für Thüringer Pfeifenmännchen, ein drei Meter hoher Stapel mit Laubsägemustern sowie diverse Kreativ-Bastel-Sets (Macramee, Specksteine u.a.). Selbstverständlich diverse Schusswaffen mit Hohlspitzmunition sowie ein voll funktionsfähiges U-Boot-Deckgeschütz. WLAN ist relativ schlecht so weit unter der Erde. Aber Bierdosen hat er palettenweise, und Böller für Silvester. Ein bisschen skeptisch gemacht haben mich die ganzen Erotikhefte, aber der Mann ist ja Single. 
Was mich das Angebot aber hauptsächlich ausschlagen ließ, war das höchst einseitige Nahrungsmittelangebot in Konservenform: „Linsensuppe mit Würstchen“. (Sein Neffe ist Azubi bei Erasco in Lübeck, und er kriegt Prozente.) Es war ohnehin schon stickig in dem Bunkersystem – zu viele Filter eingebaut, sagt er –, aber wenn die Besatzung erst mal fünfzehn Jahre lang von Erasco-Linsensuppe gelebt hat, dann wird das nicht unbedingt besser da drin, und die Postapokalypse beginnt zu miefen. Und irgendwann wird der Methangehalt der Luft so hoch sein, dass, wenn ich mir morgens die erste Fluppe anzünde, der ganze Komplex sich dem feurigen Weltuntergang doch noch anschließt.

Donnerstag, 13. Dezember 2012

Brotscheiben

Sie: „Warum hast du die Brotscheiben so dünn geschnitten?“ 
Er: „Stalingrad-Gedächtnis.“ 
Sie: „Ach, ist es wieder so weit?“ 
Er: „Ja, siebzig Jahre glatt.“ 
Sie: „Aber du gehst doch heute nicht wieder mit Fußwickeln vors Haus?“ 
Er: „Mal sehen.“ 
Sie: „Und duck dich nicht immer vor jedem Fenster. Sieht blöd aus.“ 
Er: „Häuserkampf. Aufrecht gehen ist das Todesurteil.“ 
Sie: „Na ja. Aber grab dich diesmal hinterm Haus ein. Nach vorne gucken die Nachbarn komisch. Und kein Scherenfernrohr. Letztes Jahr ist der Hausmeister drüber gestolpert und in deinen Schützengraben gefallen.“
Er: „Ja, war ein Kampf Klappspaten gegen Kehrbesen.“ 
Sie: „Und beschieß nach Schulschluss nicht wieder die Schüler, wenn sie hoch zur Straßenbahn gehen.“ 
Er: „Vierzehnjährige können Waffen genauso gut bedienen wie Vierzigjährige.“ 
Sie: „Ach bitte. Die erschrecken sich immer so, wenn du diese Geräusche machst …“ 
Er: „Acht-Achter. Kabautz.“ 
Sie: „Wie auch immer. Und verzichte bitte auf die Panzersperre. Der Vermieter mag es nicht, wenn die Feuerwehrzufahrt blockiert ist.“ 
Er: „Na gut.“ 
Sie: „Und kannst du die CD mit dem Kreischen von diesen Dingern …“ 
Er: „Stalin-Orgeln.“ 
Sie: „Kannst du die Stalin-Orgel-CD bitte über Kopfhörer laufen lassen?“ 
Er: „Ungern.“ 
Sie: „Bitte. Mir zuliebe. Und renn bitte nicht fahrenden Autos hinterher, um aufzuspringen.“ 
Er: „Ich muss aber aus dem Kessel raus.“ 
Sie: „Dann geh runter zur Haltestelle und nimm den Bus.“

Sonntag, 9. Dezember 2012

Traumwelt

Noch eine kleine Erinnerung an den verstorbenen Huw Lloyd-Langton. Der eskapistischste Song aller Zeiten, eine Art Umwelt-Fantasy, das buchstäbliche Abtauchen in eine langsame, schwebende, geräuschverstärkende Meerestraumwelt voller Lichteffekte, Strömungen und seltsamer Viecher. Eine punkig verzerrte Rhythmusgitarre, Drum-Variationen und einige brüllend laute Samples sorgen dafür, dass es nicht allzu entspannend wird. Musik und Effekte von Dave Brock, Text von Robert Calvert. Das Schlagzeug auf diesem Track spielt der 2004 verstorbene New Model Army-Drummer Rob Heaton, der damals kurz aushalf. Die wunderbar einschmeichelnde Lead-Gitarre, die kurz vor 3:00 einsetzt und bis zum Schluss um das Grundmotiv herumscharwenzelt, stammt von Lloyd-Langton.  
Dies hier ist die beste Version des Stücks, erschienen 1984 auf der EP The Earth Ritual Preview. Brock hatte ein Jahr zuvor auf seinem Solo-Album Earthed To The Ground bereits eine Rumpffassung geliefert, 1994 gab es noch eine Live-Version und 2011/12 ein Remake. Alle diese anderen Versionen kranken daran, dass Huw Lloyd-Langtons Lead-Gitarre nicht dabei ist.

Freitag, 7. Dezember 2012

R.I.P. Huw Lloyd-Langton

Das Habicht-Universum flaggt halbmast, und die einschlägigen Foren und Habichtnester rund um die Welt fließen über vor Trauer. Huw Lloyd-Langton ist tot. Einer der Besten, Einflussreichsten, Freundlichsten und Uneitelsten ist gegangen.
Er war Lead-Gitarrist auf dem allerersten Album und dann noch mal von 1979 bis 1988, ehe er sich auf Gastauftritte verlegte. Huwie ist einer der beliebtesten Musiker des Hawks-Kontinuums, ein pfeilschneller Space-Gitarrero, der meiner Meinung nach seine absolute Sternstunde auf dem Album Levitation (1980) hatte, als er mit Virtuosen wie Ginger Baker (Drums) und Tim Blake (Keyboards) in Wettstreit treten durfte. In den Achtzigern war er als Songwriter zuständig für die melodische, teils auch jazzrockige Seite des Hawkwind-Kontinuums. Ein weiteres festes Engagement 2000/01 scheiterte an seinem angegriffenen Gesundheitszustand. Überhaupt meinte die Gesundheit es nie gut mit ihm. Nach Legionärskrankheit, Nierenversagen und diversen Knochenbrüchen holte ihn nun der Krebs mit 61 Jahren. Er sah in der letzten Dekade krankheitsbedingt schon nicht mehr sehr frisch aus, quälte aber immer noch die Saiten wie ein junger Gott.
Seine zahlreichen Soli kann ich allesamt auswendig spielen – auf der Luftgitarre. Er hatte Saft und Strom, spielte aber auch einige der zärtlichsten Gitarrenfiguren, die ich überhaupt kenne. Auf dem Titelsong von Levitation gibt es diese eine Stelle, auf der seine Gitarre sich anhört wie unsere Katze, wenn sie sich beschwert. Oft ließ er die Saiten auch Möwenschreie nachahmen, und er verwendete immer gern diesen einen pfeilschnellen Schnörkel, mit dem er Retro-Computergeräusche aus SF-Filmen imitierte. Der Akustikgitarren-Part aus „The Fifth Second of Forever“ aktiviert bei mir bis heute umgehend das Dimensionstor im Kopf und befördert mich auf einen fremden Planeten. Seine immer etwas heiser klingende Stimme passte zu der Melancholie seiner Melodic-Rock-Songs.
Er war mir ein treuer Begleiter seit 1982, als ich die erste Hawkwind-Platte kaufte. Unlängst, auf Onwards, trat er noch mal als Gast in Erscheinung und wärmte mein kaltes, altes Herz.
Jetzt stromert er garantiert mit seiner Klampfe durch die Träumende Stadt.

Donnerstag, 6. Dezember 2012

Sechs bis siebzehn, mindestens jedoch acht

Dicken Kopp heute Morgen. Habe mich vorerst arbeitsunfähig geschrieben. Denn unlängst habe ich im Veedel nach Jahren den cineastischen Ex-Nachbarn wiedergetroffen. Mit Söhnchen. Haben uns dann für gestern Abend verabredet. Ohne Söhnchen. Es waren dann so zwischen sechs und siebzehn Kölsch pro Mann, mindestens aber acht, im Stehen am Brauhaus-Ausschank und mit einer besonders skrupellosen Köbes-Frau. Ich bin das nicht mehr gewohnt, aber es war angemessen bei den ausführlichen Diskussionen über Rush-Platten, die schwierige Klassifizierung von Spielberg-Werken und diese Art von Filmen, in denen die Leute hierhin und dorthin gehen.
Auf dem Rückweg musste ich auf dem Grünstreifen dezent ins Gebüsch, und danach schlenderte plötzlich ein „griechischer Jude aus Zypern“ neben mir, ein rauschebärtiger, reisender Straßenmusikant mit über den Rücken geschlungenem Akkordeon, und brachte mir in einem nächtlichen Redeschwall seine Zivilisationstheorie zu Gehör: Alle Kulturvölker, so meinte er, wanderten irgendwann nach Norden. Erst die Griechen, dann die Römer, und in zwanzig Jahren werden alle Europäer in Grönland leben – denn da ist ja dann das ganze Eis weg. Wir gingen derweil jedoch Richtung Süden, wie mir auffiel, aber ich verschwieg es und nickte bloß. Er verknüpfte das alles dann noch mit einer recht kleinteiligen anarchistischen Staatstheorie, die mir in dem Moment relativ egal war. Ich hatte sechs bis siebzehn Kölsch intus, mindestens jedoch acht. Ich bemerkte lediglich, dass er trotz geringen Autoverkehrs zur Nachtstunde an jeder roten Fußgängerampel diszipliniert stehen blieb und mich nicht nach Geld, nicht nach Zigaretten und nicht nach einem Schlafplatz fragte. Anarchisten sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.

Montag, 3. Dezember 2012

Stellar Variations

Das „Stellar Variations Project“ war seit dem Frühsommer in Habicht-Kreisen angekündigt, aber es blieb vorerst unklar, um was genau es sich dabei handelt. Dann kam die Aufklärung: Im letzten Winter waren die drei nahe beieinander wohnenden Bandmitglieder Brock, Chadwick und Hone eingeschneit, drehten Däumchen, flochten sich womöglich Strähnen ins graumelierte Haupthaar oder ritzten ihre Initialen in Tischplatten. Als das langweilig wurde, verlegten sie ihre Tätigkeiten in Brocks gut beheiztes Earth Studio, einem ehemaligen Kuhstall, um ein bisschen mit neuen Ideen herumzuspielen. Die beiden anderen Mitglieder Dibs und Blake wohnten zu weit weg, um durch die Schneemassen zu diesem improvisierten Treffen hinzustoßen zu können. 
Solche relevanten Seitenprojekte und Baustellenalben, die früher oder später in der offiziellen Diskographie landen, haben Tradition seit 1977. Sonic Assassins, Hawklords, das Church of Hawkwind-Album von 1982 und in den 90ern die Psychedelic Warriors mit ihrem Techno-Output. Nun also Stellar Variations vom sogenannten Hawkwind Light Orchestra. 
Es soll ein Seitenprojekt sein, und so hört es sich auch durchaus an. Eine offizielle Platte wäre vermutlich geschlossener, nicht so offen, nicht so montiert. Electro-Power-Rock-Jazz mit perkussiver Größe, schwerem, flexiblem Bass, zurückhaltend gemischtem Gitarren-Geriffe, einer irrsinnigen Fülle an Effekten und Geräuschen und Spoken-Word-Proklamationen: Stellar Variations braucht ein paar Durchgänge in unterschiedlicher Lautstärke, ehe man es durchsteigt. 
Mit dem Opener „Stellar Perspective“ deutet sich erstmal eines der üblichen Jam-Massaker an, denn da kommt ein Crossover angerummst, dem sogar verzerrter Metal-Rap zugefügt wird. Es bleibt minutenlang sehr druckvoll, ehe es nach hinten raus in überraschend jazzige Texturen ausfasert. Die Hawks hatten immer einen Sinn für den Opener, und das hier ist einer, jawohl.
Jazzig geht es weiter im einschmeichelnden, daherschwebenden „All Our Dreams“, das sich nach kurzer Zeit in eine Collage aus scharf gegeneinander abgegrenzten Synthie-, Sequencer- und Sample-Passagen verwandelt. Der Powerrock von „It’s All Lies“ erweist sich songwriterisch als recht banal, wohingegen „Variation 3“ wieder diesen unberechenbaren Space-Jazz auffährt und die Umwelt-Hymne „Four Legs Good Two Legs Bad“ hauptsächlich lustig gerät. Das epische „In the Footsteps of the Great One“ nutzt die Elric-von-Melniboné-Lyrik aus den Mittachtzigern, um eine rauschhafte Spoken-Word-Fantasy-Erzählung mit starkem Ethno-Anteil und angerissenen Choralgesängen zu erzeugen. „A Song for a New Age“ ist tatsächlich ein ausgearbeiteter Song – geschmackvoller Melodic Rock mit Drummer Richard Chadwick als Sänger –, genauso wie das treibende, schier überbordende „Instant Predictions“. Neben dem Opener erweisen sich jedoch „We Serve Mankind“ und „Cities of Rust“ als Höhepunkt des Albums: Sie haben den dunklen Hawks-Jam-Drive und diese typischen, immer wieder verblüffenden Brüche zwischen Härte und Weichheit. Glimmende Juwelen eines hochmodernen Spacerock. 
Stellar Variations ist der geschmackvolle musikalische Bericht über eine Entdeckungsreise hinter die Gasnebel. Stilistisch ein bisschen holprig und brüchig vielleicht, aber das ist kein Wunder bei dem, was es da alles zu entdecken gibt.

Samstag, 1. Dezember 2012

Blick zurück in Wohlgefallen

Angesichts des Rush-Konzerts Mitte nächsten Jahres bin ich noch mal über die ganzen Alben gehechtet. Das habe ich nämlich schon sehr lange nicht mehr getan. 
Relevant bleiben jene Platten, von denen ich auch schon vorher wusste, dass sie relevant bleiben würden: Es sind die vier aufeinanderfolgenden LPs der ersten Achtziger-Hälfte. Jene Umbruch- und Transformationsphase, in der das Trio sich in der Epoche umsah, sich auf globaler Ebene relevant machte und auch auf unserer Seite des Teichs Jungmänner zu beeinflussen begann. Es ist die Phase, die mir und meinen Altersgenossen in die DNA geschrieben wurde. Wir waren zufällig gerade da und erreichten das Alter, in dem wir ermittelten, wer stellvertretend für uns die Dinge ausformulieren durfte, jene schwierigen Sachverhalte, die wir zwar fühlten, aber noch nicht so recht zu artikulieren wussten. Rush waren die global denkenden, libertären Humanisten dieses Lebensalters. Und die vier aufgeräumten, unendlich virtuosen LPs rühren einen heute fast noch mehr als damals:

Permanent Waves (1980) 

Davor, ab 1975, fabrizierte Rush eher so einen elaborierten Pseudo-Progressive-Hardrock aus Phantasien, für meinen Geschmack viel zu großspurig, verschwurbelt, behauptet tiefsinnig und dabei nie abgespaced genug. Die erste Textzeile von Permanent Waves hingegen lautet einfach nur: „Begin the day with a friendly voice“. Und der Hit-Song „Spirit of Radio“ kommt bewundernswert direkt zur Sache, der Text wendet sich gegen das Formatradio und gerät ein bisschen arg selbstgefällig, aber das ist Hochenergie-Musik, Hardrock ohne Wenn und Aber, und nach hinten raus macht er allen Ernstes auf Reggae. Rush sind in unserem Raumzeitkontinuum angekommen. Und so geht das munter weiter auf der Platte. Zum Beispiel auf dem Melodic-Rocker „Freewill“. Mit diesen straighten Dingern zeigen Lee/Lifeson/Peart viel eher, was sie draufhaben, als auf überambitionierten 20minütigen Rock-Suiten über Apollo, Dionysos und irgendwelche mystischen Tempel auf dem weltfernen Nerd-Planeten. Okay, weiter hinten auf Permanent Waves gibt es auch so sperrige Progressive-Klöpse wie „Jacob’s Ladder“ und „A Natural Science“, aber selbst die sind irgendwie melodiöser als früher.
Supervitales Rockalbum mit total einmaligem, damals prägendem Crossover-Stil.


Moving Pictures (1981)

Nonplusultra. Die Platte fängt an mit Rushs bekanntestem Song, „Tom Sawyer“, der mir damals auf der Heiligen Stereoanlage das Oberstübchen neu verkabelt hat. Seitdem achte ich bei Rocksongs immer zuerst auf den Drummer. Zum geheimen Lieblingsstück entwickelte sich aber kurz darauf „Red Barchetta“, die anheimelnde, automobilfreundliche Geschichte vom über die Landstraße rasenden Onkel. Musikalisch allererste Sahne und stärker denn je mit diesen Ska-Rock-Akzenten. Das Instrumentalstück „YYZ“ wird zum Inbegriff Rush’scher Virtuosität und kokettiert mit dem Jazzrock, bis es funkt. Danach haben wir noch drei Rocker, einer davon gar düsterlich („Witch Hunt“), einer Ska, sowie einen letzten Restbestand der verteufelt progressiven 70er.
Eine unerreichte Ansammlung von lebensbejahenden Stimmungen und fest ineinander gedrehten Stilrichtungen. Wave-Rock geradezu, Betonung natürlich auf Rock.


Signals (1982)

Es geht so richtig los mit den Keyboards. Das mochten damals nicht alle. Geddy Lee hat sich mächtig weitergebildet an den Tasten und stellt sie in den Vordergrund. Aber er tut das geschmackvoll und degradiert seinen Gitarrenkumpel Alex Lifeson (noch) nicht vollends zum Statisten.
Das Überzeugende an Signals ist aber (neben dem Cover) das Songmaterial, eine Abfolge von Höhenflügen melodischen, teils elegischen Rocks, der sich anders – hibbeliger – artikuliert als der Rest der Epoche. Die Melodien machen immer einen Schlenker mehr, die Rhythmen ziehen an und lassen gehen. Dazwischen die faszinierenden Klangfarben des notorischen Crossover. Man hörte damals so etwas in den Charts, ja, aber nie, niemals in dieser Kombination. 
Ewige Favoriten: „Subdivisions“ und „The Analog Kid“. Wunderwerke.


Grace Under Pressure (1984)

Technokratisches Hit-Album. Wurde damals überall herumgereicht. Mehr Elektronik denn je, Peart spielt sogar Synthie-Drums. Weite Keyboardflächen, allerdings immer noch in Balance zur Gitarre. Ein würdiger Nachfolger von Signals in Sachen Songwriting. Anziehen, loslassen, verzwirbeln, über die Grenzen hinausziehen und doch zugänglich halten. Aus einem einzelnen Rush-Song machen andere Bands eine ganze Platte. Geheimfavorit: „The Enemy Within“. Was für ein Drive!
Das wirklich Bleibende an diesem Album ist seine düstere Kalter-Krieg-Stimmung, sein alarmistischer Charakter und der fast ungläubig wirkende Zustand zwischen Empörung und Trauer. Für mich fängt kaum ein Rockalbum die Epoche so ein wie dieses. Ein Song wie „Between The Wheels“ sollte zur eigentlichen Hymne der Achtziger erklärt werden, nicht diese hirnverbrannten 99 Luftballons.
Danach wurden Rush mit Alben wie Power Windows und Hold Your Fire leider, leider zum 80er-Designer-Rock.