Sonntag, 23. Juni 2013

A

Für mich als Zögling des Kalten Krieges und Freund seines rockkulturellen Outputs ist dieses Album immer noch erste Wahl. Manche Zeitgenossen haben die Platte und die Synthetisierung Jethro Tulls damals nicht recht begriffen. Es scheint fast so, als hätten sie sich mit dem Folkrock, der auf den schrulligen Progressive Hardrock folgte, allzu sehr abgefunden und seien nicht vorbereitet gewesen auf den weiteren Stilwechsel, der bündig mit dem Jahr 1980 daherkam. 
Nach dem frühen Tod von Bassist John Glascock zerfiel die fruchtbare, virtuose Tull-Besetzung der Folkrock-Jahre. Ian Anderson plante erst ein Solo-Album, streckte die Fühler in Richtung der avantgardistisch aufgelegten ProgRock-Legende Eddie Jobson aus und engagierte ihn für Keyboards und Geige. Dann wurde doch ein Tull-Projekt daraus, und Anderson musste sich weitere neue Leute suchen. Er fand den noch ziemlich unbeleckten amerikanischen Drummer Mark Craney sowie den Folkrock-Bassisten David Pegg. Und dann verband der Maestro das alles noch mit einer Aktualisierung des Sounds. 
Die Platte ist eine drastische Abkehr von der Ironie und der Melancholie des Pastoralen, das die Jahre zuvor prägte. Unter dem alarmrot glühenden Cover von A geht es um Atomkriegsgefahr, um „Fail Safe“, Zivilschutz, hereinfliegende Missiles, aber auch um Technisierung, Automatisierung, Arbeitswelt, kurzum: um die poetische Durchdringung des Hier und Jetzt. Und da im Hier und Jetzt gerade die Synthies den Ton angaben, hielten sie auch in Ian Andersons Welt Einzug: Er fand, sie konnten seine Botschaften angemessen ausdrücken. Die Sache wird also schlanker, poppiger, schwirrender, funkiger und zeitgemäßer, das Attribut „wavig“ wäre wohl zu viel verlangt. Hardrock-Riffs, Flöten-, Gitarren- und E-Piano-Läufe werden versehen mit Synthie-Tupfern, elektronischen Fanfaren und kalter, präziser Modernität. 
Mitnichten verzichtet A jedoch auf den Folk. „Fylingdale Flyer“, der absolut begnadete Übersong dieses Albums, ist im Grunde seines Wesens ein harter Folkrocker. Hörpflicht! Das superschnelle Instrumentalstück „The Pine Marten’s Jig“ weist im Titel schon auf die volksmusikalische Ambition hin. Starkes keltisches Flirren zeichnet „Protect and Survive“ aus, und selbstverständlich kann auch das monumentale „Black Sunday“ nicht lassen vom Keltizismus. Am neumodischsten hört sich die Kombination von Folk mit Elektro aber auf dem hibbeligen „Batteries Not Included“ an. Auf „Uniforms“ greift Eddie Jobson dann endlich auch mal zur Geige, tritt in Konkurrenz zu Andersons Flöte und schafft ein instrumentales Highlight der Tull-Historie. Und auf „The Pine Marten’s Jig“ wird’s dann richtig rasant mit den beiden. 
Ebenso bleibt natürlich der konzertane Charakter: Die Songs wurden nicht wirklich entschlackt im Sinne einer Wave-Rock-Ästhetik, sondern sind komplizierte, durchkomponierte Dinger mit einnehmender Dramaturgie, deren oberflächliche Eingängigkeit einlädt, in die Tiefe zu horchen. Und mit Tastenmann Jobson hat Anderson sich einen erstklassigen Sparrings-Partner engagiert, den besten Keyboarder nämlich, der je bei Jethro Tull spielte. 
Tatsächlich ist A wohl das modernste Folkrock-Album, das damals verfügbar war. Die Reaktionen des Publikums zeigen, wie neuartig das um 1980 herum gewesen sein muss.