Montag, 26. August 2013

UK

UK waren eine kurzlebige Supergroup der zweiten Siebzigerhälfte. Der Name hätte origineller sein können, finde ich. Sie setzte sich zusammen aus Mitgliedern der eben zerbrochenen jüngsten King-Crimson-Besetzung, John Wetton und Bill Bruford nämlich, sowie dem Jazzrocker Allan Holdsworth (Soft Machine) und Eddie Jobson (Roxy Music). Diese Besetzung hielt ein Album lang, und danach wurde nicht mehr viel draus. Kreative Differenzen, weniger Erfolg als erwünscht – wie es so geht. 
Wetton fand sich später bei den Kommerzrockern Asia wieder (und verdiente auch mal ein bisschen Geld), Jobson veredelte eine Zeitlang Jethro Tull, Bruford wurde wieder Teil der neuen, hibbeligen King-Crimson-Inkarnation. 
Jobson kümmerte sich in den folgenden Jahrzehnten immer mal wieder um eine Revitalisierung, scheiterte aber zumeist am juristischen Widerstand John Wettons. Insofern war es erstaunlich, dass sich ausgerechnet Jobson und Wetton 2011 zusammentaten und eine Reunion hinlegten, die in Tokio live dokumentiert wurde. Das Live-Doppelalbum krankt an einem miesen Sound, wie es heißt, aber auf der ebenfalls erschienenen DVD merkt man davon nichts. Die beiden anderen Bandmitglieder von damals wurden ersetzt durch zwei jüngere Session-Profis mit Jazzrock- und Fusion-Erfahrungen, den deutschen Weltklasse-Schlagzeuger Marco Minnemann und den in L.A. lebenden österreichischen Gitarristen Alex Machacek. 
UK sind natürlich auch in dieser Formation etwas akademisch. Kein Wunder, sie haben King-Crimson-DNA und spielen einige Stücke aus Wettons Zeit bei KC. Aber genau wie das Vorbild können sie auch ungeheuren Druck machen. John Wetton ist ein bisschen füllig geworden, verfügt aber trotz gewisser Alkoholeskapaden in der Vergangenheit immer noch über die beste Stimme des ProgRock-Genres und spielt eine schwere, schwere Bassgitarre. Musikprofessor Jobson schmeißt einen mächtigen Riemen auf die Orgel, und sein Markenzeichen, die transparente Plexiglas-Violine, zieht einem immer noch die Haut vom Leib. Alex Machacek übernimmt auf uneitle, fast dezente Art die Parts von Holdsworth und Fripp, nicht aber deren Manierismen. Sehr überraschend (für die, die ihn noch nicht kannten) kommt Marco Minnemann rüber, der dem genialischen Originaldrummer Bill Bruford seine polyrhythmische Referenz erweist und wunderbar mit/gegen/neben/unter/hinter dem Takt trommelt. Ich wünschte, der Mann würde über uns wohnen und täglich zwei, drei Stunden üben.

Montag, 12. August 2013

Zwei Welten

In dieser Wohnung existieren zwei Welten. Sie lassen sich recht einfach separieren durch „Lärmschutzfenster während Berufsverkehr auf“ und „Lärmschutzfenster während Berufsverkehr zu“. 
Die erste Welt ist lebendig und betriebsam, voller Zischen, Sausen, Rauschen, Quietschen, Röhren und lautem Plappern oder Lachen; alle Verrichtungen innerhalb der Wohnung laufen schneller und effizienter ab, passen sich dem Rhythmus von draußen an. Man fühlt sich jung, kann kaum stillsitzen und möchte unbedingt Anteil haben an dem rätselhaften Geschehen, an den Tätigkeiten, an den Wegen von A nach B, am Gewusel, und man möchte den Nachttopf durchs Fenster entleeren und dabei rufen: „Vorsicht, da unten! Scheibenwischer an!“ 
In der zweiten Welt ist das alles ganz weg. Da will man sich sofort den Kimono überstreifen, in die liegende Position wechseln und sich dem altehrwürdigen Schrifttum und dem Ikebana widmen, dabei dem leisen Prötteln der Kaffeemaschine lauschen, dem zarten Schnarchen des Katzentiers, dem Plätschern des Springbrunnens im Patio, den Vögelein von hinterm Haus, möchte die Düfte des Bewuchses um sich wehen haben und sanftmütig ins Nickerchen hinüberbegleitet werden. 
Und natürlich ist es gut zu wissen, dass, wenn einem das alles auf den Senkel geht, man einfach nur die Fenster wieder öffnen muss.

Samstag, 10. August 2013

Bundestagswahl

Dieses Mal macht sich da zugegebenermaßen eine gewisse Ratlosigkeit breit. 
Die Grünen formulieren eine Art Gängelei-Agenda zur Weltverbesserung aus und haben wie üblich keinerlei Humor. Die FDP hingegen hat einen viel zu bizarren Humor, als dass er regierungsfähig wäre. Die Linke liegt im Magen wie ein Fass voll mit ausgehärtetem Beton, und mein Mitleid mit den Partei-Prominenten äußert sich darin, dass ich bei ihrem Erscheinen auf dem Fernsehbildschirm sofort umschalte. 
Die AfD besteht aus langgedienten Tagungsexperten, die hauptsächlich darauf trainiert sind, Buffets kahlzufressen. Die Piraten sind eine Zusammenkunft von tragikomischen Indoor- und Kellerschacht-Schraten, das Internet ist meiner Meinung nach sowieso scheiße, und die mit ihnen verbündeten Promis sind funktionsgestörte Dröppelminnas wie Juli Zeh. Die CDU, die ehemalige katholische Zentrumspartei und natürliche Heimat des Dorfjungen, bevor er achtzehn und damit wahlberechtigt wird, entfällt wegen Pofalla. Es bleibt also wohl doch nur wieder die SPD – in der Hoffnung, dass sie nicht gewinnt.

Donnerstag, 8. August 2013

Knöllchen

Meine Knöllchen-Geschichte ist eher eine übersichtliche. Ich war da meistens auf der korrekten Seite. Nicht immer, aber meistens. Kein Parken in zweiter Reihe, nicht in Ladezonen, nicht auf Behindertenplätzen, nicht in Einmündungen oder Feuerwehrzufahrten.
Mannomann, denke ich also jetzt, wieso habe ich denn da dieses Knöllchen am Auto? Es gibt keinen offensichtlichen Grund dafür. Kein Parkverbot, Anwohnerparkerlaubnis gut sichtbar, Kennzeichen dran, TÜV in Ordnung, Umweltplakette dran. Wieso kriege ich nach sechs selbstverständlichen Jahren im Anwohnerparken plötzlich eine Knolle? Und wieso erst nach einer kompletten Woche Standzeit auf dieser Position? Der Belehrungstext auf dem Knöllchen verkündet: „Verkehrsteilnehmer, Kölsche Jung! Mein Meedels und isch sön gar nisch fruh. Wart of den Schriev von da Stadt mit Begründung und nerv üs nit vorher mit irgendwat Scheißeingaven, du Ei. Emeffgee und so, de Ob-er-bür-ge-mee-ster." 
Also mal eben selbst recherchiert. Und siehe da, nach geschlagenen sechs Jahren haben erst der Oberbürgermeister und seine Mädels und in der Folge jetzt auch ich begriffen, dass die vorderen zwei Drittel der parkseitigen Fahrspur der Volksgartenstraße gar nicht fürs Anwohnerparken freigegeben sind, sondern nur für normale Parker. Und wer stand da breitärschig eine Woche lang mitten drin? Genau. 
Er hat also recht, der Oberbürgermeister. Ich werde ohne Renitenz zahlen. Im Geiste höre ich seine ermahnenden Worte: „Musste mal frieher of Lageplan von An-woh-ner-par-ken gucken, ne, Ei?“
An der Pauluskirche parkt es sich eh besser. Weniger Vogelkacke und mehr spirituelle Ruhe fürs Auto.

Samstag, 3. August 2013

Aqualung

Ein Album, das damals einschlug wie eine Bombe und in der Retrospektive vielleicht sogar noch besser kommt. Ich bin wirklich dankbar, mit so etwas sozialisiert worden zu sein. 
Heute weiß man natürlich, dass Ian Anderson nach 1971 ein paar Schlucke aus dem Progressive-Rock-Pokal zu viel nahm und Jethro Tull ziemlich verkünstelte. Aqualung hingegen hat noch die perfekte Balance zwischen wildem, elektrifiziertem (Blues-) Hardrock, anrührender Folk-Miniaturballade und kunstfertigem, kontrolliertem Songwriting, das nicht in erster Linie dazu dient, die Großartigkeit seines eigenen Schöpfers zu belegen. 
„Aqualung“ ist der Spitzname des Obdachlosen aus dem Titelstück: Sein notorisches Schnaufen und Röcheln hört sich an, als trüge er eine Unterwasser-Atemmaske. Die Platte kümmert sich um die Randexistenzen, um Tippelbrüder und Bordsteinschwalben wie die Schielende Mary und wirft – vor allem auf der B-Seite des Albums – ein paar unangenehme Fragen auf hinsichtlich Nächstenliebe und organisierter Religion. Da wird es mitunter richtig zornig und politisch inkorrekt, und Sänger Anderson schlüpft in die skurrilen, exzentrischen Figuren seiner Texte hinein. Man hat den schäbigen Kerl namens Aqualung förmlich vor Augen, natürlich auch dank der kongenialen Covergestaltung. Wobei die Flöte mehr denn je als Verlängerung des Gesangs fungiert. Das Bühnenoutfit der Band ist das von Pennern und schrägen Vögeln, und der historisierende Charakter des Ganzen scheint einen Bogen zu schlagen aus der Gegenwart des Albums bis in die Dickensianische Epoche, geht aber im Prinzip noch viel weiter zurück, denn im Inneren des Klappcovers ist die Band in historischen Kostümen gemalt worden. 
Trotz seiner aktuellen sozialen Botschaften belegt Aqualung nämlich, dass Jethro Tull sich in der Tradition der Barden und Bänkelsänger sehen, als eine Art zeitverschobenes Renaissance-Ensemble, das sich in der gegenwärtigen Epoche umschaut und sie sich zu eigen macht. Und das war damals neu. Der kreative Output einer an Ausbrüchen reichen Epoche, und doch etwas ganz Besonderes. Ein wunderschönes, knallhartes, ungemein authentisches Kunstrockalbum mit Schmackes und einigen echten Tränendrückern.