Dienstag, 12. August 2008

Neulich an der Ampel

Nach dem Regen ist die Wolkendecke wieder aufgebrochen, und es herrscht blauer Himmel. Ich stehe an der Fußgängerampel Kreuzung Hohe Pforte/Blaubach und überlege mir, ob ich in diesen Videoladen auf der anderen Seite reingehen soll, sofern diese Ampel endlich mal grün wird. Neben mir steht ein gut abgehangener, sabbernder Zausel in Kleidung, die vor dreißig Jahren im Aldi modern war, wühlt hektisch in seiner Jutetasche und ruft dauernd „Yo! Yo! Yo!“.
Ich schaue eine Weile in die Regenpfütze direkt vor mir, in der sich der Himmel spiegelt. Eine weiße Wolke zieht träge durchs Wasser, gerät aus dem Blick und hinterlässt nur das Azurblau des Himmels. Ich will die Augen wieder auf das rote Ampelmännchen gegenüber richten, als etwas meine Aufmerksamkeit erregt. Im Pfützenspiegel schwebt plötzlich etwas sehr Merkwürdiges heran und schiebt sich immer weiter ins Bild. Ich muss mal eben kurz die Augen zukneifen und sie ungläubig wieder öffnen. Es ist immer noch da, nur ein bisschen weitergeschwebt in der Pfütze. So richtig glauben kann ich's jedenfalls nicht. Ein verdammt großes Luftschiff ist da zu sehen. Nicht so ein kleines surrendes Werbeding, wie sie bei uns heute manchmal durch die Lüfte schweben, sondern ein Riesenapparillo, groß wie ein Stadtviertel, mit knallrotem Auftriebskörper, der offenbar teilweise mit Holz verkleidet ist, gewaltigen Heckflossen und einer braunen Gondel mit einem sausenden Propeller und ganz komischen, verschnörkelten Aufbauten daran, die nach Jugendstil aussehen. Scheinen mir MG-Kanzeln oder kleine Geschütztürme zu sein. Könnten auch kleine Aussichts-Teestuben sein. Auf der Seite der Gondel steht in sauberen weißen Lettern, spiegelbildlich natürlich, zu lesen: „Royal Welch Fusiliers – Air Marine – established 1908“.
Ich schaue von dem Ding in der Pfütze in den Himmel, aber da ist nichts außer Azurblau und ein paar Wölkchen. Nichts da oben erzeugt dieses Spiegelbild. Der Typ neben mir hat seine Jutetasche fallenlassen, ist verstummt, wie ich jetzt bemerke, schaut schon seit geraumer Zeit nach oben und murmelt entgeistert: „Boah! Yo! Mann!“ Ich folge zwanghaft seinem Blick, aber da ist rein gar nichts. Stattdessen schaue ich wieder in die Pfütze und sehe gerade noch, wie das Heck des Luftschiffs sich aus dem Blick schiebt. Dann wird die Ampel grün, und ich marschiere kopfschüttelnd über die Straße Richtung Waidmarkt, während der Zausel stehenbleibt und den Mund nicht mehr zukriegt.

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