Wir haben gestern auf einem gefühlten 20-Kilometer-Spaziergang eine Gegend erkundet, die wir noch nicht kannten. Vorgebirgspark und Volkspark – nicht zu verwechseln mit dem Volksgarten, an dem wir sozusagen dranwohnen.
Nach den hochaufragenden 70er-Jahre-Wohnbunkern am Vorgebirgspark, der traurig und vereinsamt aussehenden Event-Agentur Party People im Erdgeschoss eines Wohnhochhauses und der puppigen, von Friseurläden dominierten Markusstraße, auf der ein einzelner schwuler Storch einen abfahrenden Bus zu erwischen suchte und uns kurz zum Lachen brachte, deuchte uns vor allem die Gegend westlich zwischen Brühler Landstraße und Militärring sehr merkwürdig. Ein Wohngebiet zwischen Einfamilienglück und Villengrundstück, mordsmäßig ruhig, um nicht zu sagen völlig tot. Wir waren die Einzigen, die sich dort bewegten. Selbst der Trimmpfad am Rand des Volksparks wirkte, als sei er noch nie benutzt worden. Ab und an sah man Schatten hinter den Fenstern der Häuser vorbeihuschen. Ein eigenartig dreinschauendes Kind fuhr Fahrrad, stieg gleich neben uns ab und ging in ein Haus, in dessen leeren Fenstern „Zu verkaufen“-Schilder hingen. Ich schwöre Stein und Bein, dass ich sah, wie es sich im Inneren, hinter der Haustürscheibe, in Nichts auflöste.
Weiter durch gibt es Bungalow-Bunker mit hohen Mauern und Zäunen drumherum, und an einer Festungstür hing noch die Brötchentüte, die der mobile Bäcker dort hingehängt hatte. Wir verzichteten darauf, sie für die Enten mitzunehmen, denn wer weiß, was in diesen Brötchen drin ist und zu was die Enten nach dem Genuss werden? („Killer-Enten terrorisieren Köln-Süd! Watschelmonster übernehmen die Stadt! Enten fordern 50 Milliarden Euro und ein Flugzeug nach Kuba!“)
Die Gegend liegt im Schatten des Deutsche-Welle-Hochhauses, das man von jeder Position aus sieht, und wir vermuteten, dass von dort eine Art Strahlung ausgeht. Ein Quantenfluktuationsbeam, der alles Lebendige in dem Viertel irgendwie phasenverschiebt. Mitten drin befindet sich auch die Bundeswehr-Fachschule, komplett verlassen und mit im Wind rollenden Tumbleweeds auf dem Parkplatz. Womöglich hat Oberst Schnurmann von der Fachabteilung Forschung hier ein geheimes Dislokationsexperiment durchgeführt, das außer Kontrolle geriet und schrecklich schiefging. Dann fuhr ein einsamer Polizeiwagen an uns vorbei, in einer solch ruhigen Gegend ein eher ungewohnter Anblick, weswegen wir vermuteten, dass die Staatsmacht sehr wohl etwas über die merkwürdigen Geschehnisse in dem Viertel weiß, es uns aber nicht mitteilt. Am Volkspark stieg dieser Typ im Sportdress aus seinem Twingo, stand eine Weile einfach nur herum wie eine Salzsäule, als sei er schrecklich verwirrt, schüttelte sich, flackerte einen Moment im Quantenfluss und begann dann damit, mit Schmackes einen Fußball gegen die Tür seines eigenen Autos zu treten.
Im Vorgebirgspark kamen wir an eine von Bäumen bestandene Wegkreuzung. An einem Ast baumelte zu unserer Überraschung ein ektoplasmatischer Gehängter, und aus seiner Hose tropfte irgendwas zu Boden. Aus dem Boden glaubten wir Schreie zu vernehmen, wie von einem kleinen Kind. Wir gingen schnell weiter und folgten den drei älteren Nordic-Walking-Damen, aber nur so weit, bis die eine sagte, sie kenne da diese erstklassige Boutique in Moskau und sie müssten eben mal da lang nach Nordosten, an dieser Baumgruppe dort vorbei, um hinzugelangen. Wir verließen den Park an dieser Stelle, denn was wollten wir bitteschön in Moskau?
Auf dem Rückweg lief auf der Vorgebirgstraße noch dieser andere Kerl vor uns her, der an jedem gelben Briefkasten anhielt, die Klappe öffnete, hineinspähte und lauthals „Bettina?“ rief.
Irgendwie waren wir doch froh, wieder zu Hause zu sein. Aber seit gestern leuchtet meine Hand im Dunkeln.