Sonntag, 28. November 2010

Stolz

Dieser Haushalt ist in zweierlei Hinsicht zu recht stolz auf sich. Er hat es pünktlich geschafft, die Oster-Deko durch Advents-Deko zu ersetzen. All die bunten Hasen und Ostereier hatten im späten November ohnehin etwas Psychedelisches an sich. Jetzt brennt die Adventskerze. Nur eine Kerze für die ganze Zeit. Brenndauer 87 Stunden. Könnte ein angenehmer Job sein: Adventskerzenbrenndauertester.
Der zweite Grund für den Stolz ist die Tatsache, dass der Brunch-für-zwei-Personen-Gutschein fürs nahegelegene „Kap am Südkai“ nun endlich eingelöst wurde. Überreicht wurde er zur Hochzeit vor dreizehneinhalb Monaten. Drei Stunden gemütlich spachteln mit Blick auf den Rhein, vorbeiziehende Schiffe, eingemummelte Passanten und Fesselballons, die am Deutzer Ufer gegenüber aufgeblasen wurden und starteten. Das Leben kann ein Idyll sein.

Freitag, 26. November 2010

Filmkritik

Das Ehepaar Reitersmann gestern Abend gegen 20.45 Uhr beim Anschauen des vielfach preisgekrönten Films Wolke 9 auf Arte.

Mittwoch, 24. November 2010

Elfen-Zelle

Die neue Nachbarin zwei Stockwerke höher hat mir ihren Wohnungsschlüssel anvertraut. Der Schlüsselanhänger hat die Form einer silbernen stilisierten Harfe. Ich soll tagsüber den Mann von der Telefongesellschaft einlassen. Bei diesen Rehaugen konnte ich nicht Nein sagen. Sie trägt ständig eine Mütze, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie darunter spitze Ohren hat und heimlich auf einen schicken Namen wie Galadriel oder so was hört und nur bei uns hier drüben „Sabine“ gerufen wird. Ich habe ihr Vertrauen auch nicht missbraucht, sondern habe mir, während der Telefonmann an der Buchse werkelte, nur mal, einem alten Instinkt folgend, das Bücherregal angeschaut. Waren alles psychologische Fachbücher. Elfe mit Psychologiestudium, aha. Nach irgendwelchem Elfengold, prächtigem Geschmeide oder magischen Schwertern habe ich nicht gewühlt. Der Telefonmann war übrigens ein großer, schlanker Blonder mit ungewöhnlich reiner Haut, sah ein bisschen aus wie Julian Sands und trug eine Mütze bis über die Ohren. Mich überkamen gewisse Zweifel, ob der hier wirklich einen klassischen Telefonanschluss schaltet oder nicht doch in ganz anderem Auftrag eine Elfenagentinnen-Standleitung in die Anderwelt legt.
Bereits Tage zuvor war eine weitere potenzielle neue Mieterin mit dem Hausverwalter aus der leeren Nachbarwohnung getreten, die sie offenbar gerade besichtigt hatte. Auch sie mit Rehaugen, suspekter Mütze, einer nicht ganz irdischen Aura und diesem milden, leicht überlegen wirkenden Glamour-Lächeln. Ich dachte mir da noch nichts dabei. Erst als die Neue von oben vor der Tür stand, wurde mir klar, worauf das hier hinausläuft: Das Haus ist der Tummelplatz einer Elfen-Zelle, einer klammheimlichen Elfen-Machtergreifung. Alle mit Psychologiestudium, um den Feind analysieren zu können, und Standleitung nach Hause. Der Verwalter, eher einer mit dem typischen Trollwald-Phänotyp, trat sofort auf mich zu und empfahl mich der Dame, „für wenn mal was ist“. Ich dachte mir da, wie gesagt, noch nichts dabei.
Die Frage ist jetzt: Soll ich meinen Verdacht den Behörden melden, die momentan sowieso anderes zu tun haben, oder soll ich doch mitmachen bei der Machtergreifung und auf einen hübschen Posten im neuen Regime hoffen?

Dienstag, 23. November 2010

Tragödie des Hausmanns

Mannomann. Neulich, während ich zu Hause mit dem Tiroler Hüttenpfannerl (ohne Speck, dafür mit reingeschnippelten Kartoffeln) wartete, verlustierte sich die Gemahlin in einer Ausstellung mit Ingo Naujoks. Gestern wartete ich mit dem Kartoffelgratin, und die Gemahlin kommt aufgeregt heim und meint, sie habe sich eben mit Jan-Josef Liefers im Starbucks vergnügt. Wie zum Hohn liefen den ganzen Abend in der Glotze Werbespors mit Liefers, und die Gemahlin rief: "Der da! Der da war's!"

Montag, 22. November 2010

HR-17, ehemals Z-Generator

Die Gemahlin war bei Harry Potter im Kino. Allein, weil dem Herrn Gemahl dieser Kram auf den Senkel geht und weil er beim Anblick von Daniel Radcliffe sofort in Dauerhusten ausbricht. Fraglicher Gemahl kaufte sich stattdessen eine Fleecejacke und entdeckte endlich mal den lokal führenden Modellbauladen. Ist sogar locker fußläufig. Ziemlich klein, bildet sich aber ein, so ziemlich alles anbieten zu müssen, weswegen es eng und vollgestopft zugeht. Das Atmen fällt schwer, auch wegen der vielen Kunden und ihrer Ausdünstungen. Modellbauer duschen selten. Keine Zeit. Ich merke es selbst. Es ist gerade Modellbahn-Messe vor Ort, und selbst so weit weg vom Messegelände stehen seltsame Leute im Laden, reden seltsames Zeug und lachen schallend über Sachen, die, wenn man sie so belauscht, seltsamerweise gar nicht witzig sind.
A: Der XY war auch auf der Messe.
B: Was? Der XY war auf der Messe? Echt?
A: Ja, er stellte den brandneuen Z-Generator vor, der aber nicht mehr Z-Generator heißt, sondern HR-17!
B: Na, das ist ja ein Ding! HR-17! Wahrscheinlich noch mit Luftdruck-Rosette und Stanzventil!
A: Nö, aber mit Trockenmassen-Equalisator.
B: Nee, echt jetzt?
A: Und mit thaumaturgischem Tanzschlauch.
B: Boah, so was gibt’s noch?
A: Und jetzt kommt’s: Er stellte ihn auf Holländisch vor!
B: Auf Holländisch?
A: Auf Holländisch.
B: Ach, da wäre ich gerne dabei gewesen. Der alte Schlawiner.
A: (schallendes Gelächter, kurzes Schnauben) Ja.
Schulterzucken meinerseits. Geringfügige sympathische Aufwallung angesichts der Verwendung des schönen alten Wortes „Schlawiner“.
Unter anderem gibt es hier Flugzeugmodelle bis zur Decke. Ich brauche keinen HR-17. Düsenjets, gebt mir Düsenjets. Mit ordentlich Abwurftanks, Sidewinder-Raketen und lustigen kleinen Bomben dran. Leider habe ich (fast) alle in Frage kommenden Flugzeugtypen schon im Internet gekauft. Ich ging lediglich mit ein paar neuen Farben und Klebstoff raus, halte mir aber die Option auf eine Rückkehr offen. Diese Flugzeugmodell-Regalwand bis hinauf zur Decke ist schon beeindruckend. Wenig Lust verspüre ich allerdings weiterhin auf Panzerhaubitzen, tschechische Ambulanzwagen, napoleonische Grenadiere, irgendwelchen Fantasy-Quatsch, den HR-17 oder eine Komplettrekonstruktion der Wehrmacht anno 1942 im Maßstab 1:72.

Donnerstag, 11. November 2010

St. Martin

Als ich heute Morgen fröstelnd und mit verklebten Augen ins Bad schlurfte, saß völlig ungeniert St. Martin auf dem Klo, den fraglichen Mantel über die Handtuchhalterung gehängt, schaute mich an und sagte: "Reitersmann, hier müsste mal wieder geputzt werden."
Ich schrie einmal kurz auf, ging in die Küche und und zur Kaffeemaschine und wartete, bis ich Klospülung, Wasserhahn und Wohnungstür hörte.

Dienstag, 9. November 2010

BsF

Bauer sucht Frau ist tatsächlich ein tolles, anregendes Format. Jemand wie ich fühlt sich da gleich daheim. Traktoren, Eggen, Kühe, Mist, seltsame Typen mit rudimentären Deutschkenntnissen. Es drängt sich bei der neuen Staffel jedoch zunehmend der Eindruck auf, dass mindestens die Hälfte der Love-Konstellationen von Schauspielern interpretiert werden, die Texte aufsagen. Vermutlich hatten die echten Bauern diesmal nicht so viel Lust, sich zum Affen zu machen.
Das Format bedient Vorurteile („Vorurteile sind gelebte Erfahrungen, nur eben von anderen“, J. Hader) und leitet aus ihnen wichtige menschliche Regungen wie Mitleid ab. Mitleid mit den armen, jungfräulichen Dummbratzen, die es eher mit Tieren als mit Frauen haben. Im Gegensatz zu so etwas Schäbigem, Geek-Pornographischen wie Schwiegertochter gesucht hat BsF behauptete Romantik, Pragmatik und Liebenswürdigkeit zu bieten, gruppiert sich um einleuchtende, manchmal auch überraschende emotionale Zentren herum und erschafft wunderbare Tableaus des Stoischen, Hirnrissigen, peinlich Sprachlosen, die dann zu unpassend pathetischen Popmusikschnipseln tragikomisch aufgebrochen werden. Und dann diese irren Momente total selbstverständlich daherkommender Toleranz und Neugier. Die Bauern sind einfach nicht welterfahren und klug genug, um - im Gegensatz übrigens zum Zuschauer - Vorurteile zu haben und nach ihnen zu leben. Der Umgang des bratzigen Bayern mit seiner thailändischen Hofgefährtin in der letzten Staffel wurde nicht umsonst zum modernen TV-Klassiker. Rüüührrrend! Diesmal deutet sich eine Wiederholung dessen an, aber es droht bereits zur Formel zu erstarren und ist nicht halb so authentisch.
Besonders toll auch die dahergefaselten Texte der Cowgirl-Moderatorin, einem Ex-Schlagersternchen, dem seine Autoren ständig Adjektiv-Substantiv-Kombinationen an die Hand geben („rüstiger Hühnerwirt“, „liebenswürdiger Ackerbauer“), besonders gerne auch Alliterationen in geschriebener und gesprochener Form („charmanter Schäfer“, „mollige Melkerin“, „romantischer Rübenbauer“). In diesem Haushalt machen wir daraus einen Wettbewerb, indem wir nach noch einleuchtenderen Alliterationen suchen: „aggressiver Agrarökonom“, „hysterischer Hühnerschlachter“, „zorniger Ziegenwirt“, „triebhafter Treckerfahrer“, „tollwütiger Torfstecher“.

Montag, 8. November 2010

Nochmal "Hader spielt Hader"

Der unten stehende „Verriss“ des Josef-Hader-Kabarettabends hat offenbar hier und da für Irritationen gesorgt. Selbst hartgesottene Ironiker haben ihn für voll genommen. Das beunruhigt mich. Die Schuld liegt natürlich bei mir. Das mit der Ironie, die nicht als Ironie gekennzeichnet werden darf, um Ironie zu sein, hat nicht ganz geklappt.
Das kommt davon, wenn der übersichtlich talentierte Interpret/Rezensent (= ego) sich dem Künstler experimentell anzunähern versucht und die Erwartungshaltungen durchbrechen will. Wenn er auf das notorische Understatement, den Selbsthass und den dunkelschwarzen Humor des Bühnenaktivisten eingeht und das mordsmäßige Gegrantel bestätigt, um der Bühnenfigur sozusagen eine Freude zu machen. „Ja, Josef, hast recht mit dir. Ich stimme dir in jeder Hinsicht zu.“
Ich habe es da offenbar zu gut mit ihm gemeint. Der Text ist überambitioniert. Ich entschuldige mich in aller Form dafür, bin aber dennoch der Auffassung, dass es in der „Kritik“ einige Anhaltspunkte gibt, wie der Eintrag eventuell zu lesen sein könnte.
Also noch mal auf Deutsch: Josef Hader auf der Bühne ist ein Ereignis der blitzgescheiten Bösartigkeit, der überraschenden Volte, des angemessenen Nihilismus, der grotesken Ich-Bezogenheit, des Austeilens gegen alle. Gegen alle! Im Zusammenspiel mit Gerhard, dem Beleuchter, ist er grandioses absurdes Theater. Tragikomischer kann es nicht werden auf diesem Planeten, das Publikum hat völlig zu Recht getobt. Hader rules! Und er und seine spezifische Form müssen in Zeiten des bräsigen, berechenbaren Polit-Kabaretts und des großen Comedy-Gähnens mit aller Macht gelobt werden.
Den „Verriss“ also bitte tunlichst ignorieren. Oder nochmal lesen unter anderen Vorzeichen.

Hipness im Winter

Der T-Shirt-Versand will mir Atomkraft? Nein, danke-Shirts aufdrängen. Scheint gerade hip zu sein und zwischen Aufdrucken wie Turbopussy, Ich saufe Koma und Polizei gute Absätze zu erzielen. Aber es ist ja fast Winter, und ich stricke mir lieber einen Norweger mit Elchen drauf.

Freitag, 5. November 2010

"Hader spielt Hader"

"Ist Ironie, Gerhard!"
"Dann sag's halt dazu."
"Gerhard! Es ist das Wesen der Ironie, dass man nicht dazu sagt, dass es Ironie ist!"

Gestern Abend in der Comedia: der beliebteste Österreicher seit Adolf Hinkel und Udo Jürgens.
Es ist keine bahnbrechend neue Erkenntnis, dass es sich bei Josef Hader um eine der Schlüsselfiguren des deutschsprachigen Kabaretts handeln könnte, ach was, um einen der Titanen deutscher Zunge und deutscher Wortkunst, wenn er sich und das Publikum bloß lieben und sich bitteschön endlich mal an die Regeln halten würde. Es fängt schon an mit einer dreiminütigen Verspätung, weil der Herr Künstler draußen auf der Straße unbedingt einen Herzinfarkt erleiden musste („Sterben? Ist wurscht, sterb ich halt“). Den Auftrittsapplaus kommentiert er in etwa so: "Ja, toller Applaus. Danke. Ich sehe schon, Sie sind gut drauf, Sie sind motiviert - und das hier wird schrecklich schiefgehen."
Das Programm Hader spielt Hader entstand wieder nur wegen einer Steuernachzahlung und einer vorgetäuschten Schwangerschaft und bietet ein gänzlich unoriginelles, jede Stimmung runterziehendes „Best of“, dem lustlos eine neue Dramaturgie aufgepfropft wurde (besonders beliebt offenbar: „Zweite Kasse aufmachen! Zweite Kasse!“ Da musste sogar ich Intellektueller kurz amüsiert schnauben, aber nur kurz!). Vornüber gebeugtes Wiener-Schmäh-Geplauder und notorisches Gegrantel, ein bisschen Rumgespringe eines alternden Typen im Psycho-Hemd, alte mäandernde Nummern, meistens ohne Pointen und auch noch stolz drauf, notdürftig mit ein paar neuen Halbsätzen aktualisiert. Dazwischen grantige, sozialromantische Couplets am E-Piano, absurdes Theater und Grimme-Preis-heischendes Schauspiel sowie Wortgefechte mit dem völlig desinteressierten Beleuchter Gerhard („Bittä? I hob grad mit meinen Mädels telefoniert“). Angekündigt war eigentlich eine intellektuelle Dichterlesung, aber dann zielt der Lesespot einen Meter neben des Künstlers Lesetisch ("Gerhard? Fällt dir was auf?"). Dichterlesung entfällt größtenteils, stattdessen über die PA ein Streitgespräch mit einem einsilbigen Prolo. Zieht einen alles ziemlich runter („Es ist so fad!“).
Durch nichts zu rechtfertigender Nihilismus („Is eh olles wurscht!“) und Intellektuellenverachtung, um nicht zu sagen: Kabarettverachtung, gespeist von einem eklatanten Selbsthass, der allerdings authentisch rüberkommt: Der Künstler ist da ganz bei sich selbst, weist aber trotz seiner notorischen Depressivität immer noch so viel Selbstbewusstsein auf, die Schuld für sich selbst bei jedem und allem zu suchen. Sogar bei uns, dem Publikum. Sobald man einen Witz oder ein rhetorisches Mäandern verstanden zu haben glaubt, dampft es in eine völlig andere Richtung ab und endet irgendwie bei Air Berlin. Unbequem, mühselig. Dann auch noch Selbstverständlichkeiten wie Reinhold Messner, Luzifer, alberne Lemminge und der Steinscheißer-Karl. Der Mann hat zudem keine Hemmungen, sich an katholischen wie an jüdischen Traditionslinien zu vergehen und wieder mal die olle, vielfach vorgekommene Humoranalyse des christlich-jüdischen Abendlandes loszulassen („Humanismus? Is eh wurscht. Bringt nix.“). Als stille Eskalation blitzt ständig dieses irre Grinsen auf, das man eher auf einem Anstaltsflur vermuten würde und das uns eitel-irre dazu auffordert, doch mal mitzulachen. Auch wenn es grad gar nicht komisch, sondern scheißtragisch ist („Is jetzt eh wurscht“). Und das alles geht auch noch sage und schreibe über zweieinhalb Stunden.
Hader könnte so gut sein, wenn er nur sich und sein Publikum lieben und sich nach einem Vierteljahrhundert endlich mal an die Regeln halten würde. Es ist mir ein Rätsel, warum der ausverkaufte Saal zweieinhalb Stunden lang getobt und geschrien hat vor Glück. Ist wohl Selbsthass. Das nächste Mal bitte Udo Jürgens.

Donnerstag, 4. November 2010

Paketbombenwitze

Bekanntermaßen halte ich ja hier im Viertel den Paketzustellungsrekord sowie den Pakete-für-Nachbarn-entgegennehmen-Rekord. Es wurde bisher an der Haustür noch kein einziger Paketbombenwitz gerissen. Daran erkennt man Paketzuliefer- und Paketempfängerprofis: keine Paketbombenwitze. So etwas machen nur enthusiastische Anfänger, die sich noch für wichtig genug halten, dass irgendwer ihnen eine Bombe schickt.

Dienstag, 2. November 2010

Weltraumbanditen

Wurde jüngst neu aufgelegt von Cherry Red Records: Space Bandits von 1990. Von mir damals noch als LP gekauft, später ersetzt durch eine japanische CD. Ein erneuter Kauf steht an, denn es gibt ein bisschen rares Bonusmaterial, vor allem die Live-Studio-Version von "Out of the Shadows".
Ein Übergangsalbum von den 80ern in die 90er, das die Aufmerksamkeit der damaligen Rave-Szene auf die Veteranen lenkte. Und das, obwohl diese kurze Phase eher als neo-proggig gilt und dem kathedralenhaften Rock-Sound wieder mehr Raum gab. Zuvor hatten Drummer Thompson und Gitarrist Lloyd-Langton ihren Abschied genommen, während Schlagzeuger Richard Chadwick hinzugestoßen war. Ebenso kam der einst von David Bowie abgeworbene Geiger Simon House für kurze Zeit wieder ins Spiel. Als neues Mitglied wurde Sängerin und Performerin Bridget Wishart rekrutiert, die sich allerdings, wie sich später zeigen sollte, nicht gänzlich wohlfühlte in dieser Band. Sie singt auf diesem Album unter anderem den langen Song „Images“, einen sehr maßgeblichen und typischen Hawkwind-Song dieser Epoche.
Die Besetzung, die um 1990 herum auftrat, war live besser als auf Platte, auch wenn die performerischen Elemente Wisharts eher an avantgardistisches Schülertheater erinnerten und Harvey Bainbridges Endlos-Rezitationen seiner mittelmäßigen Spinner-Texte einem irgendwann ziemlich auf den Senkel gingen. Musikalisch war das jedoch eine dynamische Epoche, die Space Bandits da einleitete.
Chadwicks Schlagzeugspiel ist eine Wohltat im Vergleich zu dem seines Vorgängers. Harvey Bainbridge macht halbwegs erfolgreich auf Keyboard-Wizard, Dave Brock zieht sich von den Synths zurück und gibt der Gitarre viel Raum. Alan Davey ist noch nicht ganz so Motörhead-mäßig drauf wie später. Houses Violine sorgt für erfreuliche Rasanz, vor allem wenn sie Leadgitarren-Funktionen übernimmt.
Das Album bleibt recht konzeptlos, wirkt aber entschlackter und wieder deutlich druckvoller und dynamischer als der Vorgänger Xenon Codex. Und dunkel-dräuend in der Gesamtanmutung, regelrecht bedrohlich. Im Hawkwind-Kanon ist es ein eher mittelprächtiges Album, aber als unvorbereiteter Hörer könnte man hier überrascht werden. „Out of the Shadows“ mauserte sich seitdem zum kräftig drauflos rockenden Live-Klassiker, der sich zum harten Jammen vorzüglich eignet. Das Überwechseln dieses krachigen Songs in die dunkel wirbelnde Soundwolke „Realms“ und wie nach gut drei Minuten das pulsierende Irrlicht „Ship of Dreams“ daraus hervortaucht, gehört zu den besten Hawks-Momenten in vier Jahrzehnten Bandgeschichte. Die mystizistische Indianer-Sound-Collage „Black Elk Speaks“ geriet zu Unrecht in Vergessenheit und läuft heute vermutlich nur noch in irgendwelchen Esoterik- und Duftkerzen-Shops als Untermalung. „TV Suicide“ könnte das beste Stück sein, das Harvey Bainbridge im Hawks-Zusammenhang je erstellte, wenn er nur den Gesangspart weggelassen hätte. Ähnliches gilt für das verzichtbare „Wings“, als Soundscape ganz hübsch, als Komposition eines der vernachlässigbaren Davey-Stücke.
Ein brauchbares Album. Im Jahr darauf wurde der Sound durch den vorzüglichen Studio/Live-Hybriden Palace Springs noch mehr in Richtung Neo-Prog gesteuert.

Der Lämmes

Auf dem Dorf gibt es den Ausspruch „Dou bass wuhl vum Lämmes gebass“. Du bist wohl vom Lämmes gebissen worden. Heißt so viel wie: bescheuert/Arsch offen/Sprung in der Schüssel. Wer genau dieser Lämmes war, konnte unsere Generation nicht mehr verifizieren. Zu alt der Spruch, zu lange her die zugrunde liegenden Ereignisse. Die Vermutung geht dahin, dass der Lämmes jemand unter den Altvorderen war, der auf gewisse furchterregende, zumindest aber verwirrende Weise nicht ganz normal war und dessen Biss als infektiös gewertet wurde. Wahrscheinlich litt er an einer seltenen Krankheit, für welche die Altvorderen auf dem Dorf keinen Namen hatten. Ich könnte mir das Tourette-Syndrom oder so was vorstellen. Vermutlich sah er auch ein bisschen strange aus. Der Lämmes war für uns Kinder stets ein Mysterium und nahm mitunter dämonische Züge an.
Als ich jetzt in die aktuelle Staffel von „Bauer sucht Frau“ reinzappte, überlief es mich eiskalt. Da ist er! Der Lämmes! Er heißt genau so, kommt aus der Eifel, redet dieses unverkennbar mühselige, akzentdurchzogene Eifler Hochdeutsch, geht leicht vornüber gebeugt, lacht kehlig, macht sich an die Weiber ran – und er sieht ziemlich strange aus. Und bescheuert ist er auch, was allein schon die Tatsache belegt, dass er bei dieser Sendung mitmacht. Als er nach dem einleitenden Scheunenfest seine Angebetete dann endlich auf seinem Eifler Hof hatte und ihr am Ohr zu knabbern begann, rief ich panisch: „Da! Gleich beißt er sie, der Lämmes!“