Sonntag, 28. Juli 2013

Kirmes

Sie sind schon irgendwie hemmungslos, diese Leute vom Dorf. Vor allem auf der Kirmes, die von den jungen Dorfprotagonisten ausgerichtet und organisiert wird. Das Pfarrfest, das hat oft einen leicht getragenen Charakter, mehr so kirchenchormäßig („Psst! Nicht so laut!“), aber auf der Kirmes gibt es vorne auf der Bühne im Gebüsch eine Trierer Cover-Band mit Rock-Standards und gelegentlichen Hardrock-Anschlägen, die einige Leute rhythmisch zusammenzucken lassen. Das könnte allerdings auch die Südeifler Form des Headbangens sein. Es gibt eine Sektbar mit neumodischen bunten Cocktails, barbarischen Gesöffen wie Eistee mit Korn, rudelweise junge, langbeinige Dinger mit Handtäschchen, einen girlandenbehängten, endsarkastisch daherschwafelnden Sportstudenten aus Köln („Er trinkt sonst nie Alkohol“), schwer rackernde Vierer-Teams am Bierstand und Alkohol von vorne, von hinten, von der Seite, und ein bisschen Gewitter von oben. Dauernd bekommt man von Leuten, die man kennt oder überhaupt nicht kennt, ein Bier in die Hand gedrückt. Ist wie Flatrate-Saufen ohne zu bezahlen. Auf dem Höhepunkt hatte ich drei volle Gläser auf einmal in Händen und irgendwie in der Ellenbogenbeuge: „Widerstand ist zwecklos.“ Ich muss gestehen, dass ich zwei davon entsorgte, indem ich sie am Bierstand einfach „vergaß“. Meine Güte, viel zu viel Alkohol für meiner Mutter Sohn! Ihr Typen seid einfach zu hemmungslos in eurer großzügigen und freigiebigen Art. 
Irgendwann sind dann alle angeheitert, die meisten jedoch hackevoll. Zumindest wenn es auf drei Uhr morgens zugeht. Und alle bleiben friedlich, freundlich, kommunikativ. 
Und dann natürlich die alten Bekannten. Volle Zustimmung zum Self-Publishing-Büchlein Junge vom Land, selige Erinnerungen, viel Gelächter, alles die nackte Wahrheit, was du da geschrieben hast. Stimmt gar nicht, manches ist ein bisschen frisiert. Unterhalte mich ewig mit der Käuferin der drei jüngsten Exemplare, und wir erzielen ein Höchstmaß an Einigkeit, obwohl wir uns Jahrzehnte nicht gesehen haben. Ich finde das rührend. Dann kriege ich auch noch die Geschichte von der Sprengung der ollen 8/8er-Panzerabwehrgranate haarklein erzählt. Was für ein Teufelszeug! So eine Story kann man nur mit zwei Bier in den Händen ertragen, die verhindern, dass man ebendiese Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Später ist man plötzlich in ein Gespräch vertieft mit der hübschen 27jährigen Nachbarstochter, bei der einem langsam erst dämmert, dass sie damals dieses kleine Mädchen zwei Häuser die Straße hoch war. 
Drohe schließlich in der Sektbar bei den jungen Dingern zu versacken und irritiert in neumodische bunte Cocktails zu starren, ziehe die Notbremse, wuchte mich nach Hause.