Montag, 22. Juli 2013

Rock Island

Titel und Coverart zeigen es bereits: Es wird wieder Rockmusik gespielt im Tull-Universum. Nach dem etwas laffen Crest Of A Knave hob Rock Island im Jahr 1989 die Stimmung nicht unerheblich – ohne jedoch vollends zu überzeugen. 
Eine Platte, die wieder stärker in Richtung Konzept tendiert und in deren Lyrik es um die Arbeitswelt geht, um Mobilität und die Angst vor derselben, den Rückzug auf die metaphorische eigene Insel. Das Entwurzelungs-Thema deutet voraus auf Roots to Branches, ist aber hier noch nicht so globalisiert angedacht und musikalisch nicht so breit aufgestellt, sondern bleibt eher im britischen Rahmen. Natürlich funktioniert das nicht in einem sozialistischen, sondern im poetischen Sinn, aber durchaus mit ein, zwei Assoziationen an die Welten eines Ken Loach, inklusive einer augenzwinkernden Rückkehr zu Aqualung von 1971 – wenngleich in einem eher unauffälligen Song. Die Band macht in ihrem rustikal-nostalgischen Landmänner-Outfit einiges her (s.u.), die Texte drehen sich um ehrlicher Hände Arbeit, um Käuze und unerhörte Begebenheiten, Working Girls, das Gewissen von Walfängern, Instrumentendiebstahl, das Ausbluten von Regionen und Traditionen, um Oralsex und nostalgische Weihnachten. Es ist dem Dichter Ian Anderson dabei hoch anzurechnen, dass er nach wie vor die Ambivalenzen pflegt und keine simplen Antworten parat hat. Viele Dinge sind eben unauflösbar, und nur die lyrische Beschreibung kann sich ihnen nähern.
„Another Christmas Song“ ist die Antithese zum ursprünglichen „Christmas Song“ und wirkt im Vergleich zu diesem etwas kalkuliert und arg heimelig, auch wenn er an Weihnachten natürlich gut kommt. Trotz einiger mitunter erstaunlich harter Anschläge ereignet sich auf Rock Island zwischendrin ein bisschen viel vergessenswerter Mainstream, aber der kraftvolle Oralsex-Rocker „Kissing Willie“, das flockige „Rattlesnake Trail“ und das anrührende „Ears of Tin“ halten die Fahne hoch. Ebenso nach hinten raus das nach altehrwürdigem Tull klingende „Big Riff and Mando“. 
Also wieder so eine Fifty-fifty-Platte, von denen es an der Dekadenwende Achtziger/Neunziger einfach zu viele gab.