Freitag, 29. Mai 2009

Neues aus Wodgorice

Urbana, genannt Sascha, hat sich von Michail aus Wodgorice schon wieder entlobt. War eine kurze Beziehung. Michail ist in betrunkenem Zustand nackt durchs Dorf gerannt, den Zeigefinger der linken Hand im Hintern, und hat versucht, den Popen zu küssen. Als der nicht wollte, hat er ihn, mit der rechten Hand, am Bart bis zum Bach gezogen und ihn reingestoßen. Der Bach floss wegen der jüngsten Regenfälle in Wodgorice ziemlich schnell, aber das geschlossene Wehr bewahrte den Popen davor, weiter hinabzutreiben und in die Stromschnellen zu geraten. Nun sind alle peinlich berührt und beten in der Kapelle zum Heiligen Kniefall, dass das bloß keine Folgen hat. Verhagelte Ernte, missgebildete Kinder usw. Der linke Zeigefinger im Hintern ist zudem ein traditionelles Alarmzeichen: Der Volksglaube sagt, dass alle, die sich den Zeigefinger der linken Hand in den Hintern stecken, nach dem Tod zum Vampir werden. Der Pope ist jedenfalls schwer erkältet, und die Messe fällt aus, was im Dorf als kein gutes Zeichen gewertet wird. Die älteren Frauen schlagen sich mit Holzlatten gegenseitig auf die Rücken und klagen laut, ein alter Bußbrauch der Region. Michail wird nächste Woche ins Kloster des Heiligen Brotmessers gebracht, wo er ein Jahr lang Ställe ausmisten muss, nur Knoblauchsuppe zu essen bekommt und mit Holzlatten auf die Oberschenkel geschlagen wird. Außerdem ist einer der Störche in Wodgorice im Schlaf vom Schornstein gefallen, und Tante Brahilovic hat ihm das gebrochene Bein geschient. Urbana ist jetzt natürlich ziemlich aufgelöst wegen der Entlobung, aber es heißt, Dschinghis mache ihr schon Avancen.
Der DHL-Mann brachte neben solchen Geschichten aus seiner Heimat heute bloß ein kleines Päckchen, und darin befand sich erstaunlicherweise keine Arbeit, sondern großzügigerweise das nette Freiexemplar eines Buchs, von dem sich der Verlag zu Recht einiges erhofft. Ich mache hier gerne Werbung.
Na, bis morgen dann, sagt der Paketbote. Okay, sag ich und winke zum Abschied.

Donnerstag, 28. Mai 2009

Mööp-möööp

Heute Morgen mööpte der DHL-Mann mit einem Paket, hinter dessen schierer Größe er komplett verschwand. Er musste von hinter dem sperrigen Ding her winken und rufen, damit ich ihn überhaupt wahrnahm. Ich dachte spontan, ich hätte etwas Tolles gewonnen. Plasma-TV, 50 Zoll Diagonale, mit Heimkinoanlage. Kühlschrank. Futon-Bett. Flugzeugturbine. Diesellok.
Na, es waren nur wieder Buchstabenansammlungen. Ich bin nach all den Jahren immer noch erstaunt, wie viele Bücher es so gibt - und welche, die es werden wollen.
Der DHL-Mann drückte sein Kreuz durch und keuchte ausgiebig, dann sprachen wir noch eine Weile über seinen Cousin Wladislaw aus Potcgorice und dass er nun nach dem Mofa-Unfall wieder aus dem Krankenhaus raus sei, und dass Tante Veronikowa hinter ihrem Haus neuerdings Hanf anbaut. Außerdem hat seine kleine Schwester Urbana, genannt Sascha, sich mit Michail aus Wodgorice verlobt. Na, dann aber Glückwunsch, sagte ich, und bis morgen dann.

Dienstag, 26. Mai 2009

Kuscheln und schubbeln

An der Ampel vor unserem Haus hängt ein Veranstaltungshinweis zur Kuschelparty. Genauer gesagt hängt so ziemlich an jedem Ampel- oder Laternenpfahl im Viertel ein solcher Hinweis. Ich habe ja schon vage davon gehört: Erwachsene treffen sich in einem Raum, der mit Matten ausgelegt ist, um unter Anleitung und Überwachung (no Grabschen!) zu knuddeln. Stärkt gewisse Wohlfühl-Hormonausschüttungen und verhilft dem Single-Großstädter zu wenigstens einer Berührung pro Jahr. Ist kompletter Humbug, sagen andere.
Mir kam eine schöne Geschäftsidee fürs Alter. Meine Familie besitzt ein kleines Waldstück. Ich suche mir einen heruntergekommenen Sexualtherapeuten, der für schlanke 2000 € eine Theorie entwickelt, nach der festes Rückenschubbeln an Bäumen Neurosen lockert und durch die Interaktion zwischen jahrhundertealtem Bio-Flow und menschlicher Haut die Chakren stimuliert werden und irgendwelche Hormone oder Kohlensäuren oder sonstwas zu fließen beginnen, bis sie zu allen Körperöffnungen raussprudeln. Teilnahmegebühr fürs dreitätige Seminar „Baumschubbeln für Großstädter“ 400 €. Müssen beim ersten Mal also nur fünf Großstädter kommen, und ich habe den Therapeuten schon wieder raus. Zudem wird es die Wirtschaft im Dorf stärken, Pensionen, Gastronomie, Brennereien, weswegen über Synergien nachzudenken wäre.

„Gesamtpaket Baumschubbeln für Großstädter:
drei Nächte Halbpension im Alten Bahnhof
einmal Chicken-Wing-Essen im Zum Hannes
einmal Drei-Gänge-Menü im Zur Alten Fähre
eine Flasche Mirabellenschnaps zum Willkommen
einmal Kaffee und Kuchen in Biancas Bauernstübchen
einmal Milchzapfen an einem echten Kuheuter
sowie eine neue Trendfrisur in Manuelas Haar-Shop
--- nur 1000 €“

Außerdem werde ich eine überteuerte Rückensalbe verkaufen, mit der die Striemen und Wunden nach dem dreitätigen Seminar gelindert werden können.

Samstag, 23. Mai 2009

Zwanzigster

Unser Zwanzigster nähert sich. Das sollte nicht unerwähnt bleiben. Vor nun beinahe exakt zwanzig Jahren saß ich zufällig neben der jungen Dame im Bus und legte als erste vertrauensbildende Maßnahme auf Anfrage ihre Jacke ins Gepäckfach. Das habe ich seitdem immer mal wieder getan, und umgekehrt auch.
Damals waren wir jung, schön und albern. Heute sind wir nur noch schön.

Zu diesem Ereignis gehört selbstverständlich ein Soundtrack. All dies schwirrte seinerzeit durch den Äther, außer dem ersten Stück. Das stammt aus der Hälfte der Distanz und gilt bis heute.

Dienstag, 19. Mai 2009

Schöne Künste

Neulich träumte mir, ich säße im Schatten eines Baumes und die Göttin der Schönen Künste träte auf mich zu, in ein Kleid aus Rhabarberblättern gewandet, und fragte mich: „Was sind die Schönsten Künste, die du kennst auf der ganzen Welt?“
Ich antwortete: „Hmm, die Novelle Viator von Lucius Shepard wahrscheinlich. Und natürlich Greg Sages Angewohnheit, aus dem vulkanisch brodelnden Riff-Urgrund allen Seins heraus labende Kälte in den kristallklaren Himmel zu schießen und uns alle zu erretten aus dem Drama des Geworfenseins in einen feindlichen Kosmos voller Dummbratzen.“
Die Göttin der Schönen Künste lächelte fein, als hätte ich die exakt richtige Antwort gegeben, und machte sich nackisch. Ich hingegen wachte auf, schüttelte den Kopf und legte eine CD ein. Es roch noch stundenlang nach Rhabarber.

Donnerstag, 14. Mai 2009

Thin White Rope

Hmm, wenn ich’s mir recht überlege, bleibt sie übrig: die beste Band aus der Phase um 1990.
Americana-Schönheit. Wurde verglichen mit William Burroughs, Neil Young, David Lynch und dem absurden Theater. Wurde auch bezeichnet als ‚kalifornische Phantastik’. Es ging um die hidden desert, die ausgetrocknete, gleißende Innenwelt. Magischer Realismus und so. Betrachtungen der Zwischenräume und wehender Spinnweben. Schwer poetisch und symbolisch, dunkel, aber nie Gothic, sondern eher High Desert Country mit krautrockigen Impros und Rückkopplungsschlachten. Wie eine beängstigende Fahrt über den Highway, während am Straßenrand Skelette in vermoderten Cowboy-Klamotten stehen und den Daumen rausstrecken. Gitarrenwunderwerke von architektonischer Strenge und bluesiger Ausgelassenheit, eine Stimme, die das garstige kosmische Mysterium direkt anzapft. Enorm lärmige Konzerte, monströs schöne Songs.

Dienstag, 12. Mai 2009

Lektorenglück

Auch ein Lektor möchte glücklich sein. Möchte, dass alles irgendwie flutscht und möglichst wenig eklige Fehler im Text verbleiben. Keine verschluckten Buchstaben, keine Buchstabendreher, kein Unsinn. Der Zustand der Glückseligkeit ist, wenn ein makelloser Text zur Abgabe gelangt.
Aber Mensch ist Mensch und nicht Glücksmaschine, also rutschen immer mal wieder Schönheiten durch wie „Sonnenschien“, „Schlagentzug“ (statt „Schlafentzug“) oder „Scheiß endlich!“ (statt „Schieß endlich!“) und torpedieren das allumfassende kosmische Buchstabenglück. Übersetzer leisten Großes, aber sie tippen mitunter ziemlich was zusammen, und deutsche Autoren schreiben ohnehin meistens, als sei ihnen ein bisschen etwas durcheinander geraten, weil sie alle paar Minuten zur Förderung der Kreativität in die Steckdose greifen.
Früher hatte man nur Papier, die eigenen Augen und einen Stift, und die Korrektoren in der Herstellung fingen die schlimmsten eigenen Versäumnisse auf – sofern sie das Korrekturzeichengekrakel überhaupt lesen konnten. Heute zieht man Glückseligkeits-Software hinzu.
Nun ist bekanntlich die WinWord-eigene Prüfung ein ziemlicher Mist. „Sonnenschien“ wurde nicht bemerkt. Dieser Funktion sollte man so weit vertrauen, wie man seine Regalwand werfen kann. Nichts anderes als eine hochdosierte Unglückspille aus dem Hause Mikroweich.
Ich hatte mir schon vor langen Jahren mal zur Unterstützung den „Duden-Korrektor 2.0“ angeschafft, um solche tückischen kleinen Miststücke aufzuspüren. Kann man ja nichts falsch machen, dachte ich, ist ja Duden. Generell ist das Programm auch durchaus in Ordnung; es findet Glückssaboteure durchgehend. Ich fragte mich allerdings neulich, warum ich diese Glückshormonkatapultschleuder nach recht kurzer Zeit damals wieder deinstalliert hatte. Irgendwie war ich wohl doch unglücklich mit ihr. Also installierte ich sie neu und begriff sehr schnell, was mich vor Jahren in den Zustand des notorischen Unglücklichseins versetzt hatte. Romantexte sind lang, manchmal wirklich sehr lang. Und der Duden-Korrektor vertieft sich so derart in seine Arbeit mit WinWord, dass die Texte kaum noch handhabbar werden - eine ganze Wagenladung an Unglücklichsein. Er benötigt für jedes Fitzelchen Rechenoperation irre lang, und wenn es zackzack gehen muss, sitzt man bloß unglücklich davor, wartet, bis das Mistding endlich die Befehle ausführt, und beobachtet den Sekundenzeiger der Armbanduhr, den Lauf der Sonne, den der Gestirne, das Abschmelzen der Gletscher, die Kontinentalverschiebung und macht zwischendurch noch einen traurigen Wanderurlaub in den Bergen, wo es gerade in Strömen regnet. Ganz und gar nicht glücksfördernd ist auch, dass das Programm einem oft genug das Format zerschlägt und man nach einem endlos lahmarschigen Korrekturdurchgang noch einen weiteren per Hand machen muss, um die Zerstörungen, die der Korrektor angerichtet hat, wieder zu reparieren. 500-600 Seiten nochmal nach unschönen Tätlichkeiten des Korrektors abklopfen. Definieren Sie Unglück: Duden-Korrektor.
Und den ganzen Quatsch tut er auch dann, wenn man seine Dienste gar nicht benötigt, beim reinen Schreiben eines Texts wie etwa diesem hier. Zeilen zittern, Tasten scheinen verzögert zu reagieren. Das alles führt dazu, dass WinWord, das wichtigste Programm des Kosmos, weitestgehend zum Quell stetigen Unglücklichseins wird. Eine vage Möglichkeit zur Glücksrekonstitution: Den Korrektor vor dem Redaktionsdurchgang deinstallieren, um mit Normalgeschwindigkeit arbeiten zu können. Ihn dann für einen Korrekturdurchgang reinstallieren, um ihn dann wieder zu deinstallieren und in einem letzten Durchgang seine einmal angerichteten Formatzerstörungen zu beheben. Pust, schwitz. Das hört sich nicht nur an, als sei es suboptimal, es ist konzentriertes Unglück. Brähaaa, brähää!
Gerüchten zufolge gab es seitdem immer mal wieder neue Versionen des Duden-Korrektor, und ab der Version 3.5, heißt es, sei es deutlich glücksfördernder geworden, denn ein neuer Algorithmus bewirke eine bessere, glücklichere Einbindung des Plug-Ins in WinWord. Es scheint dennoch ein Vabanque-Spiel zu bleiben, wenn man sich die Kundenreaktionen in diversen Foren und Plattformen so anschaut. Manche haben mit dem 4.0 oder 5.0 wenig Probleme, andere sprechen davon, die Programmierer in den Neptun-Orbit schießen zu wollen, damit sie dort im Vakuum weiterprogrammieren und kein irdisches Unglück mehr anrichten. Aber immerhin, es gibt Testversionen zum Download. Voller Skepsis und Unglückshormonen im Urin habe ich die schlanke 5.0-Version heruntergeladen, und was soll ich sagen? Sie tut es tatsächlich. Sie tut es! WinWord benötigt etwas länger beim Laden, aber danach läuft alles ohne Verzögerungen. Ich werde das Ding beim nächsten Job anwenden und sicher einige Macken entdecken, aber bis jetzt scheint der Korrektor dem Zustand der Lektoren-Glückseligkeit förderlich zu sein.

Montag, 4. Mai 2009

Hyperaktiv

Ein für die Verhältnisse des Inklusoriums und seiner gebrechlichen Bewohner nahezu hyperaktives Wochenende.
Erst nach Aachen zur Feier von Bekannten. Eingeladen waren außerdem etwa 30 junge Familien, die jede auf eine Stückzahl von 1-3 Kinder im Baby- oder Kleinkindalter kamen. Auf Schritt und Tritt musste man achtgeben, nicht auf ein krabbelndes Geschöpf namens Lilith, Thure, Sven-Oliver, Britta, Pelle etc. zu latschen. Wir erheiterten uns besonders über den Namen Pelle. Für den frechen Knaben wirkt das passend, aber wehe, der wird mal ein Kerl. „Und wie heißt du, mein Starker?“ – „Pelle.“ – „Haha, Pelle wie Wurst?“ – „Nee, ich wurde in einer Schrankwand von Ikea gezeugt.“
Wir haben uns überhaupt über so manches gewundert, das mit solch massiver Zurschaustellung bürgerlicher Familienplanung einhergeht. Vielleicht kommt das mal in einem gesonderten Blog-Eintrag.
Dann am Sonntag in die pulsierende Nordeifel-Metropole Zülpich, wo Chlodwig die Alamannen schlug und mehr oder weniger das Frankenreich begründete. Für die Franzosen gehört Zülpich (oder Tolbiacum, wie der Lateiner es noch nannte) daher sogar zu den Nationalmythen. Theuderich, Chlodwigs Sohn, schubste von der tolbiacischen Stadtmauer einen konkurrierenden Stammesfürsten in den Tod. Heute gibt es hier ein modernes Museum der Badekultur, das um die Ausgrabung einer kleinen römischen Therme herum errichtet wurde. Sehr nett und mit einigen interaktiven Spässchen. Das Einzige, was jedoch in Zülpich tatsächlich pulsierte, waren die Bässe des kleinen Rummels auf dem Marktplatz. Abends ist da bestimmt die Hölle los, wenn das Jungvolk aus den Dörfern tiefergelegt ins Zentrum röhrt, aber am frühen Nachmittag? Da ist es eher traurig anzusehen, und man hält sich am besten an die hübsche Stadtmauer und die Stadttore, bei denen man allerdings nicht so genau weiß, ob die wirklich mittelalterlich sind oder doch eher preußisch. Immerhin: Der Ort ist so groß, dass wir eine Einheimische, die mit Luftballons vom Rummel kam, fragen mussten, wo man denn hier wohl Mittagessen bekommen könnte. Von selbst hätten wir den Jugoslawen, der mit Spargel auftrumpfte, jedenfalls nicht gefunden. Er lag genau zwischen den Wegweisern zum geriatrischen Zentrum und der Nervenheilanstalt. Der Spargel jedoch versöhnte mich mit Zülpich. Ich kann es jedem empfehlen.
Auf dem Rückweg hatten wir irgendeine Dorf-Karnevalsprinzessin der abgelaufenen Session vor uns. Verkündete zumindest der Aufkleber auf ihrer Heckscheibe. Wir standen im Stau an einer Baustelle und spekulierten darüber, ob das wirklich „Karin I.“ auf dem Beifahrersitz war. Von hinten sah sie mir eher nach einer Silke aus. Karin saß vermutlich zu Hause und passte auf die Kinder auf, während ihr Gemahl heimlich mit Silke durch die Gegend fuhr.
Danach verwirrte mich noch der Navi, weil er eine andere, mir völlig unbekannte Strecke zurück definierte und wir durch Galaxien fuhren, die ein Mensch zuvor …