Dienstag, 13. Juli 2010

Fallhöhe

Kleiner Rat an Hobby-Autoren, den mir jemand zukommen ließ und den ich ungefiltert weiterleite:
Im Anschreiben nicht die Großartigkeit des eigenen Texts betonen, nicht den Detailreichtum der selbst erschaffenen Welt loben, nicht auf der Lebendigkeit der Figuren beharren, nicht darauf hinweisen, dass der Roman ganz toll ins Verlagsprogramm passt, nicht auf das Germanistik-Studium und die Themen der eigenen erfolgreichen Seminararbeiten hinweisen. Der Gutachter - ein jämmerlicher kleiner Kerl mit Bauchansatz, Haarausfall, fahlem Teint und einer gehörigen Portion Welthass - begibt sich bei so viel strahlendem Selbstbewusstsein nämlich sofort in die Opposition und denkt bei sich: "Na, das wollen wir mal sehen, Schnuckel!"
Insgeheim jedoch - das würde der Gutachter allerdings niemals öffentlich gestehen - möchte er, dass all diese Einschätzungen aus dem Anschreiben zutreffen. Er möchte einen Sonnenstrahl durch die Wolken brechen sehen, möchte ein Freund des Texts werden und mit ihm nackig und lachend über grüne, sonnenbeschienene Auen tollen und an Gänseblümchen riechen. Er möchte freudig erregt Ausrufezeichen machen können. Loben, das möchte er. Er möchte glücklich sein, indem er jemand anders glücklich macht. Will Zeuge sein, wie jemand Flügel bekommt und sich aus der mediokren, vorbeiflutenden Masse erhebt, so dass alle einen Moment lang gerührt in den Himmel starren. Er will, dass sein eigenes hartes, kaltes Herz endlich zu pochen beginnt und ihm die von einem Lächeln aufgeworfenen Bäckchen rot färbt.
Aber nein, sein tiefgelber Urin behält recht, und er wird nur wieder mit dieser traditionellen, unnötigen Fallhöhe konfrontiert, die sich aus Anschreiben und Manuskripttext ergibt. Auf den ersten Seiten findet er kaum etwas anderes vor als unfreiwillig komisches Wortgeklingel, das offenbar der 547fachen Lektüre des Silmarillion zu verdanken ist, und zudem fehlgeleitete Formulierungen und Kommafehler, die das heutige Germanistik-Studium in einem unschönen Licht erscheinen lassen. Auf den restlichen Seiten wird es nicht wirklich besser, und der Gutachter weiß nicht recht, was ihm hier eigentlich erzählt werden soll.
Wieder ein unglücklicher Gutachter, erneut ein unerquickliches "Ich hab's gewusst!". Ach, die Welt ist so vorhersehbar.