Montag, 28. März 2011

Sichtschutz

Hm, schade. Die Nachbarn haben ihre Terrasse mit einem biologisch abbaubaren Sichtschutz aus Bast- oder Schilfmatten umgeben. Jetzt kann ich nicht mehr zuschauen, wie die Tochter des Hauses von ihrem Freund nackisch durchs Wohnzimmer gejagt wird. Egal, steige ich eben auf einen Stuhl.

Nachbarin

Hab ne neue Freundin. Nachbarin. Ein bisschen Gothic. Kleidet sich vornehmlich in Schwarz, hat einen orange geschminkten, auffällig spitzen Mund und legt den Kopf schief, wenn sie auf der Balkonbrüstung hockt und mich anschmachtet. Wäscht sich in der Pfütze auf dem Garagendach. Kommt fast während jeder Zigarettenpause und geht auf Tuch- bzw. Federfühlung. Muss mich mal nach ihren kulinarischen Interessen erkundigen, um ihr eine Freude zu machen. Wird vermutlich auf Würmer hinauslaufen.

Mittwoch, 23. März 2011

Gen Italien

Gestern Abend mal wieder beim, wie es heißt, besten Italiener der Stadt gewesen. Fünf Fußminuten entfernt. Die Leute kommen von sehr viel weiter her, heißt es. Souterrain, klein, eng, stickig, schmucklos. Reservierung normalerweise erforderlich. Die Gäste sitzen eng an eng, der Nachbar isst gefühlsmäßig vom eigenen Teller mit, und allzu intime Gespräche sollte man unterlassen, wenn man das nicht tags darauf alles in der Zeitung lesen will. Oder auf Blogs. Wenn weiter hinten jemand aufs Klo will, muss das halbe Lokal aufstehen, um denjenigen durchzulassen.
Aufmerksames, lässiges Italo-Personal von echtem Schrot und Korn. Offenbar zudem das einzige Lokal Europas, das nach der Euro-Einführung seine Preise nicht verdoppelt hat. Und dann das Essen. Der erste Bissen beschert einem eine gleißende Geschmacksexplosion, und man versucht während des Weiterspachtelns analytisch zu ermitteln, welche Gewürzkomponenten hier wie zusammengemischt wurden, um dieses enorme Wohlbefinden zu erzeugen. Der miesepetrige Gastro-Kritiker würde vielleicht monieren, dass die Soßen die eigentlichen Speisen weniger unterstützen als ersäufen, aber das würde nicht stimmen. Glaubt dem nicht. Ich war danach ganz betäubt vor Glück. Vermutlich was Sexuelles. Jagt Mama Miracoli ins Meer, streicht den Italien-Urlaub, geht ins „Caminetto“ (Reservierung angeraten).

Montag, 21. März 2011

BÖC: Secret Treaties

Auf dem Cover hat sich die Band um eine Me 262 mit BÖC-Hoheitszeichen versammelt, Schäferhunde an der Leine. Im Hintergrund befindet sich mysteriöserweise eine mexikanische Haçienda mit einigen bewaffneten Wachen mit Sombreros. Im Cockpit der Nazi-Kriegsmaschine sitzt jemand, der aussieht wie der leibhaftige Tod. Auf dem Backcover sind die Band und der Pilot verschwunden, unter der Messerschmitt liegen die Hunde, abgeschlachtet. Die Songtitel lauten „Career of Evil“, „Subhuman“, „Dominance and Submission“, „ME 262”, „Cagey Cretins”, „Harvester of Eyes”, „Flaming Telepaths” und „Astronomy”. Die Songtexte wirken, als seien sie codiert aus einer Parallelwelt übermittelt worden.
Was um Himmels willen hat das alles zu bedeuten?
Im Grunde scheißegal. Eine Platte, auf der genau diese Songfolge genau so hintereinander abläuft, gehört automatisch zu den besten der Welt. Da ist Druck im Kessel. Die Band arbeitet auf den Punkt und ist dabei virtuos wie Sau. Hart und laut. „Dominance and Submission“ hört sich an wie eine Sitzung auf dem Elektrischen Stuhl, während einem jemand zugleich mit einer Holzbohle auf den Kopf haut. „ME 262“ geht zurück bis zu Chuck Berry, dreht aber mächtig am Regler und hat diese entzückende Bombenkrieg-Einlage, „Astronomy“ gerät zur Über-Ballade, „Harvester of Eyes“ ist ein Boogie des Grauens auf Sandmann-Basis.
Ein Album-Klassiker.

Freitag, 18. März 2011

BÖC: Agents of Fortune

Als ich diese Platte von 1976 mit einiger Verspätung – wird wohl 1983 gewesen sein – kaufte, betrachtete der Zausel im Plattenladen mich mit Respekt. Das, so meinte er, sei eine von jenen alten Scheiben, die er ständig nachordern müsse. Allerdings nur wegen der ganzen Amerikaner in der Region. Einheimische würden die so gut wie nie kaufen. Also kam ich mir ein bisschen exklusiv vor.
Agents of Fortune markiert einen Umbruch im BÖC-Denken. Es wird poppig und radiokompatibel, zeigt aber des Öfteren noch harte Kante. Agents of Fortune ist das Album mit „(Don’t Fear) The Reaper“ drauf, einem der schönsten Lieder der Menschheitsgeschichte, in dem Westcoast-Flavor zum Backen einer Geisterballade verwendet wird. Wun-der-schön. Die damalige Single demonstriert die Janusköpfigkeit, die diesem Album noch zu eigen ist: A-Seite der dunkelromantische „Reaper“, B-Seite das schmerzhafte „Tattoo Vampire“. Im alten Mysterienspiel-Stil agieren „E.T.I.“, „This Ain’t the Summer of Love“ und das großartige „The Revenge of Vera Gemini“ mit seinem dunklen Liebesduett. Drumherum gruppieren sich frohgemute kleine Pop-Rock-Idyllen zwischen Schmackes und Schwulst und ein bisschen Funk, wobei die bezwingende Melodieführung von „Tenderloin“ am besten rüberkommt. Trotz der Mainstream-Tendenzen bleibt der Austernkult stets hinter- und abgründig. Spannende Platte.

Donnerstag, 17. März 2011

BÖC: Spectres

1977. Sehr erfolgreiches Beinahe-Konzeptalbum, das zusammen mit dem Vorgänger Agents of Fortune den Hardrock auf eine neue Ebene zu heben gedachte und ihn quasi überwand. Es finden hier wunderhübsche Transformationen statt, während derer Hardrock zu Pop wird, Progressive Rock auf den reinen Song heruntergebrochen wird, Deklamation und Erzählung nebeneinander stehen, Mainstream-Bagatelle und großes Drama aufeinander treffen, geschniegelter Perfektionismus und harter Rock-Anschlag kooperieren, flockiger Single-Hit und Hymne einander begegnen, Kurt Weill im Grand-Guignol-Modus spielt. Überraschungseffekt und Unterhaltungsfaktor sind hoch, allerdings tendiert die Platte zum Süßlichen und drängt das Saure zunehmend an die Seite. Hardrock ist das nur noch am Rande. Der Rolling Stone beschrieb die Band damals als „Fleetwood Mac of heavy metal“.
Man könnte die Vokabel „Spectres“ statt mit „Gespenster“ mit „Phantome“ übersetzen, um den Konzept-Charakter hervorzuheben. Es geht in den Songs viel um Gespenster und Spiritistisches, und das Cover suggeriert eine Séance mitten in unaufgeräumten Grusel-Requisiten. Es treten aber auch populäre Monster und andere Phantome auf, und das Album wird so zu einem Plünderungszug durch Grusel-Motive, einer geschmackvollen Hommage an den B-Horror und seine zeitlose Werthaftigkeit. Die Bandbreite dieses Genre wird abgebildet durch die stilistische Vielseitigkeit der Musik, die rumpelnd apokalyptisch („Godzilla“) und zärtlich romantisch („I Love the Night“) zugleich sein kann und doch von ein und derselben Band eingespielt wird. Die Konstruktionen sind komplex bis banal, ein Album, das erforscht werden will. Die eleganteste aller BÖC-Platten.

Mittwoch, 16. März 2011

BÖC: Mirrors

Mein Lieblingscover aller BÖC-Platten. Die Musik darauf ist allerdings weniger bemerkenswert. Sie war der Versuch, den Erfolg der vorhergehenden Jahre zu konservieren, Stillstand zu propagieren und es vor allem dem Radiopublikum recht zu machen. Als Produzent nahm man Tom Werman, den ausgewiesenen Anhänger der kommerziellen Kraftmeierei, Platinsammler und späteren Hair-Metal-Papst. Das war schon nach außen ein deutliches Signal dafür, nun endlich im Mainstream aufgehen zu wollen und es Bands wie REO Speedwagon nachzutun. Glatt, gezähmt und banal, die Power nur behauptet und auf Gesten reduziert, atmosphärisch dünn, mehr Licht, weniger Dunkel, Sixties-Referenzen („In Thee“) und im Background ein paar swingende Soul Sisters. Akuter Beliebigkeitsalarm.
Als bleibend erweisen sich die forsche Ballade „The Great Sun Jester“ (Text: Moorcock) sowie das lange, getragene „The Vigil“, das zu den atmosphärischsten BÖC-Songs überhaupt gehört und an vergangene Großtaten erinnert. Hier ist die Band ganz bei sich selbst: Geistergitarren, Geisterstimmen, elektrifizierte Dämmerungsstimmung, überirdische Schönheit. Ein paar Fragmente alter Größe weist auch „I Am the Storm“ auf, und wenn „You’re Not the One“ weniger handclaps und mehr Saft hätte, könnte es ein hübscher Track werden. Dabei bleibt es leider. Kein gutes Album.

Dienstag, 15. März 2011

BÖC: Fire of Unknown Origin

Das zweite von Martin Birch produzierte Album. 1981. Sehr erfolgreich. Einige der Songs waren vorgesehen für den Soundtrack des Zeichentrick-Episodenfilms Heavy Metal, wurden aber gecancelled. Die Platte richtet ihren Fokus stärker auf den Hard-Pop-Anteil des Vorgängers Cultösaurus Erectus und verschluckt sich zu Anfang beinahe an banalen Songs wie dem Titelstück oder dem Single-Hit „Burnin’ For You“. Und nach hinten raus wird es mit „Don’t Turn Your Back“ auch eng. Die Qualitäten von Fire of Unknown Origin finden sich in der Tiefe des Raums. Das von Moorcock getextete Epos „Veteran of the Psychic Wars“ gerät zum atmosphärischen Abräumer, und auf „Heavy Metal: The Black and Silver“ hört sich die Band an wie Black Sabbath mit Ronnie James Dio. Die drei aufeinander folgenden Tracks „Vengeance (The Pact)“, „After Dark“ und „Joan Crawford“ sind das Zentrum des Albums und womöglich der ästhetische Kern allen BÖC-Schaffens. Das Spieluhrmotiv von „Vengeance“, die epische Qualität, der harte Anschlag, die Tempoverschärfung, die Lyrik – das ist der Inbegriff des Wahren, Guten, Schönen. „After Dark“ ist entzückender Hard-Pop, der von der Rhythmusgruppe, den beiden Bouchard-Brüdern, auf diszipliniertestmögliche Weise nach vorne getragen wird. Und das durchaus hämische „Joan Crawford“ löst einen Grusel-Rock-Orgasmus aus.
Etwas glatter als der Vorgänger, aber Fire of Unknown Origin bildet mit diesem eine Einheit. Trotz aller stilistischen Unterschiede sind die beiden Alben vergleichbar mit den von Birch produzierten Sabbath-Platten Heaven and Hell und Mob Rules, und konsequenterweise gingen die beiden Bands damals zusammen auf ihre Black and Blue-Tournee.

BÖC: Cultösaurus Erectus

Nicht wenige halten diese Platte für den besten BÖC-Output überhaupt. Ich bin geneigt, dem zuzustimmen. Die Kombo wurde in der zweiten Siebziger-Hälfte sehr erfolgreich, erntete Gold und Platin am laufenden Band. Aber sie drohte auch zu verpoppen und zu verflachen. Das Beste am richtungslosen, von Tom Werman produzierten 79er-Album Mirrors waren zwei einzelne Songs sowie das Cover. Sandy Pearlman managte Blue Öyster Cult damals nicht mehr, sondern hatte sich zur Dio-Inkarnation von Black Sabbath davongemacht. Er stellte den Kontakt zu Sabbath-Produzent Martin Birch her, der es etwas metallischer mochte. Man hört es sofort, und man mag es sofort. Birch arbeitet die Stärken von Bands heraus, statt ihnen seine Vorstellungen aufzunötigen.
Der Track „Divine Wind“ ist als Verschnaufpause akzeptabel, und mit „Fallen Angel“ habe ich mich nie recht anfreunden können. Der Rest ist Manna in der Pop-Wüste. Harter Anschlag zum Einstieg auf „Black Blade“ (Text: Moorcock), einer verspielten, düsteren Hardrock-Psychedelia, die mit ihrem alles andere als straighten Charakter als Einstieg fast wagemutig ist. „Monsters“ gerät zum Wunderwerk, zur riffigen Hardrock-Praline mit ironischer Jazz-Füllung. „Deadline“ zeigt, wie man Hardrock mit Anstand in Pop überführt. „The Marshall Plan“ ist selbstreferentieller Schweinerock über den Aufstieg eines Rockstars und hat eine wunderbar großmäulige Stadion-Atmosphäre. „Hungry Boys“, noch so ein Brachial-Hard-Popper, hat den Nachteil, zu kurz zu sein. Der Song könnte ewig so weitergehen. „Lips in the Hills“ war jahrelang mein absoluter Lieblingssong. Dieser bis dato härteste BÖC-Song entspricht am ehesten den Anforderungen des Heavy Metal, durch die bluesigen oder boogie-artigen Soli bleibt er aber doch stets ein BÖC-Song. Das Album schließt mit dem tollen, wunderschönen Pubertätsgrusler „Unknown Tongue“.
Das Cover berichtet auf Vorder- und Rückseite indes vom Auffinden einer neuen Dinosaurier-Art, dem titelgebenden Ungetüm, das natürlich ironisch in den Kontext der BÖC-Geheimgeschichte überführt wird. Das kleine Raketenflugzeug, das vorne unter dem Kopf des bizarren Dinos herumfliegt, trägt ein klitzekleines Chronos-Symbol, das man nur im Großformat sieht. Witzisch.

BÖC: The Revölution by Night

Schönes Cover, Rückseite auch, aber musikalisch ging es hier los mit dem Niedergang. Mein erstes BÖC-Album. 1983 erschienen, 1983 gekauft. Ich konnte es damals selbstverständlich nicht einordnen, weil ich die starken früheren Alben nicht kannte.
Der unschöne Zeitgeist drückt sich aus in einer aufgedonnerten Produktion, ständigen Synthie-Drums, viel zu viel Keyboardschwemme, stumpfen Rhythmen und pseudo-funkigem Bass mit einer manchmal fatalen Post-Disco-Atmosphäre. Wir tragen jetzt Anzüge statt Leder, schauen Miami Vice und können es uns leisten, superteure, schicke Studios inklusive berüchtigter Verhunz-Produzenten zu mieten. Letzterer hieß Bruce Fairbairn, ist schon verstorben und kann sich demzufolge gegen diese Vorwürfe nicht mehr wehren.
Ich plädiere schon seit langem für eine Neuaufnahme des Albums unter heutigen Bedingungen. Denn das Songmaterial hat was, und tatsächlich finden sich hier einige Ikonen des BÖC-Schaffens.
„Take Me Away“ ist eines der besten, vollsten Hardrock-Stücke der Welt. Keine Diskussion. Danach reißt erstmal der Faden mit „Eyes on Fire“. Purer Mainstream-Schleim. Völlig seltsam gerät „Shooting Shark“ mit seinem Funk-Bass, seinem Keyboardkleister und dem Saxophon, wobei jedoch Melodieführung und Gesang dem Stück eine melancholische Aura verpassen und es irgendwie zur zuckenden, sterilen 80er-Schönheit erheben. Es war damals bezeichnenderweise ein Single-Hit. „Veins“ würde man zu gerne mal in weniger geleckter Produktion und mit weggemischten Keyboards hören. „Shadow of California“ ist ein reinrassiges, böses BÖC-Pferdchen, aufgespritzt mit ekligem Produzentenkleister zwar, aber lebensfähig und der zweite Höhepunkt des Albums, sogar dessen okkultes magnetisches Zentrum. „Let Go“ ist eine Art BÖC goes Ramones und leitet auf dem Album eine Rock’n’Roll-Boogie-Zone ein, die auch „Dragon Lady“ umfasst. Beide Stücke bleiben irrelevant. Zum Schluss gibt’s auf „Lightyears of Love“ Liebesschwulst der schwülstigeren Sorte.

BÖC: Club Ninja

Dieses Album von 1985 ist die schwächste BÖC-Produktion und im Grunde bereits ein Zerfallsprodukt. Kaum zu glauben, dass ausgerechnet der zurückgekehrte Mastermind Sandy Pearlman hier als Produzent fungiert. Club Ninja schleimt sich ein beim biederen Zeitgeist mit seiner geschniegelten Produktion, den großen Keyboardflächen, den gelegentlichen Synthie-Drums und der zurückgenommenen Power. Eine Metal-Band? Bruha, fast so relevant wie Bon Jovi. Und die Harmoniegesänge klingen endgültig wie ELO. Wo ist der Spucknapf? Und hör dir nur mal das banale Songwriting von „Rock Not War“ an. Noch schlimmer wird’s bei „Beat Them Up“. Solche Anfälle von Rock-Power wirken in diesem Kontext automatisch kraftmeierisch und wie ohne Eier. Vor allem Eric Blooms Songs versagen hier auf ganzer Linie. Nun ja, dieses Phänomen war den 80ern immanent: alles auf schick und künstlich gebürstet. Plastiksex, möglichst ohne Schamhaare und Flecken auf dem Laken und dafür mit Yuppie-Duftwässerchen von L’Oreal. Immerhin darf man heutzutage ein freudiges Wiedersehen feiern mit der heißgeliebten Kalter-Krieg- und Atomkrieg-Thematik.
Ein paar Treffer gibt’s dennoch auf Club Ninja. Der Einstiegstrack „White Flag“ ist ganz klar BÖC pur und hat Bestand. Donald Roesers forsche Ballade „Perfect Water“ (Text: Jim Carroll) gehört zu den schönsten derartigen Bandstücken und schraubt sich in wunderbar enthusiastische Höhen. Ein buchstäbliches BÖC-Highlight. Auch „Shadow Warrior“ (Text: Eric van Lustbader) kann sich sehen bzw. hören lassen und ist typischer Austernkult-Stoff. Ich persönlich habe auch eine gewisse Affinität zum Refrain von „Madness to the Method“, zu Allen Laniers Piano-Läufen und schätze das Stück als gelungene Zeitgeist-Proklamation. Der Rest ist Verlegenheitslösung oder abwaschbares Plastik. Und das Cover ist auch nicht sooo dolle.

Fukushima

„History shows again and again how nature points up the folly of man. Go, go, Godzilla.“ (Blue Öyster Cult)

„Wir wissen nicht genau, was da passiert.” (ein Experte)

„Ich bin in ständigem Kontakt mit anderen Experten, und …“ (ein Experte)

„Wenn ich das richtig verstanden habe …“ (ein Sprecher der IAEA)

„Können Sie die Frage wiederholen?“ (ein Pressesprecher)

„Das schwarze Loch von Fukushima.“ (ein Korrespondent)

„Ruhe bewahren.“ (ein Politiker)

„Jodtabletten!“ (ein Wissenschaftler)

„Jodtabletten gehen aus.“ (eine Apothekerin)

„Restrisiko ist Realität.“ (ein Politiker)

„Jeder Generation ihren Super-GAU.“ (ein Fernsehzuschauer)

„Atomkraft ist Höllenfeuer.“ (ein Fernsehzuschauer)

„Science Fiction ist jetzt. Wählt Atomkraft!“ (Werbespot aus den Fünfzigern)

„Würde man AKWs angemessen haftpflichtversichern, würde der Strom um zwei Euro pro Kilowattstunde teurer.“ (ein Experte)

Montag, 14. März 2011

BÖC: Imaginos

Ich muss um Vergebung bitten. Die Band, die Fans, die ganze Welt. Scham und Gram überkommen mich. Weiter unten qualifizierte ich dieses Album als „gescheitert“ und als „Theaterdonner“ ab. Das hat damit zu tun, dass ich im Erscheinungsjahr 1988 schon eine Zeitlang auf dem Post-Punk-, Post-Wave-, Post-Hardcore- und Prä-Grunge-Trip war, also sozusagen hip zu werden gedachte, und mich von dieser Art von überkommenem Hardrock abgrenzen wollte. Ich mochte die LP durchaus, empfand sie aber in meiner damaligen asketisch-studentischen Converse-Chucks-Inkarnation als zu bombastisch. Pure Subjektivität also und heute lediglich aus der Erinnerung hervorgekramt. Objektiv ist das völliger Schwachsinn. Ich besaß die Platte bislang nicht mal als CD. Dem wurde nun abgeholfen, und der erste Durchmarsch nach vielen Jahren öffnete ein ganzes genialisches Universum des organisierten Grauens, eine American-Gothic-Fantasy, deren musikalische Vielschichtigkeit ich damals unentschuldbarerweise als Bombast missverstanden habe. Ja, Imaginos ist das beste Phantastik-Rockalbum aller Zeiten. Es startet mit strammem Hardrock, zieht einen tiefer rein mit Vielgestaltigkeit und kulminiert in dem organisiertesten Song, den die Band je aufgenommen hat, der aufgedonnerten Neu-Version von „Subhuman“, programmatischerweise umgetitelt in „Blue Oyster Cult“.
Eigentlich war die Platte gedacht als Solo-Album des 1981 ausgestiegenen Schlagzeugers Albert Bouchard, an dem dieser jahrelang werkelte. Als er schließlich damit vorstellig wurde, lehnte die Plattenfirma es ab. Wer würde schon das Album eines Ex-Drummers kaufen? Es war wiederum Sandy Pearlman, der die Plattenfirma und die teils zerstrittenen Bandmitglieder zusammenbrachte und in Krisensitzungen einen Kompromiss herausschlug. Die Band würde nach zwei Jahren totaler Sendepause wieder aktiv werden, Bouchards Imaginos-Material bearbeiten und es als Band-Album herausbringen. Pearlman spuckte im Vorfeld ein paar große Töne in die Mikrofone der Musikpresse und meinte, es werde das definitive Metal-Album seiner Epoche. Dies sei schließlich die Basis des Metals, und sie würde nun auf die Höhe der Zeit gehoben. Imaginos lag ihm persönlich auch deshalb am Herzen, weil Bouchard sich hatte inspirieren lassen von Pearlmans ganz frühen Düster-Hippie- Okkultverschwörungstexten um den (kunst-) mythologischen Blue Oyster Cult und die dämonischen „Les Invisibles“. Keine andere BÖC-Platte ist derart Konzeptalbum und laviert so ausschließlich um Pearlmans im besten Sinne spinnerten postmodernistischen Gothic-Grusel herum. Eine Rock-Oper, die jedoch aufgrund finanzieller Probleme und Einsprüche der Plattenfirma zusammengestrichen wurde. Eine gute Zusammenfassung der Hintergrundgeschichte findet sich im amerikanischen Wikipedia-Eintrag zum Album.
Der BÖC-Kern und die diversen Gastmusiker arbeiten hier mit mehr Effekten als je zuvor. Die Synthesizer - auf den beiden vorherigen Platten noch geschniegelter Eighties-Plastik-Pop-Rock - werden ausgiebig zur Erzeugung von Atmosphäre und Schauereffekten genutzt. Ergänzt werden sie durch tonnenweise Samples und ganze Choräle von dunklen und hellen Geisterstimmen. Manchmal nimmt das fast Hörspielqualität an. Lange, epische Stücke mit komplexer Dynamik und hymnischen Zügen, schnelle Pianoläufe, die wohlbekannten beunruhigenden Gitarrenfiguren, funkiger Bass, stoische, donnernde Rhythmen, metallische Riffs, permanente Soli, Harmoniegesänge, die sich nur teilweise in unserem bekannten Raumzeitkontinuum abspielen. Mit anderen Worten: eine NeoProg-Inszenierung von opernhafter Pracht und mit präziser Logistik. Zusammen mit dem schicken Cover ein echtes Gesamtkunstwerk, wenn auch beschnitten, denn das Material hätte wohl für einen ganzen Zyklus von Alben gereicht.
Der Misserfolg der Platte hatte zwei Gründe. Erstens war die Plattenfirma in Übernahmetrubel verwickelt und vergaß, das eigene Produkt zu promoten. Zweitens war die Rock-Oper zu sehr 70er und wirkte in den späten 80ern zu verschroben und ambitioniert phantastisch, um weite Käuferkreise anzusprechen. Heute darf man über die Torheiten der Zeit weise den Kopf schütteln, sich dem Ding wieder nähern und es schlicht und einfach für grandios befinden.

Sonntag, 13. März 2011

"Ich regel das"

Er nennt sich selbst gern den „Florian Silbereisen des deutschen Kabaretts“, womit er anspielt sowohl auf sein blendendes Aussehen wie auch auf seinen robusten volksmusikalischen Ansatz. Gestern Abend in der Comedia und im neuen Programm „Ich regel das“ wählt Andreas Rebers hingegen die religionsstiftende Vorgehensweise, berichtet von der Gründung der Glaubensgemeinschaft der „schlesischen Bitocken“ und von deren Sakralbau, dem „Großen Mompel“ in Boblowitz. Damit zieht er sich einen neuen Beinamen zu, nämlich den des „Spottpredigers des deutschen Kabaretts“.
Will man das unbedingt analysieren und politisch einordnen, so verbirgt sich dahinter womöglich eine gewisse Grundtraurigkeit darüber, dass die deutsche Linke und ihre Wählerschaft längst zu einem gruseligen Witz heruntergewirtschaftet wurden, zu einem Mode-Gag in Sachen politischer Korrektheit und innerem Selbsterfahrungsexil. Für den „Blockwart Gottes“ (Presse) ist es ein gefundenes Fressen, wenn sich in der Endverbraucher-Epoche die alten Weltmodelle verwirren und er links herum rechte Haken genau in die Mitte platzieren kann, und andersrum zurück. Das erzeugt eine großartige Irritation, vor allem bei den politisch Korrekten. Insofern ranken sich Rebers’ Metageschichte wie auch seine Mikrodramen mit Vorliebe um benachteiligte Alleinerziehende („Benachteiligt? Zu Recht!“), Weltverbesserer in der inneren Mongolei, Schockpädagogik mittels Medienkompetenz und Dachlatte, Vaginakurse in der Toskana, „Bio-Wildlachs auf Holzofenbrot“ (zwei widersinnige Benennungen auf einmal), Radfahrer, die von Elektromobilen überfahren werden, die Gründung der Grünen und den nicht zu Ende gedachten Themenkomplex Krötenwanderung. Und die wichtigste Erkenntnis des Abends lautet „Die Ente ist weiter“. Wer rhetorisch mal so richtig unter Feuer genommen werden möchte, der gehe zu Rebers und setze sich seinen Breitseiten aus, die aufgeladen sind mit absurder biblischer Wucht, polternder Eskalation, völliger Unberechenbarkeit und blitzender Feinsinnigkeit. Im zweiten Teil des Programms wird der misantropisch bösartige Tonfall des religionsstiftenden Blockwarts nahezu unmerklich überführt in Nachdenklichkeit und Melancholie, und da kommt sie hervor, die all dem zugrunde liegende Traurigkeit. Da hat man ihn plötzlich vor sich, den echten Poeten. Dazwischen gibt es immer mal wieder ein flottes Liedchen („Lasset uns singen“), denn Rebers hat es noch drauf, das Couplet, und er hat es auf dem Akkordeon, am Keyboard und an der Rhythmusmaschine beeindruckend modernisiert.
Nun ist bekanntlich jeder Jeck anders, und oft genug bedeutet Humor auch nur, dass man trotzdem lacht. Zwischen Herrn Rebers, dem Sinnstifter, und mir, dem Kabarett-Endverbraucher, hat sich jedoch an diesem Abend eine tiefe Frequenz aufgebaut, die weitreichender brummt als nur auf der Ebene eines möglichst reuelosen Amüsements. Soweit es mich betrifft, ist er das: der beste Kabarettist der Republik.

Donnerstag, 10. März 2011

Like acid and oil on a madman's face

(Schnipsel, Formulierungen, Notizen, Erkenntnisse für einen längeren BÖC-Artikel, zu dem mir die Zeit fehlte und weiterhin fehlt, zusammengebacken zu einem kurzen Text.)

Ich machte mich unlängst im Internet auf die Suche nach einem hübschen Autoaufkleber von Blue Öyster Cult. Am besten einen ganz puristischen, auf dem nur das legendäre Bandlogo abgebildet ist. Die Gemahlin, die den vernünftigen Part in dieser Ehe einnimmt, meinte leicht alarmiert: „Du bist keine Zwanzig mehr.“ Sie spielte an auf damals, als ich großflächig das BÖC/Chronos-Symbol auf die Fahrertür des weißen Kadetts C sprühte. Entzückend. Ein Nachbar berichtete, ein Bekannter hätte ihn beim Anblick des am Straßenrand parkenden Autos gefragt, ob hier irgendeine mordlüsterne Sekte hause. Einmal wurde ich auch von der Polizei aus dem Verkehr gefischt. Einer der Beamten fragte, was das für ein Dings auf der Fahrertür sei. Danach wollten die Herren noch einen Blick in den Kofferraum werfen. Es war keine zerstückelte Ritualmord-Leiche drin, und ich durfte weiterfahren. Ich nahm das damals als Beleg für eine steile These, die nämlich, dass das kommentarlose Auftauchen dieses Zeichens beunruhigender war als all die längst zum Straßenbild gehörenden haarigen Heavy-Metal-Nerds mit Eingeweide fressenden Horror-Zombies auf den T-Shirts. Die wurden nie angehalten und durchsucht.
Die uralte Band mit dem bedrohlichen Symbol betourt in wechselnden Besetzungen nach wie vor die USA, die letzte Aktualisierung auf der Website ist von 2008. Die jüngste Studioplatte ist zehn Jahre alt (Curse of the Hidden Mirror), davor gab es eine von 1998 (Heaven Forbid), und davor wiederum eine lange, fatale Pause. 1988 war das geplante Mammut-Projekt Imaginos aufgrund mangelnder Promotion der Plattenfirma, aber auch wegen seiner eigenen Ambitionen baden gegangen, was den Todesstoß für die Band bedeutete. Dennoch gab es seinerzeit Stimmen, die behaupteten, das Album sei eine Rückkehr zur alten Form und die relevanteste Heavy-Metal-Platte seit Metallicas Master of Puppets. Hört, hört. Die 83er- bzw. 85er-Alben The Revölution by Night und Club Ninja waren vom Publikum noch als endgültiges Aufgehen BÖCs im allzu gefälligen Mainstream gewertet worden. Sie waren die Folge von Zerfallserscheinungen einer bis dahin sehr stabilen Band, deren unmittelbar vorhergehenden beiden Platten (Cultösaurus Erectus, 1980, und Fire of Unknown Origin, 1981) von Heavy-Metal-Produzent Martin Birch noch mächtig auf Druck gebürstet worden waren und manchen als die besten der ganzen Diskographie galten.
Die eigentlich erfolgreiche Ära der Band zwischen 1972 und 1979 zerfiel grob in zwei Phasen, die jeweils ein Live-Album abschloss. Die „Schwarz-Weiße Phase“, benannt nach dem puristischen Farbschema der Albumcover, formulierte die rumpelnde ästhetische Ideologie der Band aus, die zweite Hälfte der Siebziger verfeinerte, veredelte und verpoppte sie. Die Band gab sich zunehmend perfektionistisch und megalomanisch, ohne dabei jedoch zu technokratisch zu werden. Als erfolgreichstes Album gilt das zweite Live-Album Some Enchanted Evening, zur einträglichsten Studioplatte geriet Agents of Fortune. Als bedeutsamstes Album wird indes Secret Treaties von 1974 gewertet, das mit dem genial-kryptischen Me262-Cover, hinter dem sich eine überaus rätselhafte Geschichte zu verbergen scheint. Noch heute findet man Hörer, die der Auffassung sind, dies sei die beste und organisierteste Hardrock-Platte aller Zeiten. Metallica coverten später den Klassiker „Astronomy“, aus dem die Überschrift dieses kleinen Artikels stammt.
Der Blaue-Austern-Kult ist die wahrscheinlich einflussreichste Rockband in den Gefilden des modernen Phantastischen. Nicht nur, weil Stephen King sie toll findet und das immer mal wieder proklamierte. Ein, zwei, vielleicht drei amerikanische Kreativengenerationen wuchsen mit ihr auf. Noch heute wird „(Don’t Fear) The Reaper“ von 1976 gerne genommen, um Gruselfilme oder einschlägige TV-Serials atmosphärisch zu unterstützen. Phantastik war spätestens seit Black Sabbath und Alice Cooper Rock’n’Roll, aber mit Blue Öyster Cult wurde nicht nur der Umlaut im Bandnamen eingeführt, sondern auch ein organisiertes postmodernes phantastisches Rock-Konzept etabliert. Ein Kunstprodukt und eine Metageschichte, die in der frühen kryptischen, Escher-inspirierten Cover-Art ihren Ausdruck fand und der man in den rätselhaften Songtexten auf die Spur kommen sollte. Ein erstes Kokettieren mit „thinking man’s rock“ auf der Basis einer augenzwinkernden Geheimgeschichte von Alien-Nachkommen, die bis heute die Geschicke der Menschheit lenken und in denen aller Okkultismus und alle Gruselmotive ihren Ursprung haben. Die Kulturen der Ägypter und Mayas, die Alchemisten, die Faschisten, die Postmoderne – alles Ausfluss jener steuernden dunklen Mächte kosmischen Ursprungs. Reiner Eklektizismus also. Jemand meinte, die Texte seien so, „als würden Stanley Kubrick und Alfred Hitchcock sich gegenseitig ihre sexuellen Phantasien erzählen“. Ironische Anklänge an Poe, R.L. Stevenson, Stoker, Huysmans, E.T.A. Hoffmann, W. Burroughs oder Kerouac finden sich jedoch ebenso. Manches Motiv wirkt wie eine Vorwegnahme des Achtziger-Horror-Booms.
Das von Bill Gawlik entworfene und von Anfang an allgegenwärtige Chronos- bzw. Saturn-Zeichen symbolisiert in der Alchemie Blei: heavy metal. Die abgewandelte Kreuzform verleiht ihm eine pseudo-religiöse Aura und kündet von geheimnisvollen, vermutlich verbotenen Ritualen. Einen Musikkritiker der 70er erinnerte es an „hinzurichtende politische Gegner“, andere sprachen von „Kryptofaschismus“ und „Totalitarismus“ zu einer Zeit, als die Postmoderne noch irritierend war, erst recht im Pop. Angesichts eines Plattentitels wie Tyranny and Mutation überrascht das nicht mal. Akte X-Schöpfer Chris Carter pfiff damals noch an der Highschool den Mädchen hinterher – und hörte zwischendurch mit ziemlicher Sicherheit BÖC-Platten. John Carpenter baute in Fürsten der Dunkelheit eine kleine Referenz ein, indem er auf dem Arm einer vom Teufel Besessenen das Symbol erscheinen lässt.
Bandmanager und Journalist Sandy Pearlman, der auch die Metageschichte zusammenphantasiert hatte, etablierte „Heavy Metal“ als Gattungsbegriff. Blue Öyster Cult sind ganz offiziell die erste Heavy-Metal-Band, die sich als solche bezeichnete und in Songtexten mit dem Begriff spielte. (So werden etwa britische Bomber im Himmel über dem WK-II-Berlin zu „heavy metal fruits“.) Und BÖC waren die erste Band, die auf dem Höhepunkt ihrer Karriere eine aufwendige Lasershow einsetzte, zu der die Fans in Scharen pilgerten, während die Pädagogen und Religiösen, ahnungslos wie eh und je, vor „satanischer Rockmusik“ warnten. Genau wie Black Sabbath spielten BÖC ganz gezielt mit dem Image des „Bösen“, im Grunde waren sie aber stets gutgelaunte, eklektizistische Romantiker, die sich aus einem akademischen New Yorker Proto-Punk- und Kunststudenten-Underground und dem Dunstkreis des Magazins „Crawdaddy!“ erhoben hatten. Eine Antwort auf die avantgardistische Intellektualität von Velvet Underground und die animalische Rohheit von Black Sabbath gleichermaßen. Im Grunde war das Chronos-Zeichen als Konkurrenz zu Warhols Banane gedacht. BÖC, das waren: ein Frontmann in Schwarz (Eric Bloom), einer in Weiß (Donald Roeser), harter Gesang (Bloom) gegen weichen (Roeser), stramme Kompositionen (Bloom) gegen liebliche (Roeser) sowie ein ständiges Zueinanderbiegen dieser beiden Pole. Es wimmelt von okkulten Verschwörungstheorien, Liebesballaden mit Geisterbeteiligung, Avantgarde-Poemen, Oden an alte Leinwandmonster von Nosferatu bis Godzilla, lyrischen Geschichten vom genius loci verborgener Orte, belles dames sans merci, urbanem Horror, Psychokiller-Songs, kosmischem Grauen, l’art pour l’art phantastique, Grotesken, sentimentalem Mainstream. Und es gibt auch eine ironische Eloge an die Mounties, die kanadische berittene Polizei. Zwischendurch taucht immer mal wieder die ominöse Figur Susie auf, der Dinge zustoßen. Mein persönlicher Lieblingstext ist Richard Meltzers „Joan Crawford“, die satirische, höchst apokalyptische Paraphrase des Bestsellers Meine liebe Rabenmutter von Christina Crawford, in dem die Adoptivtochter der Hollywood-Diva mit ihrer Mutter abrechnete.
Stilistisch gerät das alles seltsam uneinheitlich, aber stets läuft es rund und verblüfft nicht selten durch die selbstverständliche Kombination von Hardrock-Power und Harmoniegesang, beunruhigender Tritonus-Atmosphäre und „Frightmotif“, losgelassenen, schier endlosen Boogie-Jams, Proto-Punk, Westcoast-Psychedelia, geschmeidigem Pop, knirschender Härte und ätherischer Leichtigkeit. Leute von außerhalb wurden eingeladen, ihr Scherflein beizutragen zu dieser offenen phantastischen Gegenwelt. Anfangs übernahmen Pearlman und sein Kollege Richard Meltzer maßgeblich das Ausformulieren der Grundlagen; früh mischte auch schon Patti Smith (damals die Lebensabschnittsgefährtin von Keyboarder Allen Lanier) mit, Ian Hunter kollaborierte auf einem Song. Schriftsteller steuerten Texte bei, unter ihnen Jim Carroll, Michael Moorcock, Eric van Lustbader und zuletzt Cyberpunk- und Horror-Autor John Shirley, der sich schon in seinen frühesten Romanen als BÖC-Adept geoutet hatte. Gastgitarristen wie Aldo Nova oder Robbie Krieger (Doors) tauchten auf und durften dem Kult huldigen – oder der Kult huldigte ihnen.
Zehn Jahre sind vergangen seit dem letzten, durchaus starken Studioalbum ... Heute ist die Diskographie längst aus dem Fokus einer hibbeligen Zeit gerückt. Die Band ist, zumindest diesseits des Atlantiks, inzwischen so aus der Mode gekommen, dass man nicht mal mehr Aufkleber bekommt. Die Suche beim E-Commerce blieb erfolglos, es wird also kein neues BÖC-Symbol auf dem Auto geben.

Montag, 7. März 2011

Entermesser gefunden

Lag am Straßenrand. Ist allerdings aus Schaumstoff und ein bisschen wabbelig. Zu Hause hat die Katze sich gleich darüber hergemacht, als ich sie damit erstechen wollte. Hat wohl irgendein Kind verloren, das jetzt ganz schlimm weint. Aber wie soll man in dem Getümmel ein heulendes Piratenkind finden, dem sein Wabbelentermesser fehlt?
Ist recht exklusiv am Chlodwigplatz, seit dort die Baustelle weg ist. Man steht mitten auf dem Platz auf Blumenkübeln und schaut dabei zu, wie die sternförmig aufgefächerten Etappen des Rosenmontagszuges durchs Rondell geschleust und in Richtung Torburg geschickt werden. Man muss nur ab und zu das Standbein und die Himmelsrichtung wechseln. Ich bekam Konfetti ab von einem Astronauten. Die Gemahlin ging kostümtechnisch dieses Jahr recht weit und malte sich mit Lippenstift einen roten Punkt auf die Nase. Ich ging als Autonomer: schwarze Kapuze über gegen den Wind an den Ohren. Der lustig-hysterische Dackel, der die ganze Zeit neben dem Blumenkübel herumsprang und die Bekloppten bestaunte, ging ganz eindeutig als Dackel. Chlodwigplatz ist Prä-Wurfzone, weswegen man hier keine Kamelle abkriegt, dafür aber auch keine Wurfgeschosse an den Kopp. Ich muss gestehen, dass ich Spielmannszüge mag, vor allem die modernisiert traditionellen mit Schweizerischem Touch. Sie bringen in diesen endlos ausgebreiteten Soundteppich aus Schunkelschlagern und Gassenhauern ein bisschen Bewegung und setzen rhythmische Glanzlichter. Bevorzugter Themenwagen: das Dioxin-Huhn. Es sah sehr glaubwürdig aus. Und die dazugehörige Hühner-Fußgruppe hatte prächtige Hühnerärsche.

Sonntag, 6. März 2011

BÖC: Curse of the Hidden Mirror

Hmm, dieses Album hatte ich, ehrlich gesagt, als schwächer in Erinnerung. Es ist erzählerischer als Heaven Forbid, nicht so stark nach vorne drängend. Aber es kommt mit der Zeit. Da sind diese ebenso lieblichen wie forschen, ins Ektoplasmische zielenden Überzeitlichkeitsballaden von Donald Roeser – man könnte sie auch „Geisterballaden“ nennen –, die sich anschmiegen an Eric Blooms brachiale, mauerfeste Rocker, die auf diesem Album mehr Komplexität aufweisen als auf dem Vorgänger und ein bisschen Geduld brauchen. Alles das zielt auf manchmal effektdonnernde, manchmal hauchzarte, aber immer elegante Weise ins Dunkle. L’art pour l’art phantatisque. Manches ist richtiggehend schwer und vertrackt, und das, was leichtfüßig daherkommt, erweist sich beim zweiten Hören als komplexes Tun. Die Breaks und Verschnaufpausen, die überirdischen Harmoniegesänge, Keyboard- und Pseudo-Streicher-Arrangements, das Abwechseln und die damit einhergehende Allgegenwart der Leadgitarren, der hohe, manchmal fast Rush-artige Gesang – da gibt es nach wie vor einiges zu entdecken. Und das Cover-Design ist wunderbar kryptisch. Die eigenartigen Bilder, die offenbar von einer Geheimgeschichte künden, stehen für sich, ohne dazugehörige Story auf dem Inlet, weswegen sie die Phantasie umso mehr anspornen. Offensichtlich verweisen sie zurück in die frühen Tage, in denen BÖC-Mastermind Sandy Pearlman seine okkulten Verschwörungsgedichte schrieb und der Band eine Kunstmythologie verpasste, die damals als Spinnerei galt und heute als postmodernes Phantastikgebräu bejubelt werden würde.
Kein Zweifel, dieses Album muss öfter mal in die Rotation.

Samstag, 5. März 2011

BÖC: Heaven Forbid

Obwohl ich damals, 1998, von diesem Album angenehm überrascht war, behandelte ich es etwas stiefväterlich. War ein Pflicht- und weniger ein Leidenschaftskauf. Ich war seinerzeit musikalisch anders drauf. Aber statt zu verblassen, wurde Heaven Forbid mit den Jahren immer besser und gehört heute zu den präzisesten Punktlandungen überhaupt. Das beste 'späte' Hardrockalbum der Welt. Es stammt von alten intermedialen Phantastikern und Postmodernisten, die Plündern und Neuschöpfen mit Augenzwinkern betrieben. Eine Band, die Einfluss auf allerhand jüngere genreliterarische Strömungen nahm, da die Autoren mit ihr aufgewachsen waren.
Die Band zeigte Mitte der Achtziger ernsthafte Zerfallserscheinungen und ging 1988 mit opernhaftem, kraftmeierischem Bombast unter. Am Album Imaginos hatten zu viele Köche gekocht, gedünstet, gebraten und geschnippelt. Und dann schmiss auch noch die Plattenfirma hin. BÖC war tot, die Zeit für ihre Art der Inszenierung vorbei. Sechs Jahre später erhoben sich die reanimierten Leichname mit einer Strategie der Reduktion: alte Klassiker in abgespecktem, fast puristischem Gewand. Danach wieder Totenstille. Vier Jahre lang. Dann Heaven Forbid, eine kreative Leistung, die man der Band nicht mehr zugetraut hätte. Die alten epischen Qualitäten werden in den Kontext einer neuen, ruppigeren Zeit gestellt, ohne die Ironie zu verlieren. Es gibt hier einige ausgewiesene, knochenharte Heavy-Metal-Songs, die sich unter die ‚Erzählstücke’ mischen. Double Bass, zentnerschwere Riffs, aufgebrochen von bluesigen Leads, straight nach vorne geprügelt. Und auch die erzählerischen Stücke bekommen einen kräftigen Anstrich verpasst (Rhythmusgruppe: Miranda/Bürgi), bleiben dabei aber stets wunderbar sentimentale, völlig rund laufende Miniaturepen voller Druck und musikalischer Ornamente. Wie üblich wird die Gesangsarbeit gewinnbringend aufgeteilt zwischen Roeser (weich) und Bloom (hart). Völlig zeitlos, großartig unterhaltsam. Ein typisches Beispiel für die im klassischen Sinne gruselige BÖC-Ästhetik ist etwa der im Refrain neben die Leadstimme gelegte, sakral nachhallende Harmoniegesang in „Cold Gray Light of Dawn“.

Mittwoch, 2. März 2011

Hunger

Bin eindeutig wieder zu Hause. Um sechs Uhr von der Katze herausgebrüllt worden: „Hunger! Verdammt! Hunger! Herrje, hab ich Hunger! Boah, Mann, Alarm! Hungerast! Wir müssen alle sterben, wenn nicht sofort etwas gegen meinen HUNGER unternommen wird! Erwähnte ich schon diesen MordsHUNGER? Tatü-tatü. Ich kann nicht mehr! Ruft das UNO-Katzenhilfswerk! Soll Katzenfutter abwerfen!“
Na ja, ich musste ohnehin pinkeln gehen.

Dienstag, 1. März 2011

Dicke Luft

Gerade mal mit dem Freiherrn telefoniert. Wir kennen uns ja noch aus der schlagenden Verbindung „Feingeist Germania“ und aus der Gebirgsjägerkompanie Mittenwald. Ziemlich schlecht drauf momentan, der Arme. Dicke Luft im Schloss. Er war gerade am Haarewaschen. Stefanie wirft im Hintergrund mit Meissner Porzellan. „Theo“, habe ich ihn über das Klirren hinweg ermahnt (ich nenne ihn seit jeher Theo), „erinnerst du dich, dass ich dich damals vor dem Andreas gewarnt habe? Der Andreas, habe ich gesagt, der schnupft mit Rattengift gestrecktes Koks und trägt Feinripp, weil sein Vater Betriebsrat bei Schießer ist. Und die Weiber. Erinnerst du dich an die Weiber? Ja, klar, der ist günstig, aber du hast doch die Kohle, Mensch, und der versiebt dir noch die Diss, habe ich gesagt, oder? Unzuverlässig, sagte ich, stimmt's? Nimm den Jan-Peter, habe ich gesagt, der trägt Seitenscheitel, trifft trotz minus fünfkomma Dioptrin die Zehn, und sein Daddy sitzt im Bistumsrat. Der Jan-Peter, der macht dir das. Aus den Augen, aus dem Sinn, Theo. Musst du gar nicht mehr reinschauen in das Ding. Also beklag dich nicht. Und jetzt beruhige mal deine Frau. Ist ja kaum auszuhalten.“

Kur

Zwei Ladungen Flieten, fünf Viez-Sprudel, eine Cola, drei Aufgesetzte: lächerliche 26 €, natürlich eingeladen worden. Dazu dreimal rustikales Mittagessen, Kaffee und Kuchen, eingelegte Heringe, Apfelkuchen und Wurst zum Mitnehmen, nettes Schwätzchen hier und da, der freundlichste Irish Setter der Welt, gratis Tankfüllung, gratis Reifenwechsel, gratis Internetverbindung, gratis Digital-SAT mit 1082 Programmplätzen und jede Nacht zehn Stunden Schlaf. Erledigte Arbeit: null, niente, zilch. So muss das sein.