Montag, 14. März 2011

BÖC: Imaginos

Ich muss um Vergebung bitten. Die Band, die Fans, die ganze Welt. Scham und Gram überkommen mich. Weiter unten qualifizierte ich dieses Album als „gescheitert“ und als „Theaterdonner“ ab. Das hat damit zu tun, dass ich im Erscheinungsjahr 1988 schon eine Zeitlang auf dem Post-Punk-, Post-Wave-, Post-Hardcore- und Prä-Grunge-Trip war, also sozusagen hip zu werden gedachte, und mich von dieser Art von überkommenem Hardrock abgrenzen wollte. Ich mochte die LP durchaus, empfand sie aber in meiner damaligen asketisch-studentischen Converse-Chucks-Inkarnation als zu bombastisch. Pure Subjektivität also und heute lediglich aus der Erinnerung hervorgekramt. Objektiv ist das völliger Schwachsinn. Ich besaß die Platte bislang nicht mal als CD. Dem wurde nun abgeholfen, und der erste Durchmarsch nach vielen Jahren öffnete ein ganzes genialisches Universum des organisierten Grauens, eine American-Gothic-Fantasy, deren musikalische Vielschichtigkeit ich damals unentschuldbarerweise als Bombast missverstanden habe. Ja, Imaginos ist das beste Phantastik-Rockalbum aller Zeiten. Es startet mit strammem Hardrock, zieht einen tiefer rein mit Vielgestaltigkeit und kulminiert in dem organisiertesten Song, den die Band je aufgenommen hat, der aufgedonnerten Neu-Version von „Subhuman“, programmatischerweise umgetitelt in „Blue Oyster Cult“.
Eigentlich war die Platte gedacht als Solo-Album des 1981 ausgestiegenen Schlagzeugers Albert Bouchard, an dem dieser jahrelang werkelte. Als er schließlich damit vorstellig wurde, lehnte die Plattenfirma es ab. Wer würde schon das Album eines Ex-Drummers kaufen? Es war wiederum Sandy Pearlman, der die Plattenfirma und die teils zerstrittenen Bandmitglieder zusammenbrachte und in Krisensitzungen einen Kompromiss herausschlug. Die Band würde nach zwei Jahren totaler Sendepause wieder aktiv werden, Bouchards Imaginos-Material bearbeiten und es als Band-Album herausbringen. Pearlman spuckte im Vorfeld ein paar große Töne in die Mikrofone der Musikpresse und meinte, es werde das definitive Metal-Album seiner Epoche. Dies sei schließlich die Basis des Metals, und sie würde nun auf die Höhe der Zeit gehoben. Imaginos lag ihm persönlich auch deshalb am Herzen, weil Bouchard sich hatte inspirieren lassen von Pearlmans ganz frühen Düster-Hippie- Okkultverschwörungstexten um den (kunst-) mythologischen Blue Oyster Cult und die dämonischen „Les Invisibles“. Keine andere BÖC-Platte ist derart Konzeptalbum und laviert so ausschließlich um Pearlmans im besten Sinne spinnerten postmodernistischen Gothic-Grusel herum. Eine Rock-Oper, die jedoch aufgrund finanzieller Probleme und Einsprüche der Plattenfirma zusammengestrichen wurde. Eine gute Zusammenfassung der Hintergrundgeschichte findet sich im amerikanischen Wikipedia-Eintrag zum Album.
Der BÖC-Kern und die diversen Gastmusiker arbeiten hier mit mehr Effekten als je zuvor. Die Synthesizer - auf den beiden vorherigen Platten noch geschniegelter Eighties-Plastik-Pop-Rock - werden ausgiebig zur Erzeugung von Atmosphäre und Schauereffekten genutzt. Ergänzt werden sie durch tonnenweise Samples und ganze Choräle von dunklen und hellen Geisterstimmen. Manchmal nimmt das fast Hörspielqualität an. Lange, epische Stücke mit komplexer Dynamik und hymnischen Zügen, schnelle Pianoläufe, die wohlbekannten beunruhigenden Gitarrenfiguren, funkiger Bass, stoische, donnernde Rhythmen, metallische Riffs, permanente Soli, Harmoniegesänge, die sich nur teilweise in unserem bekannten Raumzeitkontinuum abspielen. Mit anderen Worten: eine NeoProg-Inszenierung von opernhafter Pracht und mit präziser Logistik. Zusammen mit dem schicken Cover ein echtes Gesamtkunstwerk, wenn auch beschnitten, denn das Material hätte wohl für einen ganzen Zyklus von Alben gereicht.
Der Misserfolg der Platte hatte zwei Gründe. Erstens war die Plattenfirma in Übernahmetrubel verwickelt und vergaß, das eigene Produkt zu promoten. Zweitens war die Rock-Oper zu sehr 70er und wirkte in den späten 80ern zu verschroben und ambitioniert phantastisch, um weite Käuferkreise anzusprechen. Heute darf man über die Torheiten der Zeit weise den Kopf schütteln, sich dem Ding wieder nähern und es schlicht und einfach für grandios befinden.

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