USt-Nachzahlung, ESt-Nachzahlung, USt-Vorauszahlung, ESt-Vorauszahlung, Nebenkostennachzahlung, Miete, privates Sozialgedöns, zwei Laptops, Kamera, diverse weitere Anschaffungen nach dem konjunkturfördernden Motto Jetzt erst recht … Man reiche mir ein Gewand aus Sackleinen und begrabe mich dereinst vor den Toren der Stadt. „Hier verscharrt liegt ein armer, armer Mann.“
Mittwoch, 29. Juni 2011
Dienstag, 28. Juni 2011
Lollipop
Das erste Album der Meat Puppets stammt von 1982. Seit der zweiten Hälfte der Achtziger sind sie eine Konstante meines Daseins. Nebenprojekte und Besetzungswechsel eingeschlossen. Das liegt schlicht und einfach daran, dass die Band bis heute existiert und dass ihre Platten stets die Balance aus Vertrautheit und Innovation hinkriegen. Während andere alte Heroen wie Greg Sage sich völlig zurückgezogen haben oder Bob Mould mir zu konsumierbar wurde, boten die zauseligen Kirkwood-Brüder über die Jahre stets Verlässliches und blieben doch ewiger Geheimtipp. Hochästhetische Saitenquälerei, besessen von Schönheit und Melodie, melancholisch verhuschtes Americana-Wüsten-Idyll in Pastell oder bretthart nach vorne getriebener Psycho-Powerrock als Metallinstallation, Experimente in Sound und Arrangement. Bunt, impressionistisch, hochgradig organisiert, auch wenn es sich oft wie hingeworfen anhört. Dazu der Kontrast zwischen einer notorischen lazyness, die Entspanntheit signalisiert, und einer eklatanten Hyperaktivität in den Songs, die des Öfteren schier bersten wollen vor lauter Sound und Idee und drastischem Gitarrensolo. Poetische Texte wie unter Drogen, Bewusstseinserweiterung als Normalzustand. Mitte der Neunziger zerfiel die wunderschön eskapistische Künstler-Gegenwelt aufgrund persönlicher Probleme von Curt Kirkwoods Bruder Cris, dem Bassisten. Drogenkarriere, Todesfälle, Schießerei mit einem Wachmann, Bauchschuss, Knastkarriere. Curt widmete sich währenddessen diversen Projekten, führte die Band aber weiter mit anderen Musikern und der Option, seinen Bruder nach der Gefängnisentlassung zu reintegrieren. Cris Kirkwood ist seit drei Alben wieder essentieller Teil der Meat Puppets.
Das neue Album Lollipop ist eines der schönsten der ganzen Karriere. Zurückgenommene Power, trocken, transparent, mäandernd, gute Laune verbreitend. Eine stoische Schönheit.
Donnerstag, 23. Juni 2011
Auf der Gewinnerseite
Der Notdienst-Installateur war da. Gewaltiger Bruch in einer alten eisernen Steigleitung. Kannst du die Hand reinstecken, so groß. Nein, nein, da kann der Notdienst heute nichts mehr machen. Ist viel zu alt und massiv, das alles. Muss die ganze Wand aufgestemmt und -gepickelt werden, um die Ansatzpunkte für das neue Rohr zu finden. Geht womöglich über mehrere Stockwerke. Könnte also was länger dauern. Ist ja auch langes Wochenende und so.
Die gute Nachricht für die beiden heute vielbeschäftigten Arschkarten-Mieter: Nur Teile des Hauses hängen an dieser speziellen Horrorleitung, andere Teile nicht. Nachdem der Notdienst ein bisschen mit Haupthahn und Verteilerhähnen herumgeknobelt hatte, lief bei uns das Wasser wieder. We are the winners!
Jetzt klingeln alle halbe Stunde die Nachbarn und stehen mit leeren Eimern vor der Tür.
Will Feuerwehrmann werden
Da steht man auf am Feiertag, holt die Zeitung rein, denkt sich nix – und verharrt irritiert im Hausflur ob dieses eigentümlichen, hallenden Plätscherns. Duscht da etwa jemand bei offener Wohnungstür? Oder pinkelt unten im Zwischenkeller ein Brontosaurier an die Wand? Mal eben die Treppe runter, Kontrollblick in den Zwischenkeller. Das Geräusch wird lauter. Und da haben wir’s auch schon: Aus der Wand hinten plätschert es nicht, es fließt gebirgsbachartig. Der Zwischenkeller steht drei Fingerbreit hoch unter Wasser. Der Wasserstand ist nur deshalb so niedrig, weil der Bach unter der metallenen Trenntür und durch Kabelschächte munter weiter in den Tiefkeller fließt. Wie lange das schon so fließt, ach was, strömt … wie es da unten wohl aussieht … keine Ahnung. Ich glaube, ein Brontosaurier wäre mir lieber gewesen.
Was nun? Darf ich mich wieder ins Bett legen und heulen? Nein, natürlich nicht.
Na ja, den folgenden Parcours möchte ich gar nicht im Detail beschreiben. Derjenige Mieter, der das Desaster als Erster entdeckt, hat die Arschkarte. Es ist das Ehepaar Reitersmann. Feiertag. Nirgendwo geht einer ran, einige der Nummern sind nicht mehr aktuell und führen u.a. nach Bayern. Die Handynummer irgendeines Verantwortlichen liegt nicht vor, wird aber nach einiger Mühsal ermittelt. Nur hat fraglicher Verantwortliche natürlich sein Handy abgeschaltet. Ist ja Feiertag. Stunden später ruft er doch zurück. Bei ihm piepen im Hintergrund die Vögelein.
Letztlich wird die Berufsfeuerwehr verständigt. Ein ganzer Einsatzzug kommt. Große, breite Kleiderschränke. Hochprofessionell, freundlich, sexy. Wir machen so’nen Scheiß jeden Tag, geht mal aus dem Weg, ihr kleinen, verängstigten Mieterlein. Nicht heulen, alles wird gut. Knisternde Funkgeräte, Äxte, Pumpen, Einsatzdress, Gummistiefel und Muskeln. Einer bleibt draußen am Löschzug zurück und raucht. Alles easy.
Wenn mal was ist: Ruf die Männer von der Feuerwehr, die können es, die labern nicht rum, die lassen die Muskeln spielen, die haben mächtige rote Äxte, hacken die Kellerwand auf und begeben sich durch bedrohlich schwappende Überflutungsszenarien auf die Suche nach dem Haupthahn. Du kommst dir ganz klein vor. Ich will auch Feuerwehrmann werden.
Der Schaden im Keller ist geringer als befürchtet, weil die Arschkarten-Mieter früh genug reagiert haben. Verlange Mietminderung wegen erwiesenen Heldentums. Aber das Problem heißt nun: Im ganzen Haus ist das Wasser abgestellt, und um die Schadensbehebung müssen sich jetzt wieder diese Immobilienfirma-Schluffis kümmern. Ich kaufe morgen vorsorglich mal eine ganze Palette Deoroller und stelle sie in den Hausflur zur freien Verfügung.
Dienstag, 21. Juni 2011
Poststelle
Vor einiger Zeit gab es hier im Haus einige Rotation. Bekannte Mieter raus, neue Mieter rein. Der DHL-Mann, der monatelang eine andere Route fuhr und jetzt mal wieder auftauchte, erkannte das Klingelschild kaum wieder und lachte fast ungläubig. Wie gut, meinte er, dass eine Konstante bleibt: die Poststelle. Einfach die unterste Klingel betätigen, und der Typ im Hochparterre wird schon angespurtet kommen. Als neulich mal die Gemahlin rausrannte, weil der Poststellentyp unpässlich war, meinte der DHL-Mann allen Ernstes: „Ich kenne Ihren Mann gut.“
Unter den neuen Mietern sind welche, die äußerst rege dem E-Commerce zusprechen. Vor allem die Damen. Der Poststellentyp rennt also inzwischen vormittags dreimal raus an die Haustür, um dem polnischen DHL-Mann, dem aserbaidschanischen DPD-Mann und dem marokkanischen Hermes-Mann ihre Pakete abzunehmen und Unterschriften zu leisten. Angesichts dieses erhöhten Aufkommens wurde unlängst, natürlich per E-Commerce, ein ausgemustertes Fluggepäck-Röntgengerät bestellt und im Wohnungsflur der Poststelle installiert. Könnte ja Gefahr im Verzuge sein. Wer weiß, was man sich da tagtäglich in die Wohnung holt? Bisher waren aber nur Designer-Salzstreuer, Duftwässerchen, Unterwäsche mit Katzenmotiven („Superpussy“) und ein S/M-Lederhalsband drin. Eine der Damen hat mal ein Mini-Handwerker-Set bestellt, inklusive Wasserwaage. Wie bizarr.
Im Laufe des Tages, meistens Abends, werden die Pakete dann den adressierten Damen überreicht. „Viieelen Dank!“ – „Kein Problem. Viel Spaß damit.“
Sonntag, 19. Juni 2011
Der Stuntman ist tot
Wie aus dem Infopool zum 25jährigen Abi-Treffen zu erfahren ist, haben wir den ersten tragischen Verlust zu beklagen. Offenbar wurde Wolfgang B. letztes Jahr überfahren.
Vor fünf Jahren, beim letzten Treffen, überraschte er noch mit einer Armprothese und der Information, sein richtiger Arm sei in einem elektrischen Garagentor zerquetscht worden. So makaber es klingt, aber das schien zu jemandem zu passen, der schon zu Schulzeiten beherzt und leicht irre über die Bänke sprang, sich dabei öfters auf die Fresse legte und als Berufswunsch „Stuntman“ angab. Dass aber nun ganz finito sein soll, ist maßlos übertrieben.
Wolfgang B. war mit mir im Geschichte-Leistungskurs und gehörte zu den Überlebenden der „Abi Challenge Eighty-six“. Sammeln wir uns eine Minute und gedenken seiner.
Mittwoch, 15. Juni 2011
Greise
Dieses schicke Internet wurde langsam zu aufwendig für unsere greisen Medion-Laptops mit ihren Zipperlein. Alles so schön bunt und flackernd und laut und ressourcenfressend. Die Gattin laborierte an einem Laptop von annodunnemal, mein damals erster, den ich mit Aufklebern der Wipers und Weezer versehen hatte. Ein Punk-Laptop! Er blieb allerdings nicht jung und rastlos, sondern begann irgendwann bei der geringsten Web-Anstrengung zu stottern und dann – zack! – eine Notabschaltung durchzuführen. Das alternde Maschinchen wurde stetig kurzatmiger und erblickte die schöne neue Internetwelt eigentlich nur noch von ferne. Hippe Flash-Filmchen und Java-Gedöns verursachten bei ihm permanente Aussetzer. Eigentlich sympathisch, aber letztlich in einer durchoptimierten Welt doch suboptimal. Sein Lüfter hörte sich seit jeher an wie eine Airbus-Turbine beim Steigflug, klang aber nun im Alter wie eine Saturn-V. Und schön heiß wurde er. Man hätte sich an seinen Lüftungsschlitzen wahrscheinlich die Haare fönen können, wenn der dauerlüftende Greis nicht fünf Kilo wöge und vorm Spiegel daher etwas unhandlich ausfiele. Der Akku war schon lange hinüber, und der Greis musste zwangsläufig am Strom hängen. Ein paar Schräubchen waren ihm auch rausgefallen, so dass man beim Hochheben darauf achten musste, dass er nicht irgendwelche rätselhaften Einzelteile verlor. Nun ist die Gattin nicht so irre technologiebasiert und internetaffin, aber der Zustand wurde spätestens dann untragbar, als sie damit anfing, den alten Medion beim Erklimmen jedes kleinen Internet-Hügelchens anzufeuern. „Du schaffst das, Alter, du schaffst das! Oben kriegste eine Limo!“
Mein Laptop − ebenfalls ein Medion, etwas jünger und schlanker, aber paradoxerweise auch breiter − erfüllte im Prinzip weiterhin seine Pflichten, wurde aber um die Taille herum recht wabbelig, warf Falten, verlangte unlängst nach einem Rollator und bestand auf seinem Mittagsschlaf. Zzzzz. Und beim virtuellen Spazierengehen konnte er mit den hübschen jungen Notebooks und Netbooks, die um ihn herumsurften, schon lange nicht mehr konkurrieren und hustete sich einen. Vielleicht aus Notwendigkeit, vielleicht auch nur aus Verachtung für die Jugend. Mit dem Wackelkontakt, der bei gewissen Bildschirmstellungen selbigen schwarz wie die Nacht werden ließ, hatte ich zu leben gelernt. Ebenso mit der Tatsache, dass auch sein Akku den Weg alles Irdischen gegangen war und er daher so mobil war wie ein Grabstein. Neuerdings schien es auch an seiner Stromzufuhr einen Wackler zu geben, der ihn recht zittrig und flackerig machte, wenn der Bildschirm mal gerade nicht schwarz war. Und guten Gewissens auf Reisen konnte man mit beiden Maschinchen auch nicht mehr gehen, denn die Katze hatte beide Laptop-Taschen komplett zerrupft. Kein schöner Anblick, aber irgendwie Punk.
Ich hatte diese Medions damals gekauft, weil ein paar Kundenfang-Goodies inbegriffen waren: Laptop-Tasche, externe Maus (nie gebraucht), eine Tüte Gummibärchen, ein Hochglanz-Fotoalbum mit Nacktfotos aller Aldi-Kassiererinnen der Kette „Süd“. Und sie waren als Arbeitstiere auch gar nicht schlecht. (Die Laptops, nicht die Kassiererinnen, herrje.) Es wurden Hunderte, vermutlich sogar mehr als tausend Gutachten auf ihnen geschrieben, hundert Romanmanuskripte auf ihnen redigiert. Bücher wurden auf ihnen gemacht. Auf ihnen wurde Software erforscht, das Mp3-Phänomen ergründet, uralte Spiele gespielt, es wurden kistenweise Fotos bearbeitet, externe Geräte angeschlossen und erkundet. Sie wurden gepeitscht, angetrieben, wurden verflucht und mit garstigen und liebenswerten Dingen besprochen und gestreichelt. Sie waren die tapferen kleinen Begleiter der Nullerjahre. Schneller gealtert als man selbst, aber vielleicht ist das auch bloß Wunschdenken.
Jetzt heißt es allerdings „Goodbye, Medions“. Ab in die Kryo-Kammer, ihr Laptop-Greise. Träumt was Schönes-Virtuelles, erzählt euch da unten im Schrank gegenseitig von euren Zipperlein oder lest euch von mir aus ein paar redigierte Romanmanuskripte vor, wenn ihr welche findet, die was taugen. Entspannt euch, ihr habt es euch verdient. Die zwei neuen Samsungs sind bereits eingerichtet.
Sonntag, 12. Juni 2011
Gastbeitrag
Frau K. hat der Gemahlin eine Mail geschickt. Mit freundlicher Genehmigung von Frau K. zitiere ich daraus eine Passage, weil damit alles gesagt ist, was man wissen muss.
„Ich hänge auf dem Sofa und gucke eine komplett bekloppte Sendung auf RTL. Eine dicke, blonde Hausfrau, oder was auch immer, ist mit einem halbzahnlosen Typen verheiratet mit Kind und chattet mit einem ‚Helden der Erotik’ (‚Was hast du gerade an ...?’). Sie ist verliebt, und sie treffen sich, er will sie, sie auch, aber sie hat gerade ihre Tage und sie sagt, es täte ihr leid, aber sie könnten nur kuscheln. Der Ehemann derweil kämpft um sie, singt ein selbstgedichtetes Lied im Park mit einem bunten Hut auf dem Kopf und einer Gitarre in der Hand, die nur eine Saite hat, die er fleißig zupft. Sie geht zum anderen, weil der gerade in diesem romantischen Moment simst. Der säuselt.
Der Ehemann fragt verzweifelt einen Anwalt wg. Scheidung, freut sich über die Zugewinngemeinschaft und dass er die Hälfte kriegen würde, wovon ist unklar. Dann geht er mit der Gattin zum Wahrsager, um die Ehe zu retten und herauszufinden, ob die Gattin wirklich ihre Tage hatte bzw. wirklich keinen Sex mit dem Internet-Sexgott hatte. Der Wahrsager sagt ihr wahr, dass der Internetheld sicher noch andere sexuelle Kontakte bzw. Bekanntschaften hat, sie ist erschüttert, der Chatter kommt sie besuchen, mit Rosen, und es kommt zum Showdown mit dem Ehemann auf dem Sportplatz.
Der Chatter singt ein selbstgemachtes Lied, der halbzahnlose Gatte präsentiert ein großformatiges Familienfoto vor dem Fußballtor.
Die blonde Dicke, laut Kommentator in ihrem schönsten Outfit (Jeans u. figurbetonter Pulli), entscheidet sich mit dem ‚Diamanten der Liebe’ in der Hand, einem Glasstein, den sie vom Wahrsager bekommen hat, um sich für den Richtigen zu entscheiden, und gibt ihn, wer hätte das gedacht, dem Gatten. Der Chatter heult, beteuert seine aufrichtige Liebe, und die Sendung ist zu Ende. Ich glaube, ich mache heute nix mehr.“
Samstag, 11. Juni 2011
Witz!
Aus einem unerfindlichen Grund geht mir heute Morgen dauernd dieser alte jüdische Witz durch den Kopf, und ich bin ständig am Kichern. Er befand sich auf einer ollen Sketch-Cassette aus den Siebzigern, die wir Kinder rauf und runter hörten, interpretiert von Fritz Muliar.
Der alte jüdische Schuster liegt im Sterben. Die Familie hat sich um sein Totenbett versammelt.
Der Schuster zu seiner Frau: „Rachel? Biste do?“
Frau: „Jo … schluchz … bin do.“
Schuster zum ältesten Sohn: „Tevje? Biste … do?“
Sohn: „Jo, Boppa, bin do.“
Schuster zum jüngeren Sohn: „Samuel? Biste … och … do?“
Jüngerer Sohn: „Jo, Boppa … bin och do.“
Schuster zur Tochter: „Esther … biste do?“
Tochter: „Jo … schnief … bin do.“
Darauf der Schuster erbost: „Ja, und wer is in Jeschäft?!“
Freitag, 10. Juni 2011
Majusebetta!
Ein Stoßseufzer bzw. Ausdruck der Überraschung im heimischen Dialekt. Verschliffene Kurzform von „Maria-Jesus-Peter!“ Meine Großmutter väterlicherseits, Oma Tilly, war die unangefochtene Majusebetta-Königin der Großregion.
Keine Sorge, es gibt aktuell keinen Grund für einen Stoßseufzer oder einen Ausdruck der Überraschung; ich wollte das Wort nur mal niedergeschrieben haben, bevor es ausstirbt.
Montag, 6. Juni 2011
Gehen, nicht laufen
Ich kaufe meine Turnschuhe nur noch bei Deichmann. Nicht so sehr wegen der niedrigen Preise, sondern weil ich in diesen Sportläden missverstanden werde. Sobald man da die Schuhabteilung betritt und den Fehler begeht, mehr als fünf Sekunden reglos zu verweilen, hat man sofort einen dieser großen, braungebrannten, wohlriechenden, weißzahnigen Verkäuferathleten an den Hacken, der umgehend mit einer Typberatung beginnen will, die niemand angefragt hat. Ich erst recht nicht.
--„Laufen Sie Outdoor, Indoor oder Cross?“
--„Ähm. Draußen. Für drinnen hab ich Schlappen. Die Antwort lautet also: Outdoor.“
--„Haha, ja. Betreiben Sie Iron Man, Marathon, Halbmarathon, Mittelstrecke, Sprints oder Walken?“
--„Tja, hmm, man nennt es heutzutage wohl Walken. Also Gehen. Ich gehe in Schuhen.“
--„Aha. Um wie viel Uhr laufen Sie für gewöhnlich?“
--„Gehen, ich gehe. Tja, hmm. Über den Tag verteilt, würde ich sagen. Fängt morgens an, wenn ich aufs Klo ...“
--„Alles klar. Haben Sie Senk- oder Spreizfüße?“
--„Käse. Käsefüße.“
--„Okayyy. Tragen Sie Einlagen?“
--„Hmm, geschätzt 90.000 Euro, verteilt auf Aktien- und Rentenfonds sowie ein Sparkonto. Und ein Bausparvertrag.“
--„Nein, nein. Ich meinte, ob Sie Einlagen tragen, nicht ob Sie welche haben.“
--„Ach so. Nein.“
--„Kennen Sie Ihren BMI?“
--„Body Mass Index, stimmt’s?“
--„Ja.“
--„Nein.“
--„Okayyy. Haben Sie zufällig einen Ausdruck der letzten FKPA Ihres Orthopäden dabei?“
--„FKK-was?“
--„Fußknochenpositionsanalyse. Eine SAP, eine Sehnenarretierungsprognose, oder eine ZSLD, eine Zehenstandslangzeitdiagnose, könnten auch hilfreich sein.“
--„Nö, ich hab bloß meine Füße dabei.“
--„Möchten Sie eine FKPA, eine SAP oder eine ZSLD in unserem Computertomographen machen lassen?“
--„Äh, nö. Muss ich?“
--„Nein. Wollen Sie stattdessen für fünf Minuten auf unser Laufband, damit ich ihren Laufstil bewerten kann?“
--„Nur wenn ich darauf gehen kann, nicht laufen.“
--„Tut mir leid, die niedrigste Geschwindigkeitsstufe des Geräts ist fünfzehn ka-emm-ha! Das bedeutet automatisch Laufen.“
--„Nö, dann nicht.“
--„Wollen Sie auf unserem Fußdruckanalysator eine FDA machen lassen?“
--„FDA?“
--„Eine Fußdruckanalyse zwecks Ermittlung des Fußdrucks pro Quadratzentimeter.“
--„Ist das so eine Massage?“
--„Nein, was Sie meinen, sind Fußreflexzonen. Sind Sie isotonisch, diabetisch oder esoterisch?“
--„Katholisch, ich bin katholisch. Nicht praktizierend.“
--„Aha. Haben Sie farbliche Präferenzen?“
--„Die Schuhe sollten nicht blinken wie die Großraumdisco Camelot an der Ausfahrt Bergheim-Süd. Das fände ich scheiße.“
--„Wieso? Das ist meine Lieblingsdisco!“
Ich habe mir dann bei Deichmann völlig beratungsfrei so leichte graue Adidas gekauft.
Sonntag, 5. Juni 2011
Blindschleiche
In Köln war mal wieder Tag der Forts. Die Führung in Fort V (fünf) fiel jedenfalls schon mal aus. Nicht mangels Interesse. Es standen exakt neunzehn Leute am Treffpunkt höchst geduldig und stark ölend in der brütenden Hitze herum, aber wer nicht kam, das war die Führungsperson. Danke auch, Blindschleiche. So wird das nix mit eurem schönen Tag der Forts, Leute.
Die Lehre, die sich daraus ergibt: Verziehe beim Wort „Ehrenämtler“ abfällig das Gesicht und halte dich an die Profis. Denen passiert so ein Scheiß nämlich nicht.
Von Fort V ist nur ein massiges Reduit mit Graben übrig. Steht direkt an den Gleisen des Bahnhofs Süd und ist heute integriert ins Uni-Gelände. Geographisches Institut, Abteilung Nuklearchemie. Sehen wir’s positiv, dass wir nicht reinkamen. Wer weiß, welche Erstsemester gestern da drinnen Experimente gemacht und die Bleideckel nicht korrekt geschlossen haben. Keinen Bock, heute Abend im Dunkeln zu leuchten.
Heisterbach
Es scheint zur schönen Tradition zu werden, dass gänzlich ahnungslose Musiker der Gemahlin zum Geburtstag ein Ständchen bringen. Letztes Jahr war es im Altenberger Dom eine Probe des Tölzer Knabenchors, diesmal probte ein gesichtsloser Pianist nebst Streichquartett in der Scheune des Klosters Heisterbach für ein Konzert tags darauf. Es wurde Lehár gegeben.
Heisterbach. Im Siebengebirge, irgendwo im Gebüsch oberhalb von Königswinter. Am besten zu erreichen über den puppigen Ort Oberknollen-, nee Oberdollendorf. Unten an der Straßenbahnstation und der Verkehrskreuzung etwas schäbig, weiter oben wie aus der Zeit gefallen. Die Anreise ist eine hübsche Kombination aus ÖPNV und eigenen Quadratlatschen. Kurz an der Bundeskunsthalle rausgehüpft und am versteckt liegenden Bundesgetränkeautomaten ein paar Cola-Flaschen gezogen. 1,10 €, wo gibt’s so was heute noch? In der Straßenbahnstation Ramersdorf (Umsteigen) kennen sich die Leute alle und unterhalten sich über die Gleise hinweg. Ziemlich heiß in den Zügen. Die Getränke in des Gatten Umhängetasche heizen sich auf. Warme Cola schmeckt wie Füße.
Zur Sache. Heisterbach. Ehemaliges Zisterzienserkloster. 1192-1803. Der berühmteste Mönch war der Chronist Caesarius von Heisterbach (Dialogus miraculorum). Die geistlichen Gebäude wurden um 1810 abgerissen, Funktionsgebäude blieben. Pittoreskes Torhaus. Stehen blieb auch der Chor der Abteikirche, der etwa ab 1820 beliebtes Objekt der romantischen Malerei wurde. Verständlich, wenn man ihn so sieht. Die eigene Anwesenheit wird fotografisch belegt. Das verschlafene Areal soll baulich aufgewertet werden (Landschaftspark usw.), weswegen Bauarbeiten im Gange sind. Es wird mit „Ruhe und Einkehr“ geworben, dennoch ist die Terrasse der Klosterschenke recht belebt. Alle sind erschöpft vom Wanderwegenetz, und es verlangt sie nach Ruhe und Einkehr. Aus der Scheune nebenan erklingt derweil piekfein der Lehár. Ein waghalsiges Kind fährt mit seinem Rad gegen eine Mauer und heult lautstark rum. Nie was gehört von Ruhe und Einkehr. Verhaltener Applaus von der Terrasse, denn der Knabe hat die ganze Zeit genervt, als er noch zwischen den Tischen herumkurvte.
Der Rückweg geht bergab, ist meistens leichter. Oberknollen-, nee Oberdollendorf zeigt sich immer noch in der Zeit erstarrt, nur die blöden Autos sind Anachronismen. Auf der Rückfahrt kackt der Straßenbahnzug ab, und die Fahrerin kündigt an, ihn in Wesseling austauschen zu lassen. Wir rechnen mit stundenlanger Verzögerung bei 32 Grad, aber die Sache geht so schnell vonstatten, dass man es kaum mitbekommt. Man sollte auch die vielgescholtene KVB mal loben dürfen.
Abonnieren
Posts (Atom)