Mittwoch, 15. Juni 2011

Greise

Dieses schicke Internet wurde langsam zu aufwendig für unsere greisen Medion-Laptops mit ihren Zipperlein. Alles so schön bunt und flackernd und laut und ressourcenfressend. Die Gattin laborierte an einem Laptop von annodunnemal, mein damals erster, den ich mit Aufklebern der Wipers und Weezer versehen hatte. Ein Punk-Laptop! Er blieb allerdings nicht jung und rastlos, sondern begann irgendwann bei der geringsten Web-Anstrengung zu stottern und dann – zack! – eine Notabschaltung durchzuführen. Das alternde Maschinchen wurde stetig kurzatmiger und erblickte die schöne neue Internetwelt eigentlich nur noch von ferne. Hippe Flash-Filmchen und Java-Gedöns verursachten bei ihm permanente Aussetzer. Eigentlich sympathisch, aber letztlich in einer durchoptimierten Welt doch suboptimal. Sein Lüfter hörte sich seit jeher an wie eine Airbus-Turbine beim Steigflug, klang aber nun im Alter wie eine Saturn-V. Und schön heiß wurde er. Man hätte sich an seinen Lüftungsschlitzen wahrscheinlich die Haare fönen können, wenn der dauerlüftende Greis nicht fünf Kilo wöge und vorm Spiegel daher etwas unhandlich ausfiele. Der Akku war schon lange hinüber, und der Greis musste zwangsläufig am Strom hängen. Ein paar Schräubchen waren ihm auch rausgefallen, so dass man beim Hochheben darauf achten musste, dass er nicht irgendwelche rätselhaften Einzelteile verlor. Nun ist die Gattin nicht so irre technologiebasiert und internetaffin, aber der Zustand wurde spätestens dann untragbar, als sie damit anfing, den alten Medion beim Erklimmen jedes kleinen Internet-Hügelchens anzufeuern. „Du schaffst das, Alter, du schaffst das! Oben kriegste eine Limo!“
Mein Laptop − ebenfalls ein Medion, etwas jünger und schlanker, aber paradoxerweise auch breiter − erfüllte im Prinzip weiterhin seine Pflichten, wurde aber um die Taille herum recht wabbelig, warf Falten, verlangte unlängst nach einem Rollator und bestand auf seinem Mittagsschlaf. Zzzzz. Und beim virtuellen Spazierengehen konnte er mit den hübschen jungen Notebooks und Netbooks, die um ihn herumsurften, schon lange nicht mehr konkurrieren und hustete sich einen. Vielleicht aus Notwendigkeit, vielleicht auch nur aus Verachtung für die Jugend. Mit dem Wackelkontakt, der bei gewissen Bildschirmstellungen selbigen schwarz wie die Nacht werden ließ, hatte ich zu leben gelernt. Ebenso mit der Tatsache, dass auch sein Akku den Weg alles Irdischen gegangen war und er daher so mobil war wie ein Grabstein. Neuerdings schien es auch an seiner Stromzufuhr einen Wackler zu geben, der ihn recht zittrig und flackerig machte, wenn der Bildschirm mal gerade nicht schwarz war. Und guten Gewissens auf Reisen konnte man mit beiden Maschinchen auch nicht mehr gehen, denn die Katze hatte beide Laptop-Taschen komplett zerrupft. Kein schöner Anblick, aber irgendwie Punk.
Ich hatte diese Medions damals gekauft, weil ein paar Kundenfang-Goodies inbegriffen waren: Laptop-Tasche, externe Maus (nie gebraucht), eine Tüte Gummibärchen, ein Hochglanz-Fotoalbum mit Nacktfotos aller Aldi-Kassiererinnen der Kette „Süd“. Und sie waren als Arbeitstiere auch gar nicht schlecht. (Die Laptops, nicht die Kassiererinnen, herrje.) Es wurden Hunderte, vermutlich sogar mehr als tausend Gutachten auf ihnen geschrieben, hundert Romanmanuskripte auf ihnen redigiert. Bücher wurden auf ihnen gemacht. Auf ihnen wurde Software erforscht, das Mp3-Phänomen ergründet, uralte Spiele gespielt, es wurden kistenweise Fotos bearbeitet, externe Geräte angeschlossen und erkundet. Sie wurden gepeitscht, angetrieben, wurden verflucht und mit garstigen und liebenswerten Dingen besprochen und gestreichelt. Sie waren die tapferen kleinen Begleiter der Nullerjahre. Schneller gealtert als man selbst, aber vielleicht ist das auch bloß Wunschdenken.
Jetzt heißt es allerdings „Goodbye, Medions“. Ab in die Kryo-Kammer, ihr Laptop-Greise. Träumt was Schönes-Virtuelles, erzählt euch da unten im Schrank gegenseitig von euren Zipperlein oder lest euch von mir aus ein paar redigierte Romanmanuskripte vor, wenn ihr welche findet, die was taugen. Entspannt euch, ihr habt es euch verdient. Die zwei neuen Samsungs sind bereits eingerichtet.

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