Sonntag, 13. Oktober 2013

Exiles

Und noch mal der Ex-King-Crimson-Geiger. Exiles von 1998 ist der Nachfolger von Testing to Destruction und noch mal ein Stückchen besser. Das Cover führt in die Irre, fordert es einen doch scheinbar dazu auf, die CD als Begleitmusik zur Ayurveda-Kur einzulegen. Tatsächlich aber sind weite Teile der Platte geflutet von wilder, ungezähmter Fusionsenergie und haben bei Entspannungssuchenden kontraproduktive Wirkung. Dem Himmel sei Dank. 
Ganz zu Anfang sieht es noch so aus, als behielte das Cover doch recht, denn der Titeltrack wird eingeleitet von einem sanften Tangerine-Dream-Rieseln, das einen offenbar schön in Stimmung zu bringen trachtet. Dann entspinnt sich jedoch auf einmal eine rockige Neuaufnahme eben jenes King-Crimson-Klassikers „Exiles“, am Mikro niemand anderes als der originale Sänger von damals: der warmherzige, zum Erzählen schier geborene John Wetton. 
„Tonk“ erweist sich als ruppiges Düstermann-Gipfeltreffen. Eine der rockigsten, schneidendsten Soundapokalypsen, die King Crimson nie eingespielt haben, mit Robert Fripp an der Apokalypto-Gitarre und Gastsänger Peter Hammill im Shouter-Modus. Der wahrscheinlich rabiateste Hammill-Auftritt außerhalb seines eigenen Oeuvres. „Slippy Slide“ platzt mir schnell als Lieblings-Track ins Gesicht, eine Fusionsgranate von entzückender Durchschlagskraft, die, schleudert man sie in einen Raum, garantiert keine Überlebenden zurücklässt. Mit diesem lebensechten Heavy-Punk-Jazzrock mischt man allzu gutbürgerliche Jazzfestivals auf. Da werfen selbst Bildungsbürger mit Klappstühlen. Das driftende „Cakes“ kommt dann als etwas überlange Erholung daher, eignet sich wegen seiner diffus-unbestimmten Bedrohlichkeit aber auch nicht recht zum Ayurveda. „This Is Your Life“, wiederum gesungen von John Wetton und mit einem Text von Peter Sinfield, ist eine leicht schief gewickelte Ballade im King-Crimson-Stil, pathetisch und anrührend. Der Titel des Stücks „Fast“ ist Programm: wieder eine dieser schwermetallisch nach vorne gerockten und mittels Jazz-Breaks mit sich selbst kollidierenden Soundorgien. „Troppo“, eine von Hammill gesungene Mixtur aus King Crimson und Van der Graaf, gefällt mir nicht durchgehend: zu lang, zu ambitioniert-zerfahren, zu sehr Siebziger. Das weit ausholende Schlussstück „Hero“ gerät allerdings erneut zu so einem Jazzfestival-Verblüffer, einem in zahllosen Farben schillernden Energiebündel, in dem Hardrock, Jazz, Avantgarde und diesmal sogar lieblicher Violinen-Folk verschmelzen.
Eine außergewöhnlich packende Platte, die mal zeigt, wie außerhalb von Genres wie Heavy Metal oder Punk die Urgewalten wirken.