Mittwoch, 30. Oktober 2013

Spacehawks

Allzu zu viel Revolutionäres sollte man nicht erwarten von diesem neuen, betont kostengünstigen Hawks-Album. Es dient der Unterstützung der ersten US-Tour seit einer halben Ewigkeit (die dann wegen Krankheit auf 2014 verschoben werden musste) und soll ein neugieriges oder indifferentes jüngeres Publikum an die aktuelle Inkarnation der Uralt-Band heranführen. Es ist eine durch Remixes und vereinzelte Neuaufnahmen veredelte Kompilation mit bekanntem, aber zum Teil neu interpretiertem Material und erinnert vom Charakter her absichtlich an die erste klassische Hawkwind-Kompilation Roadhawks von United Artists (1976). 
Der Mix aus Altem, Neuem und Upgedatetem erfreut den weltraumaffinen Genussmenschen durch Vielseitigkeit und die obligatorischen Teilchenkollisionen im Gattungsmischmasch. Das Einzige, was wirklich berechenbar bleibt, ist die permanente Anwesenheit von Zirpen, Zischen, Piepen sowie Soundwänden von barocker Pracht. Es geht trippy, dreamy und heavy zu auf Spacehawks. Und es gibt eine Neuerung in der Besetzung: Der seit einiger Zeit für Live-Auftritte engagierte Fred Reeves („Dead Fred“) stößt nun an Geige und Keyboards als vollständiges Bandmitglied zu Dave Brock, Richard Chadwick, Mr. Dibs, Tim Blake und Niall Hone hinzu. 
Der Opener „Seasons“ übte diese Funktion schon aus auf dem letzten Studioalbum Onward und wirkt im Remix wie ein Industrial-Klopper mit übergeworfenen Gitarren-Girlanden. Hawkwind als düstere, nahezu apokalyptische Rocker. Das folgende Triplet ist ein festes Live-Segment und erfährt hier in dieser Form eine erste Studio-Version: „Assault & Battery“ und „The Golden Void“ sind mit das Schönste, was Hawkwind je eingespielt haben, und man kann auch mit verkürzten Versionen nicht viel verkehrt machen. Die Varianten von 1990 gefallen mit persönlich jedoch besser. „Where Are They Now?“ wird live stets als kurzes Übergangsstück an „Void“ angefügt und ist hier erstmals überhaupt auf Platte zu hören: ein wunderbar einfacher, melancholischer Rocker mit Tendenz zur Ewigkeit. 
Die Versionen von „Sonic Attack“ sind zahllos. Manche ziehen den Sound eher nach hinten und betonen Moorcocks lustigen Text, andere trachten danach, das Versprechen, das der Titel abgibt, möglichst zu erfüllen: eine Lärmattacke selten gekannten Ausmaßes. Diese neue Inszenierung ist eine der infernalischsten und bedrohlichsten, klammert aber keineswegs die Ironie des Ganzen aus. Prachtvoll, wild und mittendrin richtig schwerer Heavy-Rock. Mit „Demented Man“ spielt Brock eine seiner schönsten und asketischsten Kompositionen neu ein als swingenden Melancholie-Rocker, allerdings im Mittelteil circa zwei Minuten zu lang. Weniger wäre mehr gewesen. Ähnlich verhält es sich mit „We Took the Wrong Step Years Ago“, dem Akustik-Space-Folker von 1971, dessen Neuaufnahme von Brocks jüngstem Soloalbum Looking for Love in the Lost Land of Dreams stammt. Entzückend die folkige Akustikgitarre und überhaupt die schwer melancholische Hippie-Vibration inmitten all der Space-Dröhnung. 
„We Two Are One“ ist eine verkürzte, neu gemischte Version des titellosen „Mystery Track“ am Ende von Onward, ein Poetry-Slam-Jam, mit schwerstem Powerrock nach vorne gezwiebelt. „Master of the Universe“ bietet die x-te Version, jedoch erstaunlicherweise erst die zweite offizielle Studioversion, denn alle anderen waren Live-Aufnahmen. In dieser nach hinten raus zunehmend heftiger werdenden Fassung wird dem verstorbenen Huw Lloyd-Langton Referenz erwiesen, der die Lead-Gitarre bediente – nicht mehr so wild wie früher, aber immer noch gut drauf. 
„Sacrosanct“ ist eines jener Brock’schen Laborexperimente mit zahllosen Synthie- und Sequencer-Schichten, sehr, sehr techno und ungefähr doppelt so lang, wie es sein müsste – so dass der Captain sich hinten mit nichts anderem zu helfen weiß als Spielereien mit simulierten Piano- und Vibraphon-Läufen. Fängt gut an, bleibt aber ziellos. 
Ich persönlich bin mittlerweile der Auffassung, dass „Sentinel“ (vom Album Blood of the Earth) die schönste Spacerock-Ballade ist, die es nur geben kann. Was vor allem im Refrain zuerst ein bisschen pathetisch wirken mag, ist tatsächlich allumfassende Melancholie angesichts eines tiefen schwarzen Weltalls und existentieller Einsamkeit. Purer Sense of Wonder. Außerdem gefallen mir Mr. Dibs’ Stimme und die kleinen Schlenker seiner Melodieführungen immer besser. „It’s All Lies“ von Stellar Variations mögen erstaunlich viele Fans, ich nicht so sehr: rockt schwer ab, ist aber zu banal gestrickt. Das nächste Triplet besteht aus kurzen Soundschnipseln, mal jazzig, dann ruppig-tribalistisch und elegisch. Sie wirken wie aus dem Ärmel geschüttelt, sind aber inszeniert. 
Ganz, ganz wunderbar und traurig der Abschluss: „Sunship“. Bisher nur erhältlich als Bonustrack der Vinylausgabe von Blood of the Earth, nun also auch verfügbar für die CD-Player dieses galaktischen Spiralarms. Ein Zweiminüter, mehr nicht, der aber ein ganzes Universum öffnet. 
Das Wort „Melancholie“ fiel hier des Öfteren, und das war Absicht. Auffällig an der Songauswahl von Spacehawks ist neben den typischen Dröhnorgien nämlich die Hinwendung zu ruhigeren, epischen und seltsam traurigen, fast demütigen Songs. Vielleicht ist das dem Alter geschuldet, womöglich auch nur der wiederentdeckten Freude an der schönen Halb-Ballade.
Ein hübscher Mix für den Weltraumwanderer.