Freitag, 12. September 2008

In der Stadt

Heute bin ich noch mal in die Stadt gefahren, aus keinem besonderen Grund, sondern nur wegen der Zerstreuung. Ich wäre jedoch vor den Toren beinahe wieder umgekehrt, denn der obligatorische Stau war besonders lang und hartnäckig. Wenn diese unheilige Allianz von Stadtverwaltung und Einzelhandel nicht in der Lage ist, für fließenden Verkehr zu sorgen, dann hat sie weder meine Parkgroschen noch meine Einkäufe verdient. Aber irgendetwas im Kleinhirn quengelt: „Halt durch, du Lusche, da unten wartet ein Kabeljaufilet auf dich!“
Okay, überredet. Dumpfes Vor-sich-hin-Starren und Auto meterweise rollen lassen.
Das Erste, was es in der Innenstadt wahrzunehmen gibt, ist der schrecklichste Straßenmusiker der Welt. Ich stehe gerade am Geldautomaten und denke, das Gerät sei irgendwie defekt, bis ich bemerke, dass das Gewinsel nicht von der Mechanik stammt, sondern von diesem Typen einige Meter weiter. Ein zahnloser Hutzel-Opa mit Klampfe und einer Haut, die wirkt, als sei er auf ihr einen Felshang in den Abruzzen runtergerutscht. Er klimpert und singt auf eine Art Experimentalitalienisch gezielt vorbeiflanierende Damen mittleren Alters an. Könnte auch Bulgarisch sein. Der Flirtfaktor eines Eros Ramazotti nach der Entsaftung. In München hätte man den längst in der Gummizelle verschwinden lassen, aber das hiesige Ordnungsamt ist definitiv zu liberal.
Später im Kaufhof geselle ich mich noch zu dieser Menschentraube hinzu. Folgendes war passiert: Ein junger Mann kommt die Rolltreppe runter, schreitet zwischen den Sicherheitsscannern durch, und es piept und blinkt. Der junge Mann bemerkt das gar nicht, sondern geht mit seinem Begleiter plaudernd einfach weiter. Es hält ihn auch niemand von den netten Herren in Blau auf, die haben gerade Mittagspause. Nun blicken gleichzeitig etwa ein Dutzend Kunden, die gerade nahebei am Stöbern waren, alarmiert auf und nähern sich dem blinkenden und piependen Scanner und beobachten ihn fasziniert beim Piepen und Blinken. Weitere Interessierte stoßen dazu, um diese Erfahrung zu teilen. Ich stelle mich einfach auch mal daneben und gucke mit. Das kleine Mädchen vor mir quiekt sogar, lacht ziemlich entfesselt und versteift sich ganz merkwürdig. Ich bekomme es mit der Angst zu tun, gehe schnell weiter und höre auf Höhe der Bücherabteilung die Durchsage: „Die kleine Persephone möchte von ihrer Mama am piependen und blinkenden Scanner abgeholt werden. Sie hatte eine mystische Erfahrung und hat sich ins Höschen gepieselt.“
An der Takeaway-Theke des Fischrestaurants ist ein älterer Herr vor mir, der gerade seine Fish and Chips über die Theke gereicht bekommt und nach Plastikbesteck in den bereitgestellten Schalen wühlt. Was er jedoch herauszieht, ist ein blutiges Skalpell und so eine Art kleines gynäkologisches Instrument. Im Idiom der Einheimischen ruft er, frei übersetzt: „Habt ihr hier kein anständiges Besteck?“ Die Küchenhilfe zieht das Messer aus dem Rücken ihres Kollegen, der kopfüber halb in der Friteuse hängt, und reicht ihm das. Dabei gerät sie in der Blutpfütze auf dem Boden ins Rutschen und muss aufpassen, sich nicht flachzulegen und komplett einzusauen.
Ich gehe dann mal wieder ohne Bestellung. Auf dem Rückweg zum Auto muss ich noch mal an dem Straßenmusiker vorbei. Er liegt dort, stranguliert mit einer Gitarrensaite, und die Zunge hängt ihm blau aus dem Mund. Außerdem hat eine unbekannte Dame ihm mit massig Lippenstift einen Kuss auf die grobporige Wange gedrückt.
Der Stau stadtauswärts ist dann nicht mehr so wild, weil offenbar einige arabische Studenten aus dem Studentenwohnheim heraus mit Bazookas auf die stehenden Autos geschossen und sie pulverisiert haben, bevor ein SEK wiederum sie pulverisiert hat. Soll mir recht sein, ich fahre ein bisschen Slalom um Autowracks und Trümmer des ausgebrannten Studentenwohnheims herum und habe freie Fahrt nach Hause.

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