Den Nachmittag wollte ich eigentlich mit Arbeiten verbringen, werde aber ständig abgelenkt. Hauptsächlich von den Blumenkästen, die am Fenster vorbeirauschen und unten in der Auffahrt zerschellen. Nicht unsere Blumenkästen, wir haben gar keine, sondern die von dem Typen weiter oben, dessen Balkon über unserer Fensterfront liegt. Er hat den Sturm unterschätzt oder nicht daran gedacht, seine winterharte botanische Sammlung von der Brüstung zu nehmen. Jetzt liegt sie kläglich in der Auffahrt. Wir haben in den eigenen vier Wänden das Anschwellen der Böen mitbekommen und wurden immer zuverlässiger darin, vorherzusagen, wann der nächste Kübel kommt. Zuerst, bei leichteren Böen, flogen die hölzernen Kästen, die beim Aufprall ein volltönendes KNACK! verursachten. Die heftigeren Windstöße räumen jetzt das Terracotta-Zeug ab und haben ein dumpfes KABAUTZ! zur Folge. Seriöses Arbeiten ist unter diesem Bombardement nicht möglich.
Sonntag, 28. Februar 2010
Samstag, 20. Februar 2010
Alien 4
Das 95er-Album ist ebenfalls neu aufgelegt worden. War lange Zeit vergriffen und nur unter finanziellen Mühen zu beschaffen. Für mich erübrigt sich der Kauf, denn es gibt nur einen uninteressanten Bonustrack zusätzlich, und die Soundqualität des Originals war stets gut genug für meine Ohren.
Es war Mitte der Neunziger eine erstaunlich vitale Rückkehr zum Rockig-Punkrockigen, nachdem alles in den Jahren zuvor doch etwas arg technoid geraten war. Ganz kritische Fans bezeichnen Alien 4 als letzte brauchbare Studioplatte der Hawks. Stellenweise mächtig heavy, und mit Ron Tree bot das Album einen extrovertierten Sänger und Performer auf, der sich die Calvert-Ära in der zweiten Siebzigerhälfte zum Vorbild nahm. Unter anderem wurde das punkige „Death Trap“ neu aufgenommen, und der Track „Are You Losing Your Mind?“ ist eine Variante des 77er-Instrumentals „The Iron Dream“, diesmal mit hysterischem Gesang. Kaum wiederzuerkennen. Der Sound klingt voller als damals, tausend Techno-Spielarten waren über die Pop-Musik hinweggebrettert, und durch die notwendig gewordene Klangmodernisierung hörten sich die Hawks auf dieser Platte manches Mal nach Industrial oder Drum’n’Bass an. Auch die frühere Phase um A Space Ritual (1972/73) herum scheint einzufließen und jenen undefinierbaren Psycho-Stampf-Sound, den Fans „Blanga“ nennen, mit dem neuen Studio-Outfit zu verzahnen. Einiges auf Alien 4 ist Füllmaterial und darf getrost übersprungen werden, aber auf Beiträge wie „Sputnik Stan“, „Kapal“, „Blue Skin“, „Xenomorph“ oder das neue „Death Trap“ kann nicht verzichtet werden. Inhaltlich geht es um UFO-Entführungen und eine längst zur Pose erstarrte „Beam Me Up“-Poetik, mit einigen ewig gültigen Warnhinweisen vor Dystopia, die noch aus den frühen 80ern übrig geblieben waren.
Das aus diesem Studioalbum gewonnene Live-Material erschien 1996 auf dem großzügigen Album Love in Space, das bereits vor einiger Zeit von Cherry Red Records neu aufgelegt wurde.
Freitag, 19. Februar 2010
Sonic Attack
Habe viel Zeit verbracht damals im Musikhaus Reisser. Als es da allen Ernstes noch Rock-Platten gab und nicht nur Klassik. Habe einiges an Schätzen weggetragen, u. a. auch diese Platte.
Sie wurde soeben neu aufgelegt bei Cherry Red Records als Doppel-CD mit einem Haufen Bonusmaterial.
Das umstrittene Album von 1981. Die Band ist zum Quartett geschrumpft, auf einen Keyboarder wird verzichtet, die Effektmaschinen übernehmen Gitarrist und Bassist. Am Schlagzeug wurde der inspirierte, aber wirre Ginger Baker ersetzt durch den grundsoliden Martin Griffin, der bereits 1978 bei den Hawklords trommelte. Die Dinge verzögerten sich danach etwas, als Griffin mit Röteln flachlag.
Sonic Attack erscheint vielen zu blank produziert und zu gesichtslos im Kontext seiner Heavy-Metal-Epoche, aber ich fürchte, genau das war der Gedanke dahinter. Die Hawks waren nun bei RCA und damit pro forma endgültig ein Major-Act, den die Firma gegen Iron Maiden, Judas Priest, Saxon etc. in Stellung bringen wollte: Die Hawks waren „Monsters of Rock“. Das Cover zeigt es schon ziemlich deutlich, genauso wie der scharfkantige, blitzige Früh-80er-Schriftzug der Band: Es wird metallisch.
Angesichts dieser Anforderungen ist es schon erstaunlich, wie individualistisch Sonic Attack letztlich doch geriet. Hochtechnisierter Dystopie-Metal mit starker Moorcock-Teilhabe und viel Lead Guitar, frei von übermäßiger Kraftmeierei oder gar eierabquetschendem Pathos, zwischen Rock-Drive und technokratischer Studiokulisse angesiedelt, voll von eben erst abgestaubten, blitzenden SF-Requisiten. Thematisch haben wir es zu tun mit Früh-80er-Protesten, mit der Warnung vorm Überwachungsstaat, der politischen und medialen Manipulationsmaschinerie sowie dem Missbrauch von Sprache. Wir befinden uns am Beginn der Thatcher-Ära, und die Hawks verstanden sich durchaus als eine politische Band.
Einige der Songs geraten banal und werden lediglich durch das Effektgewitter aufgemotzt. Dafür sind Sachen wie „Rocky Paths“ oder „Psychosonia“ (und auch der Übergang zwischen beiden) erste Sahne. Genauso wie der ewige Favorit „Angels of Death“, ohne den kein Hawks-Fan leben könnte.
Moorcocks konkreter musikalischer Anteil, der Gesang auf „Coded Languages“, bleibt Episode. Ich mochte den Song nie wirklich, aber er lohnt eine Wiederentdeckung. Eine völlig eigenartige Hybridform, die Hardrock/Metal mit Wave zu verbinden scheint, während der Herr Genius seinen rant hardrockig herausdrückt: Their words are weapons of their will, their words can hurt, their words can kill.
Auch die Bonustracks mit ihrem abgespeckten Demo-Charakter belegen, dass hier Strömungen der Epoche nahezu experimentell nebeneinander existieren durften, ehe sie auf dem eigentlichen Album zusammengeschüttet wurden. Pop, Metal, Melodic, Psycho, Wave, Post-Punk.
Eigenartiger Bastard von Platte. New Wave of British Heavy Metal, aber doch mal wieder völlig anders als der Rest.
Sonntag, 14. Februar 2010
Valentinstag
Heute wurde der heilige Valentin geköpft. Frau kriegt Hörbuch, ich kriege Dinosaurier. Super.
Clown-Album
Es vergingen sieben stumme Jahre zwischen Democracy und diesem unbetitelten Album, das unter Fans „das Clown-Album“ heißt. Erschien 2003, in der Anfangsphase des Irak-Kriegs. Kaum bis gar keine Spiritualität und Schwurbelei, sondern die Wiederkunft des Polit-Rock quasi aus dem Nichts. Faustdicke Überraschung, andererseits aber auch irgendwie wieder nicht. Was soll man von einem Schreihals wie Coleman sonst erwarten? Mächtige politische Gegner erfordern heftige Gegenmaßnahmen.
„The Death and Resurrection Show“ ist eine Begräbniszeremonie für Lady Liberty und vielleicht eines der besten Stücke über die USA der Bush-jr.-Ära überhaupt, „Total Invasion“ pinkelt der Irak-Camarilla kräftig ans Bein, aber auch andere Themen werden beackert. Gläserner Bürger oder Gen-Industrie. Apokalyptische Bildwelten gibt es ebenso, Forderungen nach Katharsis und Reinigung eines Schlamassels, den die Fundamentalisten und ihre ökonomischen und militärischen Erfüllungsgehilfen angerichtet haben. Coleman schlüpft mit einigem Lustgewinn wieder in die Luzifer-Rolle und schlägt z.B. auf „Asteroid“ den fundamentalistischen, mystische Texte wörtlich lesenden Feind mit den eigenen Waffen. Nahezu kongenial. Unglaublich, dass so ein Typ zeitweise „composer in residence“ der EU gewesen sein soll. Diplomatisch absolut nicht vorzeigbar. Das Clown-Album langt kräftig hin und führte auch dazu, dass nach der langen Pause eine ganz neu herangewachsene Generation die Band entdeckte und nicht wenig baff war angesichts eines Albums, bei dem man die Zähne zusammenbeißen muss, um es zu überstehen. Richtig heavy, dazu astrein produziert, monströs, leidenschaftlich, voller Verachtung. Am Schlagzeug sitzt Dave Grohl, und er schafft es, ebenso wummernd wie filigran zu klingen.
Donnerstag, 11. Februar 2010
Outside The Gate
Ein Problemalbum, das 1988 kaum jemanden interessierte und das in den Musikgazetten bestenfalls unter „ferner liefen“ besprochen wurde. Und das nicht sehr positiv. Outside The Gate geriet zum reinen Pop-Album. Die Band existierte da im Grunde schon nicht mehr, und die Platte war gedacht als Solo-Ambition Jaz Colemans (mit Unterstützung von Gitarrist Geordie Walker), aber die Plattenfirma machte daraus kurzerhand ein Killing Joke-Album. Hauptsächlich deshalb, weil die Produktionskosten das Budget weit überschritten hatten und eine Publikation unter dem legendären Bandnamen profitabler erschien. Schlimmer noch: Während dieser Aufnahmen wurde Drummer Paul Ferguson, einer der Bandgründer und ein echter Wonneproppen am Schlagwerk, herausgekegelt. Unverzeihlich. 2008 dann, über dem Grab von Bassist Paul Raven, versöhnte er sich mit Coleman und ist seitdem wieder Teil der Crew.
Die Kritiker sahen jedenfalls 1988 ihre Voraussagen, die schon einige Jahre alt waren, bestätigt: KJ hatten sich endgültig in Beliebigkeit aufgelöst. Coleman und Walker hatten den Pop von Brighter Than … inzwischen komplett verinnerlicht, die letzten verbliebenen Sound-Scharten weggewetzt und sich dem Pop-Elysium hingegeben. Keyboards und noch mal Keyboards, unterstützt von einer disziplinierten Allerweltsgitarre, einem hochästhetischen Gesang und einer Melodiefreundlichkeit wie nie zuvor. Die Rekonstruktion der Dekonstruktion.
Der Rap auf „Stay One Jump Ahead“ ist zugegebenermaßen misslungen, aber ansonsten gefallen mir weite Teile des Albums bis heute. Es ist eben einfach nur anders, bevorzugt das Arrangement gegenüber dem Groove, gefällt sich in orchestralen Gesten, gebärdet sich „global“, als noch keiner das Wort benutzte, und macht hier und da hübsch auf Ethno, hauptsächlich australisch, arabisch und indiomäßig. „America“ ist gleißender Poprock und hätte das Kunststück vollbringen können, ironisch-entspannten Anti-Amerikanismus relativ hoch in den Charts des Jahres 1988 zu platzieren. Na ja, das Kunststück gelang nicht. Andernorts feiert Coleman erneut die Landschaft, diesmal die seines Heimatlandes: Der Titel „My Love Of This Land“ ist ernst gemeint. Ein bisschen Global-Pop hier, ein Psycho-Epos da, und mittendrin, halbwegs unauffällig, mein schillernder kleiner Lieblings-Song dieser Platte, „Tiahuanaco“ – wieder eines dieser Coleman’schen Erweckungserlebnisse, diesmal in melchanolischem Pop-Outfit. Sein Gesang war nie schöner als hier. Dementsprechend findet man auch heute noch einige Hörer, die der Meinung sind, die Band hätte genau so weitermachen sollen. So verdammt widersprüchlich kann Rezeption sein.
Mittwoch, 10. Februar 2010
Brighter Than A Thousand Suns
Die 80er waren die Ära der Maxi-Singles. Extended Mix, Dancefloor Mix, Tralala-Mix, Blödmann-Mix. Bei KJ ging das schon mit Night Time los, verschärfte sich aber mit Brighter Than A Thousand Suns. Das Album an sich ist vielleicht gar nicht so sehr das Problem, als vielmehr die ständigen Mixe der gewinnträchtigsten Stücke, die allesamt mächtig auf Indie-Disco gebürstet waren und mit einigen funky Tongenieursideen sogar in den Popper-Tanzschuppen wildern wollten. Und dann diese steif technoiden, maschinellen, schnell alternden Pop-Rhythmen. Igitt. Mit den Ursprüngen dieser Band hatte das tatsächlich nicht mehr viel zu tun, und manche Argumente derjenigen, die die Phase um 1986 aus diesem Grund verachten, kann man verstehen. Das Album selbst jedoch bietet einfach einen neuen Zugang: Es ist kristalliner und komplexer, schwelgerischer und epischer als früher, im Grunde auch aufgeräumter. Es hat einige nicht unbedeutende Stücke von enormer Schönheit und mächtigem Groove aufzubieten („Adorations“, „Chessboards“) und mit „Rubicon“ einen Song, der zwischen Night Time und der früheren Phase zu oszillieren scheint – und mit seiner raueren Art beinahe nicht auf dieses Album passt. „A Southern Sky“ ist schlichtweg Pop-Idyll und kündet einfach mal l’art-pour-l’art-mäßig von der Schönheit karibischer oder mikronesischer Landschaften. Colemans Gesang hat sich zu Neo-New-Romantic herausgebildet und gerät nur auf „Rubicon“ leicht aus den Fugen. Die Porträtfotos der Bandmitglieder, die je eine Seite des Klappcovers einnehmen, zeigen keine Punk-Rotze mehr, sondern schwarzweiße Charakterköpfe mit ordentlichen Frisuren. Man kann davon ausgehen, dass die Körper darunter in durchaus stylishe Kleidung gewandet sind. Auf der Hülle findet sich jedoch auch ein Aleister-Crowley-Zitat, eine Art mikroskopisches Lehrdrama, welches das Universum als umfassenden Witz bezeichnet und die bemitleidet, die darüber nicht lachen können. Das drückt dem geschmeidigen Dark Wave ein philosophisches Programm auf, das gewisser interpretatorischer Anstrengungen bedarf. Diskurse über Revolution, Evolution, Zivilisation versus Stammesdenken. Betritt der Mensch erst die Bühne, oder macht er schon wieder den Abgang? Etwa mithilfe seiner Wissenschaft, die heller strahlt als tausend Sonnen?
Donnerstag, 4. Februar 2010
Night Time
Selbstverständlich mein erstes KJ-Album damals. Von 1985. Mit etwas Verspätung gekauft, etwa 87. Und mit leichten Berührungsängsten wegen des damals noch auf allen Kanälen präsenten Single-Hits „Love Like Blood“ und einiger verächtlicher Stimmen seitens der Puristen, die einer der heftigsten Post-Punk-Bands der wilden Ära um 1980 Verrat am hehren Ideal des Undergrounds vorwarfen und halbwegs panisch „Yuppie-Disco!“ schrien.
Ich entsinne mich aber auch noch an eine Plattenkritik zum Vorgängeralbum Fire Dances, die diese – sinngemäß – bekloppten Feuertänzer, disharmonischen Schrammelbrüder und Trommelfetischisten in die isländische Einöde verbannt wissen wollte. Derselbe Kritiker hat ein Jahr später Night Time vermutlich hysterisch gefeiert. Es ist Zeugnis einer Evolution. Der rohe, tribalistische, postmodernistische Proto-Industrial wird geschmeidig eingeölt und flutscht bekömmlicher durchs Ohr. Mehr Studiotechnik, mehr Hall, mehr Keyboards, mehr Spielerei, mehr Wave, mehr Groove, edleres Outfit, gezähmte Frisuren, vermutlich sogar neues Rasierwasser. Was anachronistisch oder zumindest langweilig zu werden drohte, wurde auf die Höhe der Zeit gehoben. Tanzmusik, die einem ihre dunkel schillernden Botschaften hundsgemein ins Unterbewusste pflanzt. Der hämmernde Song „Eighties“ wird heute noch gerne von TV-Dokus herangezogen, um irgendetwas inzwischen historisch Gewordenes musikalisch zu untermalen. Hat vermutlich damit zu tun, dass Musikuntermaler beim Fernsehen in ihre Datenbanken das Stichwort „Achtziger/Eighties“ eingeben und das System ihnen diesen Song ausspuckt. Viel signifikanter für Coleman-Luzifers geheimnisvolle Weltsicht ist jedoch der unterschätzte Track „Darkness Before Dawn“, seit jeher mein Lieblingsstück dieser Platte, die weit über ihre Epoche hinausreicht und nichts, rein gar nichtsvon ihrer ästhetischen Relevanz eingebüßt hat.
Extremities, Dirt And Various Repressed Emotions
Dieses Album kam 1990 ziemlich überraschend. Die Band galt nämlich als tot. Ab 1985 konnte man verfolgen, wie sie sich aus ihren raubeinigen, experimentellen Anfängen schrittweise in eine philosophische Pop-Band verwandelte, die die Indie-Discos bediente. Live nach wie vor robust, waren die Tonträger jedoch geprägt von einem stärkeren Interesse an Pop-Ästhetik, Keyboardteppichen und Geschmeidigkeit.
Extremities, Dirt And Various Repressed Emotions erschien nach zweijähriger Pause als Doppelalbum, und sowohl der Titel wie auch das bedrohliche Cover mit den aufgerissenen Augen sollten einem Warnung genug sein. Was hier geschieht, ist eine absolut konsequente Neuorientierung auf der Basis des bislang Geleisteten. Es kommt zu einer Modernisierung des ruppigen frühen Stils, verschmolzen allerdings mit den Erkenntnissen, die die poppigen Mitt- und Spätachtziger geliefert hatten. Es gibt Schönheit und Elysium, Verschnaufareale und Keyboardschwemme, und es gibt nach vorne geprügelte Kampfansagen, Punk, Zorn, explizit gemachten Hass und den obligatorischen verächtlichen Hustenanfall. Es geht dunkel und resignativ zu, kein freundlicher Einstieg in die Neunziger. Auf Promo-Fotos posierte die Band schreiend und eingewickelt in Klarsichtfolie. „Age of Greed“ geht heute noch genau so durch wie damals, „Inside The Termite Mound“ darf ohnehin als ewig gültige Metapher betrachtet werden, während in „Slipstream“ die mystische Kraft von Kindheit und Erinnerung beschworen wird, ein erstes Lebensfazit, auf das man sich in wirren Zeiten stets verlassen kann. Das ganze Album ist eine ebenso persönliche wie politische Gegenwartsanalyse, eine Abrechnung zudem mit den 80ern, dem Yuppietum, aber auch dem Verrat an Idealen – womöglich sogar angespornt von Selbstkritik. „Stimmt, wir waren zu poppig und zu kommerziell“, scheint das Album den reaktivierten Fans mitzuteilen, „aber nicht alles, was ihr damals nicht gemocht habt, war schlecht. Hört euch doch mal dieses Fazit an.“ Das haben wir gerne getan, und heute zeigt sich, dass Extremities … von zeitlosem Wert ist. Nach diesem Kraftakt stellte sich die Band allerdings wieder für vier Jahre tot.
Mittwoch, 3. Februar 2010
Brrr
Ich war noch nie so froh, dass sich nach der Hälfte der Laufzeit die Leih-DVD als defekt erwies, anfing zu ruckeln, im Laufwerk herumzuschleudern und ganze Passagen zu überspringen. G.I. Joe, ein Film für Filmhasser. Der schlechteste Regisseur der Welt wiederholt strukturell seinen allerschlechtesten Film, Van Helsing nämlich, diesmal mit viereckigen Soldatentypen statt mit ollen Monstern. Ein dreijähriger Drehbuchautor aus einem Geschlecht von wahnsinnig gewordenen Dadaisten, Produzenten, die noch Windeln tragen, Schauspieler mit der Ausstrahlung von Wäschetonnen, Effektspezialisten, die von all den Pizzas und Nachos dreihundert Kilo wiegen und so kleine Pimmel besitzen, dass Sex nur mit dem USB-Anschluss ihrer Computer möglich ist.
Herrje, ist das eklig.
Dienstag, 2. Februar 2010
Hosannas From The Basements Of Hell
Dieses 2006er-Album von Großfürst Luzifer und seiner Marschkapelle fand ich beim ersten Hören nahezu abstoßend. Zu hart für meiner Mutter Sohn. Beim zweiten Hören begann es mich zu interessieren, beim zehnten glaubte ich es als das verstanden zu haben, was es mutmaßlich sein könnte: ein von irgendeinem Prager Renaissance-Alchemisten versehentlich aus dem Abgrund hervorgerülpstes, zeitverlangsamtes Dämonenungeheuer mit monolithischen Qualitäten, auf dessen schwarzem Chitinpanzer verzweifelte Hilferufe der Verdammten eingeritzt sind. Und es hat unsere Welt betreten! Vielleicht ist das Album aber auch nur die Fortsetzung des Art/Progressive Rock mit anderen Mitteln. Um nicht zu sagen: mit gänzlich anderen Mitteln. Bleischwere, symphonische Sound-Schichten, die von nichts anderem künden als einer umfassenden Skepsis gegenüber den Befindlichkeiten der Welt („all lies!“) und die stattdessen lieber die persönliche Bindung, die Liebe und das Sentiment hymnisch feiern. Ausgestattet mit einer erzählerischen Klammer, die das Motiv des „Stamms“ (tribe) einkreist. Am Ende steht Dankbarkeit („Gratitude“), was einen nach diesem offenbarungstechnischen, apokalyptischen Output keinesfalls überraschen sollte. Barock, repetetiv, okkultistisch, wunderlich, autistisch, ästhetisch. Schwammige Produktion ohne Studio-Wichsereien, stoische Riffs mit minimalen Variationen, aber maximaler Lautstärke. Die Loops und die Rhythmen reichen bis zum Horizont und weiter. Hosannas from … ist das Rosenkranzgebet von Luzifer und seiner Marschkapelle: mit weniger als fünfzigtausend Wiederholungen lassen sie das Riff nicht sterben. Der Hörer hat schon auf halbem Weg dorthin auf der Innenseite der geschlossenen Augenlider Gott geschaut. Der Rest ist Zugabe.
Der Titel ist etwas arg plakativ, das neo-surrealistische Cover hauptsächlich nett, der runde Silberling selbst, auf dem die Prager astronomische Uhr abgebildet ist, hingegen eine Augenweide. Man möchte ihn in die Hand nehmen, eine Zeitlang betrachten und darüber streichen, um ihn schließlich in den Player zu schieben. Mit den usbekischen Streichern und den libanesischen Perkussionisten gilt „Invocation“ vielen als das beste Stück des Albums. Ich persönlich bevorzuge das programmatische „The Lightbringer“, das einem den Zorn über all die Klugscheißer und Manipulatoren mit der Dampframme einhämmert. Ich fröne zwar im Allgemeinen eher der weltanschaulichen Gelassenheit, aber auch mich steckt dieser altsumerische Zornesrotz an, bis mir Schaum vorm Maul steht. Danach geht’s einem eindeutig besser.
Hier ein für Mister Coleman relativ luzides Interview zur Platte. Der Mann hat sich auch schon wirrer geäußert.
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