Dienstag, 2. Februar 2010

Hosannas From The Basements Of Hell

Dieses 2006er-Album von Großfürst Luzifer und seiner Marschkapelle fand ich beim ersten Hören nahezu abstoßend. Zu hart für meiner Mutter Sohn. Beim zweiten Hören begann es mich zu interessieren, beim zehnten glaubte ich es als das verstanden zu haben, was es mutmaßlich sein könnte: ein von irgendeinem Prager Renaissance-Alchemisten versehentlich aus dem Abgrund hervorgerülpstes, zeitverlangsamtes Dämonenungeheuer mit monolithischen Qualitäten, auf dessen schwarzem Chitinpanzer verzweifelte Hilferufe der Verdammten eingeritzt sind. Und es hat unsere Welt betreten! Vielleicht ist das Album aber auch nur die Fortsetzung des Art/Progressive Rock mit anderen Mitteln. Um nicht zu sagen: mit gänzlich anderen Mitteln. Bleischwere, symphonische Sound-Schichten, die von nichts anderem künden als einer umfassenden Skepsis gegenüber den Befindlichkeiten der Welt („all lies!“) und die stattdessen lieber die persönliche Bindung, die Liebe und das Sentiment hymnisch feiern. Ausgestattet mit einer erzählerischen Klammer, die das Motiv des „Stamms“ (tribe) einkreist. Am Ende steht Dankbarkeit („Gratitude“), was einen nach diesem offenbarungstechnischen, apokalyptischen Output keinesfalls überraschen sollte. Barock, repetetiv, okkultistisch, wunderlich, autistisch, ästhetisch. Schwammige Produktion ohne Studio-Wichsereien, stoische Riffs mit minimalen Variationen, aber maximaler Lautstärke. Die Loops und die Rhythmen reichen bis zum Horizont und weiter. Hosannas from … ist das Rosenkranzgebet von Luzifer und seiner Marschkapelle: mit weniger als fünfzigtausend Wiederholungen lassen sie das Riff nicht sterben. Der Hörer hat schon auf halbem Weg dorthin auf der Innenseite der geschlossenen Augenlider Gott geschaut. Der Rest ist Zugabe.
Der Titel ist etwas arg plakativ, das neo-surrealistische Cover hauptsächlich nett, der runde Silberling selbst, auf dem die Prager astronomische Uhr abgebildet ist, hingegen eine Augenweide. Man möchte ihn in die Hand nehmen, eine Zeitlang betrachten und darüber streichen, um ihn schließlich in den Player zu schieben. Mit den usbekischen Streichern und den libanesischen Perkussionisten gilt „Invocation“ vielen als das beste Stück des Albums. Ich persönlich bevorzuge das programmatische „The Lightbringer“, das einem den Zorn über all die Klugscheißer und Manipulatoren mit der Dampframme einhämmert. Ich fröne zwar im Allgemeinen eher der weltanschaulichen Gelassenheit, aber auch mich steckt dieser altsumerische Zornesrotz an, bis mir Schaum vorm Maul steht. Danach geht’s einem eindeutig besser.
Hier ein für Mister Coleman relativ luzides Interview zur Platte. Der Mann hat sich auch schon wirrer geäußert.