Dienstag, 30. März 2010

Weltuntergang

21.12. 2012: Die Welt geht unter, aber Angela Merkel überlebt.
2012 ist hübsch anzusehende Weltuntergangspornographie von nie zuvor erlebtem Detailreichtum. Bei Pornos fragt ja auch niemand nach schlüssiger Handlung, das sollte man hier ebenso wenig tun. Es bringt im Fall von Roland Emmerich ohnehin nichts, der Typ macht sowieso immer weiter und findet genügend Männer mit Zigarren – heutzutage vielleicht eher Investmentfonds – die ihm die Kohle für seine Projekte zustecken.
Emmerich ist jedoch im Prinzip kein Pornograph, kein Zyniker und auch kein bewusst agierender Publikumsabzocker, dafür drängen Story und Handlung von 2012 zu sehr danach, ein Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren und Ereignissen zu knüpfen, eine Interaktion untereinander und mit der Katastrophe in Gang zu bringen, und jede Figur einer moralischen Abrundung zustreben zu lassen, im Guten wie im Schlechten. 2012 will tragischerweise auch erzählen, und der Autor/Regisseur leidet offenbar immer noch daran, nicht Spielberg zu sein. Und diese Traumatherapie geht in ihrem verzweifelten Bemühen so unglaublich nach hinten los, scheitert so eklatant und erbärmlich zugleich, ist so unsensibel und grobklotzig zusammengezimmert, dass man mit Roland Emmerich im Grunde nur noch Mitleid empfinden kann. Der Science-Fiction-Bubi, der auf Teufel komm raus Geschichten erzählen will, es aber gar nicht kann.
Der Film lohnt sich wegen der spielerischen Kaputtmachszenen, die die Software-Ingenieure gestemmt haben, der Rest ist Scheitern, über das man verständnislos den Kopf schütteln oder lauthals lachen kann.

Mittwoch, 24. März 2010

Die zyklische Rückkehr des Großen Mysteriums

Jüngstes Ergebnis der täglichen Selbstbeobachtung: Es deutet sich in diesem Haushalt offenbar eine neue Wipers-Phase an. Eine bereits bekannte zyklische Entwicklung: Einmal im Jahr die sorgsam gehüteten CDs ausgraben und mit höchster Lautstärkestufe loslegen. Nicht langsam anfangen und sich dann dynamisch hocharbeiten, sondern gleich in medias res bei vollem Volumen. Es hat womöglich etwas mit dem beginnenden Frühling und der Ausschüttung von Gute-Laune-Hormonen zu tun, obwohl die Wipers gemeinhin als Herbstband aufgefasst werden, die die Schlechte-Laune-Hormone bedient. Aber das ist höchst relativ. Die Blümlein sprießen, die Eichhörnchen pimpern, und Greg Sage erkundet mit seiner Gitarre das Große Mysterium. Stockdunkel und gleißend hell in ein und demselben Moment.
Als Favoriten dieser Saison deuten sich an: „Ready Or Not“ vom Sage-Solo-Album Sacrifice (For Love) von 1991, ein robuster Rocker, sowie „Just A Dream Away“ vom unglaublichen Album Land of the Lost (1985), das etwa so klingt, als hätte Mark Knopfler sich während einer Studiosession mit dem nackten Hintern auf einen Elektroschocker gesetzt und Gefallen daran gefunden. Die rücksichtsloseste, schönste Gitarre aller Zeiten.
Rechts, beim Inklusorium-Soundtrack, wurde „Any Time You Find“ von 1987 installiert. Einer jener Momente, in denen das Universum lauschend in seiner Ausdehnung verharrt und sagt: „Mannomann, dieses Zeug ist ja mindestens so ewig wie ich!“

Dienstag, 23. März 2010

Ein Hauch von Luxus

Mmm, die Gemahlin brachte mir von ihrer Reise echte Alfons-Schuhbeck-Trüffelpralinen mit. Von Schuhbeck persönlich handgerollt und signiert und mit Schleifchen drum. Zu schade zum Essen, aber darauf kann keine Rücksicht genommen werden. Ihr seid jetzt fällig, ihr Luder!

Montag, 22. März 2010

Katrin

Heute Nacht hat mir Katrin Göring-Eckardt über Facebook eine Nachricht geschickt, sie wolle mich und einige andere ihrer Online-Freunde mitnehmen auf eine Bahnfahrt durch die ganze Republik, an den Zwischenstationen ökumenischen Gottesdiensten beiwohnen und mit uns während der Fahrt über Gott, Ökologie, das Altern und die „Wirtschaftsdelegationen“ von Westerwelle reden. Ich nahm die Einladung an, saß flugs in dem Zug (mit Panoramafenster!), war aber offenbar als einziger gekommen und befand mich ganz allein mit Katrin im Abteil. Sie musste vorher noch zu Hause vorbei, weil sie ihren Fön oder so was vergessen hatte, also ließ sie den Zug umlenken, der unmittelbar vor ihrem Haus hielt. Ich durfte mit hinein und trank einen Kaffee mit der Familie. Ganz okay, diese Leute. Auf der Fahrt ließ ich allerhand Sehenswürdigkeiten am Fenster vorbeiziehen, spielte während der Zwischenstopp-Gottesdienste heimlich „Dr. Harakiris Gehirn-Jogging“ und hatte, zurück im Abteil, eine Zeitlang nicht viel zu tun, weil Katrin dauernd mit ihrem Handy sprach. Ich wurde deswegen ein bisschen mürrisch, dachte „Politiker!“, aber dann schaltete sie das Gerät schließlich aus. Wir stellten zwischendurch fest, dass wir demselben Jahrgang angehören, lästerten ein wenig über Margot Käßmann im Phaeton, und sie erzählte mir, wer Käßmanns mysteriöser Begleiter an dem Abend der Alkoholfahrt gewesen war. Ich konnte es kaum glauben und musste lauthals lachen. Währenddessen tranken wir faden Bahnkaffee. Der Zug hatte sich inzwischen in ein Rafting-Floß verwandelt und donnerte merkwürdigerweise durch Stromschnellen statt über Schienen, Katrin steuerte uns jedoch sicher und mit wehendem Haupthaar an der Loreley vorbei. Auf Höhe Bonn trieben wir an den Landesteg von Westerwelles Haus, schrien „Streber!“ in Richtung des Hauses, warfen grüne Farbbeutel dagegen und lachten, während hinter uns die Sirenen der Wasserschutzpolizei erklangen.
Dann wachte ich auf und wollte umgehend wählen gehen.
Die ganze Sache geht offenbar zurück auf die Sendung Anne Will gestern Abend, Thema „Hau den Guido!“. Katrin, die mir bislang nie so richtig aufgefallen war, machte meines Erachtens darin eine gute Figur. Nach solch einem netten Abenteuer habe ich mich jetzt gleich mal ihrer Facebook-Gemeinde einverleibt. Könnte ja sein, dass das ein prophetischer Traum war.

Samstag, 20. März 2010

Sprechrolle

Heute morgen wurde ich geweckt von einem seltsamen Murmeln. Dachte: Die Gemahlin spricht unartikuliert im Schlaf. Lohnt es sich, ganz wach zu werden und zuzuhören? Dieser Gedanke wurde sachte abgelöst von der Erkenntnis, dass die Gemahlin gar nicht anwesend ist, sondern vielmehr auf Reisen, und ich mich für fünf Tage Strohwitwer nennen darf. Aber wer, um Himmels willen, murmelt da neben mir? Das Drehen des Kopfs in Richtung Gemahlinnenkissen und das halbherzige Öffnen eines einzelnen Auges bringen Klarheit: Die Katze spricht entseelt in ihre Achselhöhle hinein, während der rausschauende Schnurrbart und die Öhrchen mächtig zucken. Ein Katzentraum, Kompensation wahrscheinlich für die schreckliche Langeweile seit Abkunft der Gemahlin, Action-Film, aber offenbar durchaus mit Dialog und maßgeblicher Sprechrolle. Quatsch dich ruhig weiter durch deinen Film, ich mach mir jetzt Kaffee.

Nachausschüttung

Na, da will man sich nicht beschweren! Zum Briefkasten gegangen, Schreiben der VG Wort vorgefunden und den jährlichen Rechenschaftsbericht oder sowas erwartet. Tatsächlich fällt aber ein Scheck heraus, bei dessen Betrag einem erst mal die Äuglein überquellen. Es ist die Nachausschüttung für die inzwischen massenhafte Verbreitung von Multifunktionsgeräten (private Scanner-Drucker u.ä.), mit denen Hinz und Kunz, man selbst eingeschlossen, tagtäglich das Urheberrecht aushebeln kann. Die VG hat 2009 bei den Geräteherstellern Urheberabgaben eingetrieben in Form eines Vergleichs. Der Konflikt währte schon lange. Offenbar hat die VG zu Anfang des Prozesses arg hohe Abgaben veranschlagt, weswegen die IT-Branche im Dreieck sprang. Nachdem diese 2008 grundsätzlich vor dem BGH unterlag, musste innerhalb einer Frist ein Vergleich ausgehandelt werden, der die Forderungen der VG berücksichtigt, ohne die Interessen von Industrie und IT-Kunden zu gefährden. Stichwort Preisniveau und Wirtschaftlichkeit. Als Folge dessen sind die realen Abgaben für die Industrie nun verschmerzbar. Sie hat jetzt gezahlt, und alle der VG gemeldeten Artikel für die Jahre 2002-07 wurden rückwirkend den Autoren als Einmalzahlung vergütet. Danke, VG, für die Bemühungen.
Will gar nicht wissen, welche Summen Autoren erhalten, die über die Jahre nicht nur, wie ich, aus Spaß an der Freud ein bisschen launiges Schreibgut ausgeliefert haben, sondern richtig viel und heftig publiziert haben. Ein Feiertag für den notorisch klammen Autorenstand – sofern der Autor seine Publikationen immer schön ordentlich der VG gemeldet hat.

Mittwoch, 17. März 2010

"Science Fiction!"

Irritierende Beobachtung am Rande: Kinder mit Turnschuhen, die leuchten. Lämpchen und so’n Scheiß, an der Ferse auf der Schuhzunge oder an der Seite, die in unregelmäßigen Abständen grell und rhythmisch drauflos blitzen. Grün, gelb, rot. Als ich die Gemahlin fassungslos darauf aufmerksam mache und „Guck mal, Science Fiction!“ rufe, winkt sie bloß ab und meint, ich käme zu selten unter Menschen, denn diese Dinger seien tierisch in und ja fast schon wieder out. Ach so.

Montag, 15. März 2010

Dino-Tag

Habe mich überzeugen lassen, statt des Polit-Thriller-Tags Dinos gucken zu fahren. Der Vorteil urbaner Lebensweise: Vor der Haustür in die Linie 16 einsteigen und nach einer Dreiviertelstunde durch verregnete Gewerbegebiete vor dem Museum Koenig in Bonn wieder aussteigen. „Argentinische Giganten“: rekonstruierte, komplettierte Dino-Skelette von südamerikanischen Fundstätten. Einer davon, der Argentinosaurus, ist, wenn ich's richtig verstanden habe, das zweitgrößte je aufgefundene Landreptil, und das aufrecht stehende Menschlein reicht ihm gerade bis zum Fußknöchel. Für die Darbietung des rekonstruierten Skeletts hat das Museum ein klimatisiertes Riesenzelt anbauen müssen, weil das Viech sonst nirgendwo reinpasst. Im ersten Stock des Hauptgebäudes erwarten einen weitere Raubsaurier-Skelette sowie Rekonstruktionen der Monster in kompletter Gestalt. Beliebtestes Fotomotiv der Besucher: verschrecktes Familienmitglied unter dem geöffneten Maul des Gigantosaurus-Skeletts. Das Museum Koenig versteht sich seit jeher als Lehrmuseum, deswegen keine Effekthascherei, keine pneumatisch-beweglichen Dinger, keine Soundschleifen oder Lightshows.
Sonntags sind natürlich ungefähr eine Million Kinder anwesend; sie hören auf Namen wie Merlin, Melvin oder Monika. „Merlin, hör auf, den Dino am Schwanz zu ziehen! Der schnappt sonst!“ Man muss mal wieder aufpassen, wo man hintritt, denn überall krabbeln die Blagen herum. Man kommt sich selbst vor wie ein Dino, möchte laut brüllen, anfangen, sie zu jagen, und sich danach die Reste aus den Zähnen pulen.
Die Dauerausstellung des Museums besteht ansonsten aus ausgestopften Viechern von allen Kontinenten. Ich wollte immer schon einen Schabrackentapir als Haustier haben, bin aber nun davon abgerückt, denn diese Kreatur ist verdammt groß und schwer. Beim Spielen im Park würde sie alle Hunde plattmachen. Und wenn sie sich erst mal daran gewöhnt hat, mit im Bett zu schlafen, wird es selbst im King Size zu eng. Wir haben uns dann darauf geeinigt, uns beizeiten einen Ameisenbär anzuschaffen. Schlank, geschmeidig, guckt niedlich und kann sich nützlich machen, indem er den Schwanz als Staub-Swiffer einsetzt.

Sonntag, 14. März 2010

Agenten-Nacht und Polit-Thriller-Tag

Heute etwas schlurfig und neben dem Gleis, weil gestern die lange Agenten-Nacht war. Wiederholungen lange nicht mehr erblickter Klassiker. Erst Der Spion, der aus der Kälte kam. Heutzutage kriegt man solch intensive Interaktionen wie zwischen Richard Burton, Oskar Werner und Peter van Eyck kaum mehr zu Gesicht. Und ab und zu muss die Moral von der Geschicht eben auch mal aufdringlich sein. Danach Gorky Park. Damals revolutionär wegen der russischen Perspektive. Die Auflösung mag etwas wirr daherkommen, aber das Setting, der Soundtrack, die Darsteller, die Harschheit und die Härte lullen einen in ihrer gemütlichen sibirischen Kälte ein. William Hurt, Lee Marvin und der entzückende Ian Bannen. Groß. Und schließlich noch 36 Stunden, ein nahezu märchenhaftes Kabinettstück nach Roald Dahl, in dem die Wehrmacht einem gefangenen US-Agenten vorspielt, er befinde sich einem US-Lazarett, der Krieg sei vorbei und er könne unter Freunden alle seine Geheimnisse ruhig ausplaudern. Die Deutschen, unter ihnen Rod Taylor (!), sind zur Abwechslung mal clever, allerdings ist James Garner noch cleverer. Recht so.
Heute werde ich dies spaßeshalber mit einem Polit-Thriller weiterführen, der nie auf DVD erschienen ist, aber immerhin als VHS. Das Ultimatum / Twilight’s Last Gleaming ist ein Spätwerk von Robert Aldrich, das 1977 auf nahezu aggressive Weise die amerikanische Militärführung angeht. Derart aggressiv, so die Fama, dass der Film statt in den USA mit wenig Budget in Deutschland gedreht werden musste. Burt Lancaster bringt ein Atomraketensilo in seine Gewalt und droht damit, die Raketen zu zünden, wenn die Regierung nicht endlich die dreckigen Geheimakten des Vietnamkriegs öffentlich macht. Und selbst als der US-Präsident sich als Geisel zur Verfügung stellt, haben die Militärs nicht die Absicht, der Forderung nachzukommen. Extrem dicht und für damalige Verhältnisse regelrecht radikal. Aldrichs Beitrag zur 200-Jahr-Feier der USA, wie er sagte. Die deutsche Friedensbewegung entdeckte den Film damals nicht, weil sie grundsätzlich keine amerikanischen Thriller schaute. Selber schuld.

Mittwoch, 10. März 2010

Das Buch macht spontan einen exzellenten Eindruck, es ist postmodern und britisch und urban und crossover, der Verlag macht ein ziemliches Bohai, die Autorin wirkt nett und fesch und fetzig, nennt die richtigen Vorbilder ... und der Roman ist ... Kacke. Ich fühle mich verarscht.

Alles gleißt im Sonnenschein ...

... aber der Wind weht kalt übers Dorf, die Krähen krächzen. Der wandernde Raucher oder rauchende Wanderer benötigt zwingend ein Sturmfeuerzeug, oder er verzichtet eben aufs Rauchen. Ist ohnehin gesünder. Erste Kundschafter der Krokusnation schauen nach, was Sache ist und wie lange es eventuell noch dauert, bis es richtig losgehen kann. Auf Mutters Grab liegen noch einige Fetzen Schnee, weil der Baum daneben den ganzen Tag keine Sonne dranlässt. Eine einzelne Krähe sitzt in der Krone, schaut hinab ins Tal und quatscht dabei irgendwas vor sich hin. Die Tauben auf dem Kirchturm haben offenbar keine Ahnung, was die Krähe da labert, denn sie blicken verwirrt herab und antworten nicht. Eine Böe lässt die Friedhofsglocke genau zweimal schlagen. Überall Windbruch auf den Höhen, uralte Bäume kaputtgehauen vom Sturm, andere neigen sich bedenklich. Der Wanderer sieht deutlich, aus welcher Richtung der Sturm kam. Das Feenvolk hat sich zurückgezogen in den tieferen Wald, bibbert in einem der alten Westwall-Bunker und zeigt sich höchstens mal in Gestalt eines neugierigen Fuchses oder einer Elster. Die Königin, so raunt es zwischen den kargen Wipfeln, trauert um ihren Erstgeborenen, denn er wurde beim Nordic Walking von einem Ast erschlagen. Kommt davon, wenn man die Warnung des Wetterdienstes ignoriert. Außerdem ist Nordic Walking eher was für Mädchen, aber wer kennt sich schon aus mit Feen. Die moosigen Gesichter in den Baumrinden schauen den Wanderer missmutig an. Am Waldrand hingegen sonnt sich gutgelaunt der Findlingsbrocken, den die letzte Eiszeit hierher verschlagen hat. Ihm macht der Wind nichts aus, während der Wanderer sich weiter unten schon nach wenigen Schritten die Mütze über die Ohren gezogen und den Kragen hochgestellt hat. Ganz hinten in der Landschaft, schon im Nachbarland, flämmt jemand Unterholz ab, und eine Rauchsäule steigt zum Himmel, der Geruch weht herüber, ist aber noch nicht so stark und voll wie im Frühjahr oder im Herbst. Nur eine Ahnung. Auf dem Hochplateau, mitten auf dem ungeschützten Feld, stehen drei Typen herum und deuten in Richtung des Wanderers. Sie zeigen sich ebenfalls unbeeindruckt vom kalten Wind, denn sie sind bloß bronzezeitliche Geister, deren Grabstätten noch unter dem Acker liegen. Man erkennt ihren nicht ganz echten Status daran, wie sie Sonne durch sie durchscheint und zugleich mit ihren Umrissen Lichtspiele veranstaltet. Wenn man genauer hinschaut, verwehen sie stumm in der Brise. Weiter oben, auf dem asphaltierten Feldweg, begegnet dem Wanderer ein alter Mann, ungemütlich zusammengesunken in seinem altmodischen Mantel, aber mit einem Lächeln im Gesicht. Der Wanderer sieht ihn schon von weitem kommen, und beim Vorbeigehen lüpft der Rentner den Hut. Er hat Pomade im Haar und einen strengen Seitenscheitel. Der Wanderer grüßt zurück und denkt einen Moment darüber nach, woher er den alten Mann kennt, bis es ihm schließlich nach einigen Sekunden einfällt. Aber als er über die Schulter zurückblickt, den Feldweg herab, ist der alte Mann verschwunden. Da, wo er sich befinden müsste, liegt ein ramponiertes hölzernes Spielzeug, das vielleicht einmal ein Traktor war. Ach so. Auf dem Baum neben der Straße sitzt eine Krähe und keckert irgendwas.

Dienstag, 9. März 2010

Opa Pitter

Heute würde Opa Pitter 100 Jahre alt. Er verließ uns zwar vor zwölf Jahren, aber anwesend ist er natürlich immer noch in seiner ruhigen, gelassenen, ziemlich schwerhörigen Art. Hörgeräte waren damals noch nicht so fortschrittlich wie heute. Antreffen kann man ihn vor allem noch in seinem kleinen Häuschen, in dem heute sein jüngster Sohn wohnt und das sich seitdem kaum verändert hat. Er freut sich heute so wie damals, wenn man zu Besuch kommt, und lächelt breit. Opa Pitter stammte zwar aus dem Dorf, arbeitete in jüngeren Jahren aber mal weit weg in den Zeppelin-Werken in Friedrichshafen, wo auch die ersten beiden Söhne zur Welt kamen. Bei der Rückkehr von Opa Pitters Familie ins Dorf, nach dem Krieg, schwäbelten die Burschen allen Ernstes. Dann arbeitete Opa Pitter bei der Bahn, weswegen er und die Familie angrenzend zum Dorf-Bahnhof im Wohngebäude des Bahnhofspersonals lebten. Stimmungsmäßig war das für die zahlreichen Enkel immer ein bisschen wie zu Bahnwärter Thiels Zeiten. (Allerdings ohne den eklatanten Ausgang der Novelle.) Glückwunsch zum Geburtstag, Opa Pitter.
Wir sprechen uns wieder nächsten Monat, wenn Opa Pitters Ehefrau, Oma Tilly, 100 wird.

Freitag, 5. März 2010

Das Alter kommt LAUT!!!

Zuerst die etwas tragische Oma, die in der Post den Betrieb aufhält, weil sie vom Mann hinterm Schalter selbstverständlich Dienstleistungen fordert, die heutzutage eigentlich der Kunde selbst erbringen sollte. Die Dienstleister hinterm Schalter sind auf so etwas nicht mehr vorbereitet. Paket packen, Klebeband drumrum, frankieren etc. Zur besseren Motivation gibt es lautstarke Anfeuerung und detaillierte Anweisungen seitens der Oma. Das Paket muss, wie die Dame schreiend mitteilt, „in die DDR!!!“. Der Dienstleister und die Leute in der Schlange verzichten auf Lektionen in Zeitgeschichte, da es sonst noch länger dauern würde. („Was? Es gibt die Zone nicht mehr?!!!“)
Nachdem diese Affäre ohne akute Hörschäden überstanden ist, läuft einem gleich draußen der Scheiße-Opa über den Weg. Den kenne ich schon. Ein sich mit Trippelschritten fortbewegender alter Herr, der eigentlich ganz seriös wirkt, aber „Scheiße!“ brüllt, wenn ihn irgendetwas irritiert. Und mit brüllen meine ich BRÜLLEN! Dazu stampft er einmal mit dem Fuß auf. Sein Ausbruch diesmal wurde eventuell verursacht von dem hingeschmissenen Kinderfahrrad, das ein antiautoritär erzogenes Hippie-Balg genau auf dem Engpass des Bürgersteigs drapiert hat, während es mit Herrn Zausel-Papa am Geldautomaten steht. Wenn man nicht über das Fahrrad stolpern und sich die Haxen brechen will, muss man drüberspringen oder es umkurven, um mit Passanten zu kollidieren, in eine U-Bahn-Baugrube zu stürzen oder vor vorbeifahrende Autos zu geraten. Ich war durchaus versucht, dem Scheiße-Opa vollinhaltlich zuzustimmen, aber nicht in dieser Lautstärke, Mann.
Man weiß es nicht, aber ich stelle mir vor, dass die beiden, Schrei-Oma und Scheiße-Opa, seit 1845 oder so miteinander verheiratet sind und sich nach der Rückkehr von ihren jeweiligen Abenteuern abends in der kleinen Wohnung austauschen. Schreit sie: „Habe heute erfahren, dass es die Zone nicht mehr gibt!!!“ Brüllt er: „Scheiße!!!“

Dienstag, 2. März 2010

Kölsch

Ganz bisschen schweren Kopp heute Morgen. Liegt daran, dass das „Bei mir“, eine beliebte Trink-Ess-und-Rauch-Kneipe in der Neustadt-Süd, unlängst wegen Kündigung ihre Räumlichkeiten am Eifelplatz verlor und in unsere direkte Nachbarschaft umzog. An die dunkle Ecke Loreleystraße, an der eine aufgegebene Kneipe mit ständig runtergelassenen Rolladen ihrer Wiedererweckung harrte. Es gab sogar ausführliche Presse. Anderthalb Minuten Fußweg von hier. Gestern waren wir erstmals in den neuen Räumen, wussten allerdings nicht, dass Montags die Küche kalt bleibt. Macht nix, wurden eben auf mehr oder weniger nüchternen Magen kommunikativ ein paar Kölsch gezischt. Weil’s so nett und urig ist und das Personal sich rührend um einen kümmert, werden es wohl in Zukunft immer zwangsläufig ein paar Kölsch mehr als beabsichtigt.

Montag, 1. März 2010

SWA (SST)

Da wir gerade dabei sind. Spektakulärer Fund: Das Originalvideo zu „Arroyo“ von SWA (1987). Toller Song, gehört ganz fest zum Soundtrack der Spätachtziger. Die Squaw an der Neurosen-Gitarre ist Sylvia Juncosa, damals ein heißer Saitenfeger und zudem eine Frau! Sie ist heute noch aktiv. Den Hauptdarsteller des Videos gibt der großartige Sänger Merrill Ward.
SWA waren eine signifikante SST-Band, als Nachfolgeband von Black Flag sogar die Hausband des Labels. Bassist und Gründer Chuck Dukowski war Miteigentümer der kleinen, chaotischen, immer bedeutsamer werdenden Firma, die die amerikanischen 80er mit definierte. Inzwischen sind SWA komplett vergessen oder bestenfalls eine Fußnote. Das ist schade, denn sie hatten einen postmodernen Zugang zur Materie, der ein pöbelndes Glam-Hardrocker-Image mit Intellekt und (Gegen-)Kultur verband und unter die dramatisch-poetischen Texte magische Botschaften mischte. Am Ende kam meistens etwas Ironisches heraus, das eventuell aber doch ernst gemeint sein könnte. SWA wurden damals angefeindet als „schlechteste Band des SST-Labels“, was ziemlicher Quatsch war, offenbar hauptsächlich ideologisch motiviert und heute nahezu unverständlich. Die Musik wurde damals als zu wenig progressiv (im Indie-Sinne) empfunden und zu sehr als retro. Zu langhaarig, zu sehr dem huldigend, was man Mitte der Achtziger überwunden glaubte. Tatsächlich hatte SWA starkes Interesse daran, großspurige Old-Rock-Elemente mit Alternative und Surfrock zu verbinden, auch Jazz war ihnen nicht unbekannt. Eine typisch kalifornische Band, sehr, sehr, SEHR hardrockig, auf ironische, fast provokante Weise maskulin und kraftmeierisch, mit pathetischer Intonation und theatralischem Glam, aber typisch rumpeliger Indie-Produktion. Die vier Alben Your Future If You Have One, Sex Doctor, XCIII und Winter zählen für mich zu den besten Platten im Spannungsfeld zwischen klassischem Rock und Punk/Hardcore überhaupt. Das letzte Album, Volume, musste ohne Hormonschleuder und Dichterfürst Merrill Ward auskommen und geriet tatsächlich ziemlich mistig. SWA waren Retro-Vorreiter und ritten ihrer Zeit weit voraus.
Es wundert wenig, dass Sänger/Texter Ward heute als Magier und Esoterik-Guru firmiert.

Angst (SST)

Der Traum in den frühen Morgenstunden war nicht sehr bedeutsam, und ich habe ihn längst wieder vergessen. Bis auf eine Tatsache: Er war untermalt vom Song „My Dinner With Debbie“ von Angst. Erstaunlich, was in unbedachten Momenten manchmal zurückkehrt. Eine meiner Geheimtipp-Bands in den späten 80ern, obwohl sie sich damals bereits wieder auflöste. Die Alben des Trios erschienen bei SST und waren somit quasi automatisch veredelt. Supersüßer US-Folk-Rock mit deutlichen Punk-Wurzeln, einigem Geschrammel und ironischen bis zynischen Botschaften, vage einzuordnen zwischen Meat Puppets und Violent Femmes. Echte Songwriter-Qualitäten, nicht selten wunderschön. Eine Band, die man auch den Mädels vorspielen konnte. Heute völlig vergessen. Frank Black (Pixies) ist ein großer Fan und bezeichnet die Band als wesentlichen Einfluss.