Mittwoch, 10. März 2010

Alles gleißt im Sonnenschein ...

... aber der Wind weht kalt übers Dorf, die Krähen krächzen. Der wandernde Raucher oder rauchende Wanderer benötigt zwingend ein Sturmfeuerzeug, oder er verzichtet eben aufs Rauchen. Ist ohnehin gesünder. Erste Kundschafter der Krokusnation schauen nach, was Sache ist und wie lange es eventuell noch dauert, bis es richtig losgehen kann. Auf Mutters Grab liegen noch einige Fetzen Schnee, weil der Baum daneben den ganzen Tag keine Sonne dranlässt. Eine einzelne Krähe sitzt in der Krone, schaut hinab ins Tal und quatscht dabei irgendwas vor sich hin. Die Tauben auf dem Kirchturm haben offenbar keine Ahnung, was die Krähe da labert, denn sie blicken verwirrt herab und antworten nicht. Eine Böe lässt die Friedhofsglocke genau zweimal schlagen. Überall Windbruch auf den Höhen, uralte Bäume kaputtgehauen vom Sturm, andere neigen sich bedenklich. Der Wanderer sieht deutlich, aus welcher Richtung der Sturm kam. Das Feenvolk hat sich zurückgezogen in den tieferen Wald, bibbert in einem der alten Westwall-Bunker und zeigt sich höchstens mal in Gestalt eines neugierigen Fuchses oder einer Elster. Die Königin, so raunt es zwischen den kargen Wipfeln, trauert um ihren Erstgeborenen, denn er wurde beim Nordic Walking von einem Ast erschlagen. Kommt davon, wenn man die Warnung des Wetterdienstes ignoriert. Außerdem ist Nordic Walking eher was für Mädchen, aber wer kennt sich schon aus mit Feen. Die moosigen Gesichter in den Baumrinden schauen den Wanderer missmutig an. Am Waldrand hingegen sonnt sich gutgelaunt der Findlingsbrocken, den die letzte Eiszeit hierher verschlagen hat. Ihm macht der Wind nichts aus, während der Wanderer sich weiter unten schon nach wenigen Schritten die Mütze über die Ohren gezogen und den Kragen hochgestellt hat. Ganz hinten in der Landschaft, schon im Nachbarland, flämmt jemand Unterholz ab, und eine Rauchsäule steigt zum Himmel, der Geruch weht herüber, ist aber noch nicht so stark und voll wie im Frühjahr oder im Herbst. Nur eine Ahnung. Auf dem Hochplateau, mitten auf dem ungeschützten Feld, stehen drei Typen herum und deuten in Richtung des Wanderers. Sie zeigen sich ebenfalls unbeeindruckt vom kalten Wind, denn sie sind bloß bronzezeitliche Geister, deren Grabstätten noch unter dem Acker liegen. Man erkennt ihren nicht ganz echten Status daran, wie sie Sonne durch sie durchscheint und zugleich mit ihren Umrissen Lichtspiele veranstaltet. Wenn man genauer hinschaut, verwehen sie stumm in der Brise. Weiter oben, auf dem asphaltierten Feldweg, begegnet dem Wanderer ein alter Mann, ungemütlich zusammengesunken in seinem altmodischen Mantel, aber mit einem Lächeln im Gesicht. Der Wanderer sieht ihn schon von weitem kommen, und beim Vorbeigehen lüpft der Rentner den Hut. Er hat Pomade im Haar und einen strengen Seitenscheitel. Der Wanderer grüßt zurück und denkt einen Moment darüber nach, woher er den alten Mann kennt, bis es ihm schließlich nach einigen Sekunden einfällt. Aber als er über die Schulter zurückblickt, den Feldweg herab, ist der alte Mann verschwunden. Da, wo er sich befinden müsste, liegt ein ramponiertes hölzernes Spielzeug, das vielleicht einmal ein Traktor war. Ach so. Auf dem Baum neben der Straße sitzt eine Krähe und keckert irgendwas.